
Beleidigungen, Bedrohungen, Schmierereien: Entgegen dem Bayern-Trend ist 2022 die Anzahl dokumentierter judenfeindlicher Vorfälle in Unterfranken erneut deutlich angestiegen – von 32 im Jahr 2021 auf 58 Fälle. Damit hat sich diese Zahl in der Region seit 2020 mehr als verfünffacht. Bayernweit gab es laut der Dokumentationsstelle Rias-Bayern im vergangenen Jahr 422 bekannte Fälle – nach 456 in 2021. Es wird jedoch mit einer großen Dunkelziffer gerechnet.
Judenfeindliche Vorfälle zunehmend auch "aus der Mitte der Gesellschaft"
Zudem scheint es für offenen Antisemitismus auch in der sogenannten Mitte der Gesellschaft zunehmend weniger Tabus zu geben: "Antisemitismus ist nicht nur Ausdruck von politischen Rändern, sondern existiert in der gesamten Gesellschaft", mahnt Annette Seidel-Arpaci, die Leiterin von Rias-Bayern.
Immerhin fünf Prozent der dokumentierten Vorfälle, bei denen der politische Hintergrund ersichtlich ist, wurden 2022 dieser "Mitte" zugeordnet – deutlich mehr etwa als die 0,5 Prozent mit islamistischer Motivation. Knapp ein Viertel der Täter hatte laut Rias-Statistik einen verschwörungstheoretischen Hintergrund. Neun Prozent werden dem Rechtsextremismus zugerechnet, 2,1 Prozent dem Linksextremismus.
"Judenhass ist überall", findet auch Ludwig Spaenle, Antisemitismus-Beauftragter der Bayerischen Staatsregierung. Der CSU-Politiker berichtete etwa im Zusammenhang mit dem 50. Jahrestag des Olympia-Attentats auf die israelische Mannschaft in München 1972 von Zuschriften mit Namen und Anschrift, in denen es um den Vorwurf der "Geldgier der Juden" ging und den Vorhalt, dass es "doch irgendwann mal genug" sein müsse.
In Würzburg antisemitische Störungen beim Theaterstück "Das Tagebuch der Anne Frank"
In Unterfranken gab es unter anderem antisemitische Störungen im Zusammenhang mit dem Stück "Das Tagebuch der Anne Frank" im Mainfranken-Theater Würzburg: "Was für eine scheiß Judenveranstaltung hier, was erzählt ihr für Lügen", soll ein Passant etwa am 6. Mai gerufen haben. In Bad Neustadt (Lkr. Rhön-Grabfeld) wurde auf einem Juden-Denkmal ein Stein gefunden, auf den ein Hakenkreuz gemalt war. In Aschaffenburg wurde im Dezember das Denkmal für die 1938 zerstörte Synagoge beschmiert. Im oberfränkischen Ermreuth (Lkr. Forchheim) wurde in der Silvesternacht sogar versucht, die Synagoge in Brand zu setzen.
Dass Antisemitismus zum "niedrigschwelligen Alltagsphänomen" geworden ist, "treibt mich in hohem Maße um", sagte der Präsident des Zentralrats der Juden, Josef Schuster, zu den Rias-Zahlen. "Es zeigt eine Geisteshaltung, die jüdisches Leben nicht zu Deutschland zählt", mahnt der Würzburger: "Dagegen gilt es sich jeden Tag einzusetzen."