Wie bewertet die Basis des deutschen Fußballs ihren Dachverband, wie ordnen Mitglieder des Deutschen Fußball-Bundes (DFB) die Präsidentenwahl ein und welche Themen sind für sie in Zukunft relevant? Antworten auf diese Fragen hat eine Forschungskooperation der Julius-Maximilians-Universität Würzburg und der Hochschule Ansbach gesucht. Dafür befragte das Team um den Würzburger Sportwissenschaftler Harald Lange Anfang des Jahres vier Wochen lang online DFB-Mitglieder und Fußballinteressierte.
An die 12 000 Menschen machten mit und lieferten neben der erwartbaren Kritik an ihrem Verband auch die interessante Erkenntnis, dass viele von Ihnen sich konstruktiv in der Organisation einbringen wollen. Die Kritik des DFB ließ trotzdem nicht lange auf sich warten. Als "unseriös" und "tendenziös" bewerteten Protagonisten, die lieber anonym bleiben wollen, die Studie noch vor ihrer Veröffentlichung und warfen Lange persönliche Verwicklungen vor.
Im Interview mit dieser Reaktion spricht der Sportwissenschaftler über Erkenntnisse aus seiner Arbeit, das Vorgehen der Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler im Rahmen der Studie und die sehr persönliche Kritik an seiner Person.
Herr Lange, nach einer ersten Auswertung der Umfrage-Ergebnisse – was ist Ihre Haupterkenntnis?
Harald Lange: Es gibt mehrere Aspekte, die enorm wichtig sind. Der erste ist, dass die Debatte um den DFB und seine ethisch-moralische Verfasstheit die Basis erreicht hat. Das Stimmungsbild gegenüber der DFB-Spitze fällt sehr schlecht aus. Das ist erwartbar gewesen mit Blick auf den medialen Diskurs der vergangenen Jahre. Es ist allerdings etwas anderes, wenn man merkt, das ist nicht nur eine Debatte, die in ausgewählten Leitmedien, sondern an der Basis des Fußballs geführt wird.
Die zweite Erkenntnis ist, dass die Basis die DFB-Spitze nicht nur kritisiert, sondern sich einbringen will. Wir haben die Studie konstruktiv angelegt. Dass der DFB kritisch gesehen wird, wussten wir auch vorher. Aber wir wollten herausfinden, was die Basis bereit ist zu tun. Herausgekommen ist, dass sich die Mehrheit brennend für Inhalte interessiert. Über 90 Prozent der Befragten wünschen sich etwa, dass die Kandidaten für das Präsidentenamt ein Wahlprogramm vorlegen.
Warum halten Sie diesen Wert für so wichtig?
Lange: Weil wir genau solche Menschen in Sportvereinen brauchen. Menschen, die sich interessieren, die eine Meinung haben und Verantwortung übernehmen wollen. Eine große Mehrheit der Befragen (73,9 Prozent, Anm. d. Red.) ist dafür, dass die DFB-Spitze über eine Urwahl an der Basis gewählt werden sollte. Das ist natürlich illusorisch. Die 7,1 Mitglieder des DFB wird man nicht wie bei einer Bundestagswahl zur Wahlurne bringen können. Aber von den 12 000 Menschen, die bei der Befragung mitgemacht haben, sagt die Mehrheit, dass sie das wollen würde.
Für Sie ist das ein Ausdruck des Willens zur konstruktiven Teilhabe?
Lange: Ja, genau. Das drückt ein echtes konstruktives Interesse aus. An der Basis schlummert ein gigantisches Potenzial zur Teilhabe, das momentan noch nicht aktiviert wird. Für nur 4,9 Prozent der Befragten passen die Wahlen auf dem DFB-Bundestag laut unserer Studie zu ihrer Vorstellung "guter Demokratie". Das heißt für den Verband: "Leute, hier habt ihr Optimierungsbedarf." Da lohnt es sich für die DFB-Spitze, noch mal genauer hinzuschauen, das Wahlsystem den Leuten entweder besser zu vermitteln, oder es zu reformieren. Weil genau das die Schnittstelle zur Basis ist.
Noch bevor Ihre Studie offiziell war, hat Ihnen der DFB vorgeworfen, Sie hätten unseriös und tendenziös gearbeitet. Was erwidern Sie darauf?
Lange: Es wäre wichtig gewesen, die Verantwortlichen hätten direkt mit uns gesprochen. Oder zumindest erstmal die Studie gelesen. Dann hätten wir innerhalb kürzester Zeit die Methodik erklären und Zweifel zerstreuen können.
Es ging so weit, dass Ihnen eine "persönliche Verflechtung" zu Silke Sinning zum Vorwurf gemacht wurde, die im Team Peters als Vizepräsidentin kandidiert. Wie kommt das?
