Drei Tage vor seinem ersten Bundesliga-Spiel mit den Wasserballern vom SV Würzburg 05 steht Raúl de la Peña im Wolfgang-Adami-Bad am Beckenrand: blaues SV-05-Shirt, dunkelgrüne Mexiko-Trainingshose. "Ich freue mich, wieder hier zu sein", sagt er über seine Rückkehr nach Deutschland, nach Würzburg, ins Adami-Bad.
Als Raúl de la Peña, Jahrgang 1966, aufwuchs ("In meiner Kindheit hatte ich sehr viel Spaß"), hatte der Sport in Mexiko seine vielleicht beste Zeit. In Mexiko-Stadt fanden 1968 die Olympischen Spiele statt. Zwei Fußball-Weltmeisterschaften, 1970 und 1986, richtete das mittelamerikanische Land aus. Dazu die Panamerikanischen Spiele 1975. "Ich habe diese Zeit noch ein wenig miterlebt, schon in den 1980er-Jahren gab es aber immer weniger Möglichkeiten, Leistungssport zu betreiben, denn dafür war kein Geld mehr da", erinnert er sich.
Den jungen Raúl zog es ins Wasser. Als Schwimmer bestritt er "mit fünf, sechs Jahren" erste Wettkämpfe, feierte frühe Erfolge. "Ich hätte richtig gut werden können", sagt er. Doch bei einer von der Universidad Nacional Autónoma de México organisierten Veranstaltung weckte eine verwandte Sportart seine Neugier. "Wasserball ist in Mexiko nicht normal. Aber ich bin auch kein normaler Mexikaner", spielt er auf seine Körpergröße von fast zwei Metern an. Mit zehn begann er, Wasserball zu spielen, mit 15 war er schon Nationalspieler.
Auf einmal ruft die vielleicht beste Mannschaft der Welt an
Zu dieser Zeit war Armando Fernández bereits ein Star. Fernández ist gut zehn Jahre älter als de la Peña und wohl der erfolgreichste mexikanische Wasserballer. Mit den Wasserfreunden Spandau, damals "die beste Mannschaft Europas, vielleicht die beste der Welt", gastierte Fernández 1986 während eines Trainingslagers auch für eine Woche in Mexiko, um gegen die dortige Nationalmannschaft zu testen. Mit dabei: der 20-jährige Raúl.
De la Peña überzeugte. Fernández rief ihn einige Wochen später an, um ihn für ein Engagement in Spandau zu gewinnen. Mit den Berlinern gewann er sechs Meisterschaften, fünfmal den Pokal und einmal den Europapokal der Landesmeister. "Ich war selbst überrascht, ich hatte ja zuvor noch nie auf diesem Niveau gespielt und wusste nicht, ob ich mithalten kann."
Er konnte. 1991 ließ sich Raúl de la Peña einbürgern und bestritt nach 100 Spielen für die mexikanische noch mal 207 Spiele für die deutsche Wasserball-Nationalmannschaft, mit der er an zwei Olympischen Spielen, 1992 in Barcelona und 1996 in Atlanta, teilnahm. Ein Jahr vor den Weltspielen in den USA hatte er sich nach Delphin Wuppertal und dem Düsseldorfer SC einem neuen Verein angeschlossen: dem SV Würzburg 05.
Als Spieler wäre er damals gern länger in Würzburg geblieben
Denn mit Anfang 30 sei die Familie wichtiger als der Spitzensport geworden. "Wir sind nach Würzburg gekommen, da meine Frau hier an der Uni als Spanisch-Lehrerin arbeiten konnte." Mit dem Star hofften die Nullfünfer, an ihre glorreiche Zeit der 1970er-Jahre, als sie fünfmal deutscher Meister wurden, anknüpfen zu können.
"Wir kennen Raúl seit dieser Zeit und wissen, dass er menschlich einfach einwandfrei ist", sagt Abteilungsleiter Jochen Fritz während des Trainings im Adami-Bad – und der Hüne neben ihm in der dunkelgrünen Mexiko-Trainingshose schmunzelt ein wenig verlegen.
