Sie heißen FC Bayern Campus, Kleeblatt Akademie oder Knappenschmiede und sind für die größten Talente im deutschen Fußball verantwortlich: Nachwuchsleistungszentren (NLZ). Wer als Verein in der Bundesliga oder der Zweiten Liga spielen will, muss eines haben. Wer nicht viel Geld hat, sollte ein besonders gutes haben. Vereine schmücken sich mit Namen von jungen Spielerinnen und Spielern, die es ganz nach oben schaffen. Dennoch ist der Ruf der NLZs mithin schlecht. Zurecht?
Die Talentförderung im deutschen Fußball beginnt früh. Bereits ab dem Altersbereich U11 bekommen die talentiertesten Kinder – wer das ist, ergeben jährliche Sichtungen – die Möglichkeit, zusätzlich zum Training im Heimatverein einmal wöchentlich an einem Stützpunkt des Deutschen Fußball-Bundes (DFB) auf sehr hohem Niveau zu trainieren. Derzeit gibt es derer 366. Der Fokus liege dabei auf "der individuellen Förderung jedes einzelnen Talents", heißt es auf der Website des DFB. Jungen können dieses Angebot bis zur U15 wahrnehmen, Mädchen bis zur U16.
Bayern hat im Nachwuchs eine Sonderform eingeführt
"Schon hier trennt sich die Spreu das erste Mal vom Weizen", sagt Anton Kramer. Er ist Koordinator der Sportklassen am Würzburger Deutschhaus Gymnasium; begleitet viele junge Sportlerinnen und Sportler auf ihrem Weg. Zudem hat er jahrelange Erfahrung als Trainer von Mannschaften in der Region. Fast jedes Talent aus Deutschland werde beim Stützpunkttraining gesehen, sagt er. Jährlich seien das rund 5000. Dennoch lande nur etwa ein Prozent – also 50 Kinder – im Bundesliga-Bereich.
Sein Stützpunktangebot sieht der DFB als Brücke zwischen der Jugendarbeit an der Vereinsbasis und der Ausbildung in den NLZs der Lizenzvereine. Bayern hat als einziges Bundesland der Republik noch eine Zwischenstufe eingeführt: die NLZs des Bayerischen Fußball-Verbands (BFV). 18 regionale BFV-NLZs gibt es insgesamt, unter anderem je eines in Schweinfurt und Bamberg. Diese ermöglichen die professionelle Förderung der Jugendlichen innerhalb ihrer Heimatregion bis zur U17.
Bundesliga-Profi zu werden, geht kaum ohne NLZ
Die Idealvorstellung des BFV sieht so aus: Ein Kind fängt mit elf oder zwölf Jahren mit dem Stützpunkttraining an, wechselt im Alter von 14 oder 15 für ein, zwei Jahre in ein BFV-NLZ und geht anschließend – sofern gut genug – mit 16 oder 17 in ein NLZ eines Lizenzvereins.
"Faktisch läuft es anders", sagt Kramer. Die NLZs scouten frühzeitig, wo die besten Spieler sind, betont er. "NLZs von Bundesligisten suchen sich die besten Elf- und Zwölfjährigen zusammen. Die spielen dann in der U12-Förderliga, messen sich mit hochklassigen Mannschaften und müssen sehen, dass sie bestehen." Die Entscheidung, ob ein NLZ das Richtige ist, müssen Eltern und Kinder schon sehr früh treffen. Auf Umwege reinkommen? "Das ist beinahe unmöglich", sagt Kramer.
DFB, Club, Fürth: Rainer Zietsch hat große Erfahrung
Genauso sieht es Rainer Zietsch, ehemaliger Co-Trainer bei den Würzburger Kickers und aktuell Co-Trainer der deutschen U-16-Nationalmannschaft. Zwar sei die Chance für Quereinsteiger noch da, sagt er. Doch werde sie immer kleiner; tendiere gegen null.