Lange: Bis 2014 war ich mit ihr partnerschaftlich verbunden, und wir haben auch zusammengearbeitet. Wir haben uns aber 2014 getrennt. Das ist jetzt acht Jahre her, und wir haben seither weder beruflich noch partnerschaftlich eine Verbindung. Ich empfinde das alles als indiskutablen Eingriff in meine Privatsphäre. Es ist erbärmlich, dass selbst vor unserer Tochter nicht halt gemacht wird.
Der Vorwurf, der da mitschwingt ist ja, dass Sie Peters, der sich mit Koch nicht gut versteht, aus alter Verbundenheit zu Sinning mit Ihrer Studie einen Vorteil verschaffen könnten...
Lange: Zunächst einmal ist das nicht „meine“ Studie, sondern die von vier Wissenschaftlern an zwei Forschungseinrichtungen. Die anonymen Stimmen sollten sich jetzt noch die Mühe machen, die Studie erstmal zu lesen, bevor sie sich in Verschwörungstheorien verlieren. Unsere Studie geht bei den Präsidenten-Kandidaten weder in die eine noch in die andere Richtung. Wir haben ein und dieselben Fragen bei beiden Kandidaten gestellt und die Mehrheit der Befragten traut weder Peter Peters noch Bernd Neuendorf das Amt als DFB-Präsident zu.
Woran krankt das DFB-Wahlsystem Ihrer Meinung nach?
Lange: Es ist sehr elitär. Das Delegierten-System mag passend gewesen sein in den 70er, 80er Jahren des vergangenen Jahrhunderts, in denen sich die Basis möglicherweise für Sportpolitik weniger interessiert hat. Aber inzwischen haben wir eine aufgeweckte Gesellschaft, die Sorge hat, ob die Führenden in Politik, Wirtschaft und Gesellschaft wirklich nach ihren Interessen entscheiden. Da ist so ein Wahlsystem über Delegierte, die kein Mensch kennt und in dem Präsidentschaftskandidaten quasi aus dem Nichts auftauchen, reformbedürftig. Das fängt mit der Kür der Kandidaten an. Die DFL (Deutsche Fußball Liga, Anm. d. Red.) und die Konferenz der Landesverbände schlagen jemanden vor. Da fühlt sich die Basis nicht mitgenommen.
Wir Menschen möchten eine Wahl haben, wir möchten Ideen, Konzepte, Visionen aufgezeigt bekommen, und wir möchten Zeit haben, darüber nachzudenken. Wir erwarten, dass sich unsere Vertreter auf Kreis- oder Verbandsebene einbringen können. Und nicht, dass sie nur noch Dinge abnicken. Meine Aufforderung an den DFB ist: nehmt solche Erkenntnisse ernst. Auch wenn sie wehtun – und macht euch Gedanken dazu. Das ist weitaus spannender als mein Privatleben.
In Ihrer Studie geht es nicht nur um die beiden Kandidaten für das Präsidentenamt, Bernd Neuendorf und Peter Peters, sondern auch um den Interimspräsidenten und Chef des Bayerischen Fußball-Verbandes, Rainer Koch. Warum?
Lange: Der DFB hat in den letzten Jahren eine personelle Konstante, nämlich Rainer Koch. Das ist derjenige, der unabhängig von der jeweiligen Funktion, die er im Verband hat, die Fäden in der Hand hält. Das prädestiniert ihn dafür, ihn herauszunehmen und differenziert nach seinen Funktionen (beim DFB, im Amateurbereich, bei der Uefa - Anm. d. Red.) bewerten zu lassen. Zumal er jemand ist, der seine Ämter auch sehr, sehr öffentlich ausübt.
Sie fragen die Teilnehmer Ihrer Studie, mit welcher Schulnote sie Rainer Koch in seinen Funktionen beim DFB, im Amateurbereich und in seinem Amt bei der Uefa bewerten würden. Mit einem Durchschnitt von 5,08, 5,10 und 4,91 – also mangelhaft – kommt er nicht besonders gut weg. Haben Sie dafür eine Erklärung?
Lange: Dafür gibt es wahrscheinlich 1001 Gründe. Da müsste man in die Tiefe gehen, weil sich eine Erklärung dafür aus der Studie in ihrer jetzigen Form nicht ableiten lässt.
Gehen wir weg vom Inhaltlichen, hin zur Umsetzung der Studie. Sie ist nicht repräsentativ, sondern – wie es im Fachjargon heißt – "explorativ". Was sich in etwa mit "erforschend" übersetzen lässt. Was bedeutet das?
Lange: Zu manchen Forschungsfragen und Wissensgebieten arbeitet man sehr gern mit repräsentativen Studien. Es gibt aber Felder, da ist das nur schwierig oder gar nicht möglich. Eine repräsentative Stichprobe der 7,1 Millionen organisierten DFB-Mitglieder würde schon daran scheitern, dass man gar nicht genau weiß, wer das eigentlich ist.
