Zehn Kilometer in 30 Grad warmem, trübem und leicht brackigem Meerwasser zu schwimmen ist nichts, was man an einem Mittwochmorgen machen möchte. Leonie Beck sah das komplett anders, als sie in Tokio das Rennen über die längste olympische Strecke beendet hatte. Zufrieden sah die Würzburgerin aus. Mit einem breiten Lächeln im Gesicht kommentierte sie ihren fünften Platz. „Es ist besser gelaufen, als ich gedacht habe“, sagte sie und wirkte schon wenige Minuten nach dem Rennen, als käme sie gerade von einem gemütlichen Frühstück. „Ich habe das beste Freiwasserrennen meiner bisherigen Karriere gemacht.“ Sie habe tatsächlich Spaß gehabt während des Rennens. „Wirklich. Hört sich vielleicht blöd an, war aber so.“
Die Sonne brannte da schon vom Himmel und trieb all jene in den spärlichen Schatten, die sich an der Strecke eingefunden hatten. Die liegt in einer kleinen Bucht nahe des Hafens von Tokio. Auf einem 1,43 Kilometer langen Rundkurs hatten sich die 25 Schwimmerinnen ein packendes Rennen geliefert. Siebenmal mussten sie die Runde absolvieren. Start war um 6.30 Uhr, um zumindest anfangs noch die etwas kühleren Temperaturen des Morgens auszunutzen.
Leonie Beck übernimmt die Führung und macht Tempo
Nachdem sie vom Start weg eine Runde lang die Führung übernommen hatte, ließ sich Beck etwas zurückfallen und hielt die Position knapp hinter den ersten Schwimmerinnen des Feldes. Im Wasser ist es ähnlich wie auf dem Rad ein Vorteil, den Sog der Vorderfrau auszunutzen. Das spart bis zu 20 Prozent Energie. Eineinhalb Stunden schwammen die Frauen schon, als es Beck nicht mehr aushielt. „Ich bin vier Runden im Sog geschwommen und haben mich ausgeruht. Dann habe ich alles probiert und alles riskiert.“ Die 24-jährige Würzburgerin übernahm die Führung und machte Tempo. Sie habe das Feld auseinanderziehen wollen, sagte sie später. Und tatsächlich mussten nun immer mehr Schwimmerinnen abreißen lassen. Zu ihnen gehörte auch Becks Teamkollegin Finnia Wunram, die das mörderische Tempo an der Spitze nicht mehr mitgehen konnte und Zehnte wurde.
Es entspann sich ein Ausscheidungsrennen, in dem bald nur noch acht übrig waren. Die meiste Reserven hatte die hochfavorisierte Brasilianerin Ana Marcela Cunha. Zu Beginn der siebten und letzten Runde ging sie nach vorne und ließ sich die Spitzenposition nicht mehr nehmen. Silber und Bronze holten nach knapp zwei Stunden mit der Niederländerin Sharon van Rouwendaal und Kareena Lee aus Australien ebenfalls Sportlerinnen, die im Vorfeld zum Favoritenkreis gezählt hatten.
Beck, die in Neusäß im Landkreis Augsburg das schwimmen lernte, schlug als fünfte an, rund vier Sekunden hinter der Brasilianerin. Im Endspurt war sie nicht mehr an die Top-Leute herangekommen. „Aber ein fünfter Platz bei Olympischen Spielen ist, wie ich finde, sehr gut. Ich kann stolz drauf sein. Alles gut“, kommentierte sie ihr Rennen. Sie sei immer vorne geschwommen und habe sich so aus den meisten Rangeleien raushalten können. „Ich habe mich ziemlich clever verhalten. Ich habe das beste Freiwasserrennen meiner bisherigen Karriere gemacht.“ Nur die Tempoverschärfung sei möglicherweise etwas zu früh gekommen. „Vielleicht hätte ich noch etwas länger warten sollen. Ich habe schon gemerkt, dass es nach der sechsten Runde ein bisschen schwer wurde. Aber ich habe nicht aufgehört zu kämpfen und habe weiter versucht, so schnell zu schwimmen wie ich konnte. Ich hatte während des ganzen Rennens keinen einzigen negativen Gedanken.“
Selbst die harten äußeren Bedingungen hatten Beck an diesem Tag nichts anhaben können. „Ich habe gar nicht geschwitzt während des Rennens und fand es eigentlich ganz angenehm. Ich mag warmes Wasser eh lieber als kaltes.“ Mit dieser Meinung stand sie allerdings weitgehend allein. Eine Schwimmerin nach der anderen lief mit hochrotem Kopf durch die Mixed Zone in den Athletenbereich, um dort erst einmal die überhitzten Körper wieder abzukühlen.
Nur Beck stand ganz entspannt vor der Handvoll deutscher Journalisten und erzählte, dass sie schon sehr viele Weltcups und Wettkämpfe geschwommen sei, „wo ich keinen Spaß hatte und während des Rennens dachte: Eieiei, was mache ich hier eigentlich gerade? Aber das Rennen hier in Tokio hat wirklich Spaß gemacht.“ Vorherzusehen war das nicht, denn: „Schlechter hätte meine Vorbereitung nicht laufen können“, sagte Beck. Corona erschwerte auch ihre Trainingsalltag phasenweise erheblich. Dazu kam, dass ihr langjähriger Trainer Stefan Lurz nach Missbrauchswürfen seinen Job verlor. Da er gleichzeitig auch Bundestrainer Freiwasser war, musste für Tokio eine Übergangslösung her. Der Cheftrainer der Beckenschwimmer, Bernd Berkhahn, übernahm in Tokio auch die Betreuung der Freiwasserabteilung.
Bundestrainer Bernd Berkhahn lernt aus dem Frauenrennen
Momentan sei man beim DSV noch auf der Suche nach einem Nachfolger für Lurz, heißt es. Berkhahn hat den Vorteil, mit dem amtierenden Weltmeister Florian Wellbrock den aussichtsreichsten Kandidaten für das Zehn-Kilometer-Rennen der Männer an diesem Donnerstag auch als Heimtrainer in Magdeburg zu betreuen. Aus dem Rennen der Frauen könne er auf jeden Fall einige Erkenntnisse für die Männer mitnehmen, sagte er. „Es war warm. Und das war am Ende der limitierende Faktor für alle. Es wurde von Runde zu Runde wärmer.“ Daraus leite sich eine eher verhaltene Taktik für Wellbrock und den zweiten deutschen Starter Rob Muffels ab. „Es gab durchaus den Gedanken, das Rennen von Anfang an schnell zu machen. Aber angesichts der Temperaturen ist das keine gute Idee.“ Möglicherweise habe der etwas früh angesetzte Endspurt von Leonie Beck die entscheidenden Körner für den Endspurt gekostet.
Trotzdem könne sie auf die Spiele in Tokio deutlich besser zurück blicken, als auf die in Rio, sagte Würzburgerin noch. In Brasilien war sie, damals noch im Becken, hinter ihren eigenen Erwartungen zurückgeblieben. „Jetzt freue ich mich, dass ich mal einen kleinen Erfolg hatte.“ Sie wolle das alles erst einmal sacken lassen. „Man macht sich ja schon selber Druck. Man hat fünf Jahre gewartet auf diesen einen Moment, auf diese zwei Stunden.“ In diesen habe sie alles probiert, alles gegeben. „Mehr war nicht drin. So ist der Sport. Alles gut.“