Zietsch hat viele Jahre Erfahrung als Trainer im Jugendbereich. Der 57-Jährige war in seiner Karriere neben dem DFB auch beim Club aus Nürnberg und in Fürth tätig. Er blickt bei seiner Kritik auch auf die Eltern. "Es sind nicht nur die Vereine, die Talente so früh wie möglich holen wollen, sondern auch die Eltern, die in einem NLZ die bestmögliche Förderung für ihre Kinder sehen", sagt er.
Auch regionale Vereine machen gute Arbeit
Das Wohl der Kinder bleibe dabei teils auf der Strecke. Zietsch wundere sich regelmäßig, was für einen Aufwand Eltern ihren Kindern zumuten. "Wenn die Wegstrecke für meinen Jungen in ein NLZ zu groß wäre, wäre es mir persönlich wichtiger, er verbringt die Zeit mit Freunden auf dem Bolzplatz als auf der Autobahn", sagt er. Für Zietsch gilt: "Im Grundschulalter braucht meiner Meinung nach keine Spieler in ein NLZ zu gehen, da gibt es auch regionale Vereine, die sehr gut ausbilden."
Oft stellt sich die Frage, wie die jungen Spielerinnen und Spieler Schule und Sport zeitgleich meistern können. Anton Kramer achtet in seiner Funktion am Deutschhaus Gymnasium insbesondere darauf, dass die schulischen Leistungen der Jugendlichen passen. Und das scheint nicht nur er zu tun. "Rund 50 Prozent der Spieler in Bundesliga-NLZs machen Abitur", sagt er. Hierzu versucht auch der DFB beizutragen. Ein Kriterium der Lizenzierung eines NLZs ist eine Kooperation mit einer Schule.
Belastung für Jugendliche ist immens
Auch Zietsch weiß um den Umfang der Belastung. "In Bayern ist der schulische Aufwand in Verbindung mit dem Training in einem NLZ ab der U15 bis zur Mittleren Reife oder dem Abitur enorm", sagt der 57-Jährige. Das bayerische Abitur gilt deutschlandweit als das schwierigste. Zietsch sieht in Deutschland weiterhin ein großes Problem bei der Verknüpfung von Schule und Leistungssport. Denn die Schul-Kooperationen der NLZs machten nur für Kinder Sinn, die auch in der jeweiligen Stadt selbst wohnen und keine weite Anreise haben.
Auch hier sind die Eltern oft ein entscheidender Faktor. Die NLZ, sagt Zietsch, legen Wert darauf, dass die schulische Ausbildung mit dem bestmöglichen Abschluss ende. "Die Frage ist, ob das Umfeld des Spielers das auch will, und das ist leider nicht immer der Fall. Eltern sehen zu oft in ihrem Jungen den zukünftigen Profi und sagen, der schulische Abschluss ist egal. Das ist für mich aber die falsche Einstellung."
Fußball-Nachwuchs muss mit Widerständen klarkommen
Problematisch sei es außerdem, wenn den Kindern und Jugendlichen stets der rote Teppich ausgerollt werde. Im Leistungssport gehe es darum, Widerstände zu überwinden, betont Zietsch. "Wenn ich zu Hause nie Kritik abbekommen und immer alles aus dem Weg geräumt bekommen habe, wie soll ich dann auf und neben dem Spielfeld eigenständige Entscheidungen treffen und Herausforderungen meistern?"
Also zum Teufel mit NLZs? Nein. Sie haben offensichtlich auch positive Seiten. Kramer erlebt viele der Jugendlichen als sehr robust, willensstark und leistungsfähig. Das könne ein Vorteil für das spätere Berufsleben sein – auch wenn dieses nicht auf dem Fußballplatz stattfindet. Und die besonderen Erfahrungen, die die Jungen und Mädchen machen – etwa bei Turnieren mit anderen Top-Mannschaften – kann ihnen niemand nehmen. Auch als Ärztin, Anwalt oder Bäcker nicht.