Um 22 Uhr ist Zapfenstreich. Dann schließen gemäß der Corona-Beschränkungen die Gaststätten und Kneipen in Bayern. Zu früh für viele Darter. Denn der Sport mit den Pfeilen und der blau-roten, runden Scheibe wird in Kneipen gespielt und endet, wenn's spannend ist, nicht selten in einer Nachtschicht. Zusammen mit den Gastro-Lockdowns der letzten knapp zwei Jahre sorgt dieses Dilemma dafür, dass in den unterfränkischen Electronic-Dart-Ligen immer noch an der Saison von 2020 gespielt wird - und zahlreiche Partien offen sind. "Für uns ist das existenzgefährdend", sagt Oliver Bandorf, Organisator der DSAB-Ligen Nordbayern.
DSAB, das ist der Deutsche Sportautomatenbund. Electronic Dart wird auf Sportautomaten gespielt, vor jedem Training oder Wettkampf steht das Einwerfen von Münzen. Ein kommerziell organisierter Sport. Die Spieler füttern die Automaten, die Kneipen bezahlen eine Gebühr an den Verband, erhoffen sich aber ein Plus an verkauften Speisen und Getränken während Training und Wettspielen – und erhalten einen Teil der Spieleinsätze. Der Verband wiederum verdient nicht nur, sondern sorgt für die Bereitstellung und Wartung der Geräte – vor Ort umgesetzt durch Automaten-Aufsteller wie die Firma Mayer in Sulzthal (Landkreis Bad Kissingen), wo Bandorf einer von vier Mitarbeitern ist. Ein in sich geschlossenes System. Das Corona ins Wanken gebracht hat.
Sortirios Mitsianis kann ein Lied davon singen. Der Kapitän der Bezirksoberliga-Mannschaft Clatsch Up Gerolzhofen beendete mit seinem Team die Runde am vergangenen Wochenende abgeschlagen auf dem letzten Platz. Bezirksliga-Abstieg, ein Desaster für ein Team, das in der Vergangenheit eher Richtung Bundesliga-Aufstieg hatte schielen dürfen. Doch dann brachen coronabedingt massiv Spieler weg, wie der 44-Jährige erzählt. Aber auch bei anderen Klubs: "Einige konnten zwischenzeitlich nicht spielen, weil Impfungen fehlten. Es waren auch viele aus beruflichen oder familiären Gründen vorsichtig, zum Darten zu gehen. Es ist heikel, mit über 40 Personen in einem engen Spiellokal zu stehen."
Rund 150 Spieler und 30 Mannschaften weniger als noch 2017
Die Zahlen sprechen eine deutliche Sprache: 2017 gab es 18 Ligen mit je acht Teams, es gab eine Bezirksoberliga (BOL), zwei Bezirksligen, vier A-, fünf B- und sechs C-Ligen, also 144 Mannschaften. 2020 war bereits eine A-Liga weggefallen, bei insgesamt sieben Teams minus. Jetzt sind noch 114 Mannschaften übrig. Rund 150 Spieler haben aufgehört. "Ich spiele 20 Jahren Dart, in diesem Ausmaß habe ich so etwas noch nicht erlebt. Und die Dunkelziffer bei den noch nicht zurückgezogenen Teams ist noch nicht eingerechnet", sagt der Haustechniker in einem Krankenhaus.
Viele hätten jetzt realisiert, dass man noch andere schöne Dinge unternehmen kann, wie Ausflüge mit der Familie. "Die kommen nicht mehr zurück", so Mitsianis. Zwei Jahre Saison! 2020 ist die Wintersaison ausgefallen, die Sommersaison zählt nach viermaliger Verlängerung noch etliche offene Partien. Im Hochsommer, als Corona kaum Thema war, verhinderte die Urlaubszeit einen Spielbetrieb. Das Interesse beim Gros der Klubs an den Tabellenständen sei längst geschwunden. Manch einer sei weggezogen, andere hätten ursprünglich maximal ein halbes Jährchen dranhängen wollen. Vier Spielzeiten wären bis heute auf dem Programm gestanden, je eine von März bis Juli und eine von September bis Januar.
