Ob Datenerfassung und -auswertung via Handy, oder elektronische Trainingshilfen wie LED-Panels – Computertechnik soll nach erfolgreichem Gebrauch im Profi-Fußball auch Einzug in den Trainingsbetrieb der Amateure halten. Erste Gehversuche gibt es, die Fußball-Frauen des FC Würzburger Kickers beispielsweise sammeln Erfahrungen mit datenbasierten Übungseinheiten. Und in Werneck (Lkr. Schweinfurt) entwickeln Fußballer ein System aus Trainingsgeräten und Smartphone-App. Noch ist Vieles Vision, jedoch längst keine Utopie mehr.
Ist datenbasiertes Training auch im Amateurfußball sinnvoll?
Jeanette Harttung kommt aus Nürnberg, trainierte seit der 5. Jahrgangsstufe in den Leistungssportklassen der Berthold-Brecht-Schule. Zuletzt spielte sie im zentralen Mittelfeld bei den Würzburger Kickers, die gerade erst aus der Regionalliga abgestiegen sind. Sie will den Sprung in die Frauen-Bundesliga schaffen – oder nach England, Spanien oder in die USA. Die 19-Jährige sagt: "Im Training lässt sich durch protokollierte Daten Einiges herausholen." Man trainiere weniger ins Blaue, den physischen Leistungsstand gebe es "schwarz auf weiß" per App. "Allerdings sollte am Ende die Qualität am Ball ausschlaggebend sein."
Harald Lange, Inhaber des Lehrstuhls für Sportwissenschaften an der Uni Würzburg und Jahrgang 1968, schmiss unlängst auf einem Symposium der Bayerischen Landeszentrale für politische Bildung in den Räumen der Uni Würzburg provokativ die These hin: "Früher war Kreisliga-Fußball besser." Was er meinte: "Wir hatten keine Daten über uns, wer will nachweisen, dass meine Aussage nicht stimmt?" Heute ließen sich auch in der B-Klasse Daten speichern – und in zehn oder 20 Jahren abrufen. Das könne Ehrgeiz wecken, "das Leistungsniveau langfristig anheben".
Was sagen Vereine zu den Angeboten?
Jonas Schulz, Mitentwickler der digitalen Trainingsmethode "Groundpasser", bei der mittels LED-beleuchteter Panels Pass- und Schussgenauigkeit trainiert und via App ausgewertet werden kann, ist selbst Fußballer: beim Bezirksligisten TSV Ettleben/Werneck. Er sieht Bedarf bei "Vereinen aus der Bezirksliga aufwärts, oder ambitionierten Kreisligisten". Und: "Es hängt davon ab, ob ein Verein einen jungen Trainer hat." In der unterfränkischen Bezirksliga Ost habe er mit allen Vereinen geredet und positives Feedback erhalten. Mit Ausnahmen: "Aus Thulba kam der Einwand, es kämen nur 13 Leute zum Training, da bräuchte man keine Daten, um die Mannschaft aufzustellen".
Einer, für den Digitalisierung im Verein kein Fremdwort ist, ist Benjamin Krumpholz, Sportleiter beim Fußball-Kreisklassisten TSV Sulzfeld. Mittels Sozialer Medien vermarktet er den Verein und erreicht auf Instagram sechsstellige Reichweiten. Bei digitalisiertem Training ist er skeptisch: "Wollen das die Amateurvereine überhaupt? Für Viele geht es um zwei Stunden Kicken mit Freunden und das anschließende Bier. Da ist es egal, ob man zwei Sprints mehr als letzte Woche absolviert hat."
Welche Erfahrungen machen Fußballerinnen und Fußballer?
Jeanette Harttung trainierte zuletzt zwei Monate bei den Kickers-Frauen mit der Fitness-App "B42". Maximal 20 Prozent habe digital unterstütztes Training am Gesamtpensum eingenommen, inklusive Videoanalysen. "Ich habe die App darüber hinaus selbständig verwendet und davon nur profitiert. Für ambitionierte Amateure ist das toll: Man erfährt professionelles Fachwissen, das schmälert die Kluft zwischen Amateuren und Profis. Zum Beispiel in der Verletzungsprophylaxe mit spezifischen Übungen für die hintere Muskelkette" – die nicht jeder Amateurtrainer im Repertoire habe.
Berücksichtigt datenbasiertes Training gezielter die weibliche Biologie?
Bei etlichen Profi-Klubs in Deutschland ist das Training auf den weiblichen Monatszyklus abgestimmt. "Training lässt sich auf den Menstruationszyklus hin steuern. An 'den Tagen' fällt zum Beispiel Lauftraining leichter als Krafttraining", sagt Harttung. "B42"-Entwickler Andreas Gschaider erklärt: "Unsere Trainingsprogramme für Frauen enthalten neben den drei Phasen Offseason, Preseason und Season auch die Phase der Periode, auf die man während der Menstruation wechseln sollte." Zu Einheiten, die einen reduzierten Reiz setzen.
Der erste europäische Topklub, der seine Trainingsmethodik auf die Bedürfnisse von Frauen abgestimmt hat, ist der FC Chelsea. Trainerin Emma Hayes hatte akribisch analysiert, dass Energie und Stimmung der Spielerinnen stark von deren Menstruations-Zyklus abhängen. Durch die Anpassung der Trainings- und Ernährungsprogramme will Hayes zyklusbedingte Gewichts- und Energiefluktuationen im Laufe des Monats besser kontrollieren und die Anfälligkeit für hormonell beeinflusste Weichgewebe-Verletzungen verringern. Erkenntnisse, an denen sich die "B42"-App orientiert. Für Männer, die Frauen-Mannschaften nach maskulin geprägter Trainingslehre trainieren, ein probates Hilfsmittel.
Gefahr digitaler Leistungsoptimierung: Wann wird aus Spaß psychischer Stress?
Sportwissenschaftler Harald Lange sieht in einer zu erwartenden Digitalisierung des Amateurfußballs Parallelen zum "normalen" Leben: "Sozialwissenschaftlich gesehen gibt es die Tendenz zur Selbstoptimierung. Einen Hang zum Narzismus." Mit dem Risiko, "Sklave der App zu werden". Lange bereite es Bauchschmerzen, "wenn wir Digitalisierung aus der Hüfte heraus vorantreiben". Die persönliche Nabelschau mittels Smartphone berge Suchtpotenzial. Wie lebensnah ist da die Einschätzung der 19-jährigen Jeanette Harttung, das sei "nur für Junge gefährlich", wirklich? Eine Antwort ist erst in einigen Jahren möglich.