Nach zwei Jahren kehrten die de la Peñas der Arbeit wegen nach Berlin zurück. "Wir wären sehr gerne länger in Würzburg geblieben. Die Stadt war für uns wie ein Traum: nicht zu groß, nicht zu klein, genau richtig." Nach kurzen Aufenthalten in Berlin und in Catania, Italien, zogen sie im Jahr 2000 nach Mexiko ("Meine Frau wollte zurück"). Die nächsten 20 Jahre trainiert er dort die Nationalmannschaft und Juniorenauswahlteams.
Seit 2019 lebt er wieder in Deutschland. "Ich wäre schon ein paar Jahre früher gekommen", sagt er. Doch erst, als seine Kinder zustimmten, sei die Gelegenheit für ihn, inzwischen geschieden, günstig gewesen, den Plan zu verwirklichen.
Ein ehemaliger Mitspieler vermittelt ihm die Trainerstelle in Fulda
Er habe versucht, Kontakte, die er aus seiner aktiven Zeit noch hatte, zu nutzen, um auch in Deutschland als Wasserball-Trainer arbeiten zu können; unter anderem zum früheren Würzburger Mitspieler Michael Ilgner: "Aber ich war sehr lange Zeit weg und vieles hatte sich verändert." Ilgner ist heute Personalchef bei der Deutschen Bank.
Rainer Hoppe, Abteilungsleiter und Trainer beim SV Bayer Uerdingen, gab de la Peñas Interesse an den ehemaligen Fuldaer Wasserballer Stefan Kaiser ("Wir haben nie miteinander, aber ein paar Mal gegeneinander gespielt") weiter, da dessen Klub einen Trainer suchte.
In Würzburg verfolgte man de la Peñas Rückkehr aufmerksam. Schon vor einem Jahr fragten die Verantwortlichen bei ihrem früheren Spieler nach, ob dieser nicht den SV 05 trainieren würde. "Damals habe ich noch abgelehnt", gibt er zu, schließlich sei er erst kurze Zeit in Fulda gewesen, habe aber mit dem Zweitligisten aufgrund der Corona-Einschränkungen kaum Wettkämpfe bestreiten können.
Seit 45 Jahren lebt de la Peña seine Leidenschaft für Wasserball aus
Seit diesen September ist de la Peña nun zurück in Würzburg und im deutschen Wasserball-Oberhaus. "Diesmal musste ich zusagen. Iñaki Urkiaga und Matze Försch wollten mich unbedingt holen. Natürlich sind die Möglichkeiten hier besser und ich kann als Trainer in der ersten Liga arbeiten", hatte das Würzburger Werben Erfolg. Er trainiert, wie an diesem Abend, die Bundesliga-Männer und bringt seine Erfahrung im Nachwuchs ein: "Ich war überrascht, wie viele Kinder es hier gibt, die Wasserball spielen wollen."
Wie ist es für ihn, nach gut 25 Jahren wieder in Würzburg zu sein? "Ich fühle mich sehr wohl hier. Aber es ist schon etwas anders, da ich diesmal alleine bin", sagt er. Er habe eine Wohnung in der Sanderau und arbeite frühmorgens als Fahrer für einen Würzburger Backbetrieb, denn "mit Wasserball kannst du halt nicht reich werden".
Seine 21-jährige Tochter studiert in Frankfurt, sein 17-jähriger Sohn kehrte nach einem Jahr in Fulda zunächst nach Mexiko zurück, um dort die Schule zu beenden: "Ich hoffe, er kommt dann im nächsten Jahr", sagt de la Peña.
In seinen ersten Wochen sei er oft in Würzburg spazieren gegangen, "um die Stadt neu kennenzulernen". Auch habe er sich mit früheren Weggefährten getroffen: mit Andreas Leidel, Andreas Reinhart, Jaro Marton oder mit seinem früheren Trainer Günter Wolf. Inzwischen sei er wegen der Corona-Lage zurückhaltend geworden: "Ich darf nicht krank werden, ich muss aufpassen", sagt er pflichtbewusst gegenüber seiner neuen Aufgabe.
De la Peña hat sein Glück auch darin gefunden, seit 45 Jahren seine Leidenschaft leben zu dürfen: "Wasserball ist mein Leben. Ich habe die halbe Welt kennengelernt, habe überall Bekannte und kann meinen beiden Kindern heute viel bessere Möglichkeiten bieten."