Da war dieser Moment, der alle Grenzen des Vorstellbaren sprengte. Der TSV Sulzfeld, der sonst vor 80 Zuschauern in der Kreisklasse Fußball spielt, hatte plötzlich ein digitales Millionenpublikum. "3,5 Millionen!", erzählt Sportleiter Benny Krumpholz am Telefon. Der 34-Jährige wiederholt die Zahl, als könne er sie selbst nicht glauben – und staunt noch immer über die schier unbegrenzten Möglichkeiten des Internets.
Ein kurzes Video hat den kleinen Verein aus dem Landkreis Kitzingen im Herbst 2020 im Sozialen Netzwerk Instagram bekannt gemacht. Dabei war der TSV Sulzfeld dank seiner Fußballer auf der Plattform schon vorher eine kleine Berühmtheit. Kein Amateurverein unterhalb der vierten Liga habe in Deutschland auf Instagram mehr Follower – also Menschen, die dem Verein im Netz folgen, sagt Krumpholz. Es sind derzeit genau 9856. Wie hat der TSV Sulzfeld das geschafft?
Ein zufälliger Schnappschuss begeistert Tausende im Netz
Der Clip, um den es geht, ist nur wenige Sekunden lang – und doch wird Krumpholz bis heute auf ihn angesprochen. Man sieht in dem Video, wie sich ein Fußballer beim Training mehrfach um eine im Boden verankerte Stange dreht, wie er nach mehreren Pirouetten schießen will, taumelt und schließlich wie ein angeschlagener Boxer auf den Rasen purzelt. Eine Tollpatschigkeit, ein nicht besonders schmeichelhafter Moment, von denen es Hunderttausende gibt im Netz; ein Schnappschuss, zufällig aufgenommen mit dem Handy.
Krumpholz nimmt den Video-Schnipsel und verschiebt ihn in die Weiten des Internets. Dann passiert Erstaunliches. "Der ging sofort viral", sagt er. In Windeseile begeistert das kurze Video Tausende Menschen – und verbreitet sich immer mehr.
Alles begann mit Bildern und kleinen Geschichten
Als Krumpholz sich im Sommer 2018 die Zugangsdaten für den Instagram-Kanal des TSV Sulzfeld geben lässt, ist der Verein weit entfernt von einem Internet-Phänomen, die Reichweite in den Sozialen Netzwerken überschaubar. Krumpholz will das ändern. Von seinen Schülern hat der Realschullehrer einiges aufgeschnappt, aber weder ist er zu dieser Zeit Mitglied in einem dieser Netzwerke, noch weiß er, wie sie genau funktionieren. Er beginnt also damit, Bilder einzustellen, und denkt sich kleine Geschichten dazu aus.
Hübsche Fotos und kurze Videos, sogenannte "Storys". Rasch erkennt Krumpholz das Potenzial, das in dieser Kombination steckt. Nur wenige Amateurvereine sind damals auf Instagram aktiv, schon gar nicht professionell. "Wir sind in eine Nische gestoßen, die komplett unbesetzt war", sagt der 34-Jährige. "Amateursport in Sozialen Medien gab es kaum." Nach drei Monaten hat der Verein die ersten 1000 Follower.
Krumpholz genügt das nicht. Er spürt: Da geht mehr. Und er ist neugierig. Stundenlang ist er im Internet unterwegs, schaut sich die Profile anderer Vereine an, vernetzt sich und experimentiert. Mit der Zeit entwickelt er ein Gespür dafür, was die Plattform verlangt. Was sie belohnt und bestraft.
"Action-Szenen sind am attraktivsten"
Instagram ist vor allem ein visuelles Medium. "Die Qualität der Bilder ist das A und O. Sie dürfen nicht verwackelt oder dunkel sein." Und: Sie sollten etwas ausstrahlen. "Action-Szenen sind am attraktivsten." Viele Klubs stellen einfach Fotos ihrer Spiele ins Netz. "Das ist nicht das, was der Nutzer sehen will", sagt der Sulzfelder Sportleiter. Wichtig ist auch die Interaktion mit den Nutzern, im besten Fall durch Kommentare und Likes.
Immer häufiger lässt sich Krumpholz von seinen Vereinskollegen mit Bildern und Storys beliefern, die im Idealfall so viel Tiefenschärfe besitzen, dass sie im Netz zünden; das kann ein Blick in die Kabine sein oder eine kleine Geschichte über den Platzwart. So schafft er es, Vertrautheit herzustellen und Identität zu stiften, etwa mit den Platzwarten anderer Klubs. Krumpholz kokettiert inzwischen mit dem Erfolg. "Wir sind ein ganz normaler, durchschnittlicher Verein, es gibt 10 000 andere, die das Gleiche leisten wie wir. Der Unterschied ist: Wir machen es für alle öffentlich sichtbar."
Je größer die Reichweite, desto höher der Wert für Sponsoren
Ist das das Geheimnis? Ein ausgeprägtes Sendungsbewusstsein gepaart mit ein bisschen Technologie-Verständnis? Fakt ist: Krumpholz hat den Verein als Marke inszeniert und etabliert. "Viele Vereine in Deutschland wissen inzwischen, was das Maustal ist", sagt er. Mit diesem geflügelten Wort von der Sulzfelder Weinlage kennzeichnet der Sportleiter jeden Beitrag im Netz.
Anderthalb Stunden pflegt Krumpholz täglich das Profil des Vereins, plant nicht nur Inhalte, sondern überlegt auch, wie und wann er sie ausspielt. Instagram tickt in dieser Beziehung nicht anders als andere Soziale Netzwerke: Aufmerksamkeit wird belohnt. "Die ersten Minuten entscheiden. Bist du da erfolgreich, bekommst du eine viel größere Reichweite." Und je größer die Reichweite, desto höher der Wert für Sponsoren.
Mit jedem Klick wird es für Sponsoren interessanter
Krumpholz‘ Rechnung geht so: "Wenn du an jedem der 26 Spieltage hundert Zuschauer am Platz hast, sehen in der Saison 2600 Leute die Werbung auf dem Trikot. Auf Instagram ist diese Zahl um das Zigfache höher." Mit jedem Klick wird es für Sponsoren interessanter, auf dem Trikot des TSV Sulzfeld zu werben. Firmen können auch direkt Anzeigen schalten und damit Zielgruppen ansprechen, die sie auf normalem Weg kaum noch erreichen.
Wo sieht Krumpholz das Ziel für den Verein? Bei 20 000, bei 50 000 Followern? "Ich habe das Gefühl, dass Instagram große Reichweiten Einzelner nicht mehr zulassen will", sagt er. "Die wollen, dass Werbung über die Plattform geschaltet wird, und lassen andere deshalb nicht mehr so groß und berühmt werden."