Saison soll noch einmal bis Anfang Februar verlängert werden
Jetzt steht Bandorf vor einer Herkulesaufgabe: Wie soll er als Ligen-Sekretär die Spielklassen werten, obwohl große Lücken in den Ergebnislisten klaffen? Abbruch ohne Auf- und Abstieg? Quotienten-Regel? "Einerseits ist es schwierig, sechs Mannschaften auf eine Entscheidung warten zu lassen, weil zwei noch nicht durch sind. Andererseits haben wir bis 6. Februar Luft, die Spiele durchzubringen." Auch wenn er sagt, "in den nächsten acht Wochen wird die Corona-Situation eher schlimmer als besser, nichts ist planbar", hat er sich nach kurzfristiger Rücksprache mit Vereinsvertretern ("lediglich ein Team kann gar nicht mehr spielen, weil nur zwei Mitglieder geimpft sind") jetzt entschlossen, diesen Spielraum zu nutzen. Rechtzeitig vor der für März angedachten, auf Anfang April schiebbaren neuen Winter-Saison? "Zu 80 Prozent" – Mitte Februar ist Meldeschluss.
Finanziell ist das längst ein Drahtseilakt für die Automaten-Aufsteller, die Bindeglied zwischen DSAB und Vereinen sind. Seit Ende der Achtziger existiert dieses Ligen-System. Die Firma Mayer stellt die Automaten nicht nur in den Kneipen auf, sie wartet auch. "Ich bin Mädchen für alles, kümmere mich um Kundendienst, Technik, Ligenleitung", beschreibt der 50-Jährige seinen Job. Immerhin ersparte ihm der bayerische Weg ohne 2G-plus-Regel in der Gastronomie weitere Probleme: "Das hätte für einige Lokale das Aus bedeutet, weil viele nicht bereit sind, sich ständig testen zu lassen. Und der Wegfall weiterer Spielstätten hätte für unseren Ligenbetrieb das Aus bedeutet."
Einige Spielstätten dürfen nicht öffnen, da sie als Bar oder Club gelten. Und einfach zum Gegner ausweichen, sei nicht so einfach, da ungerecht gegenüber den Wirten, die ihre Gebühr an den Verband - in der BOL rund 270 Euro - trotzdem zahlen müssen. Bandorf hält ein Ausweichen aber für unausweichlich: "Bis Bars wieder öffnen dürfen, ist es vermutlich Sommer. Das ist jetzt halt höhere Gewalt." Die meisten Kneipen dürfen öffnen, doch um 22 Uhr müssen sie wieder schließen. Schwierig bei einem regulären Spielbeginn um 19 Uhr. Insbesondere in der BOL, wo im zeitraubenden System Best of Five gespielt wird. Clatsch Up muss in dieser Klasse bis nach Wildflecken fahren. Wie am Samstag beim finalen Nachholspiel, als um 17 Uhr "angepfiffen" wurde; macht Abfahrt um 15 Uhr, eine Herausforderung für Berufstätige. Die Gerolzhöfer verloren 0:3.
Angesichts solch widriger Umstände sowie der daraus resultierenden Absagen und Verlegungen sagt Mitsianis: "Noch ein, zwei Corona-Winter wären das Todesurteil für unseren Sport." Weil der Verband wenig Möglichkeiten habe, das Ligensystem neu zu strukturieren. Die Ligen-Sekretäre wie Bandorf hätten sich intensiv um die Vereine gekümmert. Lediglich eines störte den Gerolzhöfer Kapitän: "Man hätte im Sommer 2021 einen Cut machen sollen. Klar tu ich mir da leicht als Tabellenletzter. Mannschaften, die vor einem verdienten Erfolg stehen, hätten nicht abbrechen wollen. Aber vielleicht wäre eine Quotientenregel wie im Fußball ein Thema gewesen."
Umzug in coronakonformere Turnhallen ist kein Thema
Ein Umzug in coronakonformere Turnhallen war und ist für die E-Darter indes keines. Die Automaten lassen sich nicht mal eben rein- und rausräumen wie Turngeräte, sie müssen aufwändig justiert werden. Die Loslösung aus dem kommerziellem DSAB-System sei demnach nicht angestrebt.
Auch kein flächendeckender Wechsel zum Steel-Dart, wo die Praxis mit den wesentlich transportableren Scheiben Standortwechsel auch wegen des Wegfalls der Automaten-Gebühren erleichtern würde. "Ich habe beides gespielt", sagt Mitsianis. "Aber letztlich schlägt mein Herz für E-Dart. Ich würde das Flair der Kneipe vermissen. Aber es gibt einen kleinen Trend hin zum Steel-Dart, sicher auch wegen der TV-Übertragungen – insbesondere der WM."
Auch ein E-Dart-Onlinemodus sei letztlich keine Option. "Wettbewerb aus dem Wohnzimmer heraus würde mit speziellen Online-Automaten funktionieren. Das gibt es, wird aber nur wenig genutzt." Der 44-Jährige sieht nur eine Alternative, wenn Corona weiter den Kneipen-Betrieb einschränkt: Nur noch eine Saison pro Jahr zu spielen, von April oder Mai bis Anfang Oktober.