Ständiger Blick aufs Smartphone, permanente Erreichbarkeit: Macht uns die Digitalisierung krank? Oder anders: Wie nutzen wir die neuen Technologien und Medien sinnvoll und bleiben gesund? Ein bayernweiter Forschungsverbund geht dieser Frage jetzt nach. Die Universität Würzburg nimmt dabei Kinder und Jugendliche in den Blick und will Programme gegen digitalen Stress entwickeln.
Ziel: Digitalen Stress vermeiden oder abstellen
Burnout, Depression, Konzentrationsstörungen: Wer immerzu online ist, davon getrieben wird und neue Medien nicht selbstbestimmt nutzt, kann leicht unter die Räder kommen. Das haben Studien belegt. Laut aktuellen Befragungen fühlen sich 40 Prozent der deutschen Schüler gestresst, auch durch Medieneinflüsse. Gleichzeitig kann positiver Stress anregen, kann künstliche Intelligenz oder der Austausch im Internet die Gesundheit fördern.
Der Forschungsverbund „ForDigitHealth“ geht nicht schwarz-weiß und ohne Feindbild an das Thema heran. Ziel ist es, die Auswirkungen der wachsenden digitalen Präsenz zu erforschen und daraus Prävention und Eingriffe abzuleiten. Verschiedene Altersgruppen und Lebensbereiche werden untersucht. 3,35 Millionen Euro gibt es dafür an Förderung aus dem bayerischen Wissenschaftsministerium.
Mediziner, Psychologen, Informatiker, Wirtschaftsinformatiker und Kommunikationswissenschaftler arbeiten in elf Projekten zusammen. Die Federführung liegt bei der Universität Augsburg, beteiligt sind ferner die LMU München, die Unis Bamberg, Erlangen-Nürnberg – und eben Würzburg.
Medienkompetenz: Trainingsprogramme gegen digitale Überforderung
Hier beschäftigt sich an der Julius-Maximilians-Universität eine Projektgruppe unter der Leitung von Entwicklungspsychologin Prof. Gerhild Nieding und Dr. Wienke Wannagat mit der Medienkompetenz von Kindern und Jugendlichen. Wann fühlen sie sich digital gestresst? In den kommenden Monaten soll dafür zunächst ein computerbasierter Test entwickelt werden.
In einem zweiten Schritt folgen Experimente mit Acht- bis 15-Jährigen: Sie sollen zeigen, wie digitaler Stress wirkt und wie ihn Medienkompetenz – also das Wissen um Einfluss und Folgen von Mediennutzung – regulieren und vermeiden kann. Daraus soll dann ein Trainingsprogramm entwickelt werden. Es könnte künftig in Schulen eingesetzt werden. Auf vier Jahre ist das Projekt angelegt. Neben einer Mitarbeiterstelle wurden Hilfskräfte und Sachmittel bewilligt.
Nieding geht davon aus, dass schon Kinder unter einer ständigen Erreichbarkeit – der sogenannten Online-Vigilanz – leiden. Das gilt noch mehr für das gleichzeitige Bedienen von Medien wie Smartphone, Rechner oder Fernseher. Weil das Arbeitsgedächtnis noch nicht voll ausgebildet ist, sei Multitasking für Kinder noch anstrengender als für Erwachsene.
Auch Mobbing im Netz kann Stress verursachen
Die eingegangene WhatsApp-Nachricht eine halbe Stunde ignorieren oder das Smartphone vorübergehend ausschalten? Das wäre nicht nur für Hausaufgabenzeiten jener souveräne Umgang, der vermutlich weniger belastet als die fortdauernde Habachtstellung. Doch nur, wer um diese Stressfaktoren weiß, kann sein Verhalten ändern.
Ein weiteres Problemfeld erkennen die Psychologen im sogenannten "Bullying" oder auch Mobbing im Internet: Einzelne werden in Foren, auf Plattformen oder in What'sApp-Gruppen schikaniert oder terrorisiert. Auch hier entsteht negativer Stress.
Auf der Kehrseite, unterstreicht Psychologin Nieding, könne Surfen im Netz entspannend und kommunikativ sein – und damit Stress entgegenwirken. Beziehungen können gepflegt, Emotionen geteilt werden. Oder der positive Effekt gesellschaftlicher Teilhabe: Über Petitionen und andere Aktionen ist heute politisches Engagement im Internet möglich. "Wir leben heute so selbstbestimmt wie nie zuvor", sagt Nieding. Aber was tut mir gut? Hier die richtigen Entscheidungen zu treffen, müsse man lernen.
Medienkompetenz positive für Schulleistung und politisches Interesse
Dafür braucht es Medienkompetenz. Und die diene nicht nur der digitalen Stressbewältigung, sondern fördere erwiesenermaßen die schulischen Leistungen und das politische Interesse bei jungen Leuten. Klar ist allerdings: Eltern haben auch im Umgang mit Internet und Smartphone eine Vorbildfunktion. Auch ihre Medienkompetenz gilt es zu stärken. Für Nieding, Wannagat & Co. wäre das ein nächster Schritt.