Formal ist das klar, das sind die, die in den Vereinen organisiert sind. Aber in vielen Sportvereinen wissen die Leute nicht einmal, in welcher Abteilung sie geführt werden – ob in der Gymnastik- oder der Fußball-Abteilung. Außerdem sind viele völlig unterschiedlich interessiert und informiert. Deshalb haben wir uns dazu entschieden, relativ offen an die Studie heranzugehen, mit dem Ziel, die Basis zu erforschen. Heißt, in der Diskussion der Ergebnisse dieser Studie entstehen neue Fragen, denen wir nachgehen wollen. Zum Beispiel ist mir erst durch unser Studienergebnis klar geworden, in welchem Ausmaß die Mitglieder des DFB Eigeninitiative und den Wunsch nach Partizipation zeigen. In dieses Feld wollen wir weiter reingehen.
Wie kann Ihr Studie aussagekräftig sein, wenn von über sieben Millionen DFB-Mitgliedern gerade einmal 11 725 mitgemacht haben?
Lange: Da könnte man natürlich sagen, das ist Zufall, dass wir genau die knapp 12 000 erwischt haben, die so eingestellt sind, wie sie eingestellt sind. Die Anzahl an sich ist aber nur begrenzt von Bedeutung. Beim Amateurfußball-Barometer des DFB etwa haben 8000 Menschen teilgenommen. Also weniger als bei uns. Deswegen muss unsere Studie aber nicht wahrer oder besser sein. Viel wichtiger ist die Kontrolle der Forschungsmethode und da arbeiten die Autoren des DFB-Amateurbarometer ebenfalls mit Online-Befragungen.
Wie kann man verhindern, das so eine Umfrage gezielt manipuliert wird?
Lange: Eine Manipulation ist gerade bei Online-Befragungen formal nicht auszuschließen. Wir haben bei dieser Methode – ebenso wie der DFB in seinen eigenen Studien - vor allem mit drei Herausforderungen zu kämpfen. Erstens: Die Identitätsprüfung der Teilnehmer fällt weg. Zweitens: Es findet eine Selbstselektion statt. Heißt, ich werde nicht angesprochen, sondern entscheide selbst, ob ich mitmache oder nicht.
Drittens: Eine Mehrfachteilnahme ist möglich. So kann die Studie manipuliert werden. Selbstverständlich gehen wir davon aus, dass vereinzelt jemand den Bogen zweimal, dreimal oder noch häufiger ausgefüllt hat. Zum Beispiel neugierige Reporter, die wissen wollen, welche Fragen drin stehen. Das wiederum fällt bei einer Gesamtstichprobe von fast 12 000 Personen aber nicht ins Gewicht. Hinzu kommt, dass in unserer Studie der Fragebogen vergleichsweise lang ist. Das schreckt ab. Und wir haben nur komplett beendete Fragebögen in die Untersuchung aufgenommen. Es gibt noch eine ganze Reihe von Kontrollmöglichkeiten. Zum Beispiel logische Antwortmuster oder die Kontrolle der für das Ausfüllen benötigten Zeiten. Außerdem die Verteilung der Teilnehmer.
Wir haben beispielsweise mithilfe der Auswertung der Frage, in der die Teilnehmer ihre Zugehörigkeit zu den 21 Landesverbänden angeben sollten, herausgefunden, dass sich diese Verteilung weitgehend mit der offiziellen Mitgliederstatistik des DFB deckt. Das ist entweder Zufall, oder ein überzeugendes Indiz für die Stimmigkeit der Studie. Generell kann man sagen, dass die Wahrscheinlichkeit, manipulieren zu wollen, bei so einer Studie sehr gering ist, weil man nichts davon hat. Außer vielleicht bei den Fragen, bei der es um die Bewertung einzelner Personen geht, – aber da haben wir eben extrem genau auf auffällige Muster bei der Beantwortung geachtet.
Zu guter Letzt: Wie geht es jetzt weiter?
Lange: Wir werten die Ergebnisse noch differenzierter aus, um das Bild, das sich von der interessierten Basis ergeben hat, weiter zu schärfen. Dabei greifen wir auch auf die Studie zurück, die der DFB vergangene Woche selbst zum gleichen Thema veröffentlicht hat, denn trotz der laut vorgetragen Kritik kommen bei den Fragen, die sich inhaltlich mit unseren überschneiden, die gleichen Ergebnisse heraus. Es lohnt sich also in absehbarer Zeit eine Nachfolgestudie zu machen.
Die vollständige Erhebung finden Sie unter: go.uniwue.de/studie-dfb2022