Ihr Anspruch ist nicht klein. Sie wollen den Fußball revolutionieren. Nicht das Spiel, das sie so lieben. Doch sie sind der Meinung „Fußball kann mehr“ – und genau so haben die neun Frauen um Managerin Katja Kraus, ZDF-Reporterin Claudia Neumann und Nationaltorhüterin Almuth Schult ihre Initiative genannt. Drei Anträge wollte diese im Vorfeld des DFB-Bundestages bei dem am 11. März ein neuer Präsident gewählt wird, einbringen. Unter anderem wollen sie eine Frauenquote in Führungsämtern und eine Doppelspitze. Keiner der Anträge schaffte es aber auf die Agenda. Warum das so ist, warum sich die Initiative davon nicht ausbremsen lassen will und was sie plant:
Ins Leben gerufen wurde sie zeitgleich zum aber nicht aufgrund des Skandals um den Rücktritt von DFB-Präsident Fritz Keller im Mai 2021. „Wir hatten uns bereits vorher und grundsätzlicher gefragt, warum ist der Fußball in dieser Glaubwürdigkeitskrise und was können wir dagegen tun, wenn wir der Meinung sind, dass diese Gesellschaft Fußball braucht, um Werte zu vermitteln?“, sagt Ex-Torhüterin Kraus.
Die Initiative will mehr Chancengleichheit für Frauen im Fußball erreichen und zu einer Neuausrichtung des Deutschen Fußball-Bundes (DFB) beitragen. „Wir brauchen dringend Veränderung in einer sich rasant wandelnden Gesellschaft. Es geht darum, die Zukunftsfähigkeit des Fußballs zu sichern, Macht zu teilen, Führung neu zu definieren und unterschiedliche Perspektiven und Kompetenzen zusammenzubringen“, so Kraus. Darüber hinaus soll das System Fußball wieder glaubwürdiger werden. „Wichtig ist, was an der Basis passiert und was junge Menschen in der heutigen Gesellschaft brauchen und wollen. Dazu braucht es Repräsentanten, die Liebe für das Spiel und Glaubwürdigkeit ausstrahlen“, sagt sie.
„Beeindruckend“, sagt Kraus: „Es gibt viele Menschen, die wollen, dass sich im Fußball etwas verändert.“ Einer von ihnen ist Niedersachsens Innenminister Boris Pistorius: „Die Rolle des Fußballs in Deutschland ist eine wichtige. Aber in den letzten Jahren verliert er zunehmend an Kraft. Das hat auch damit zu tun, wie der DFB auftritt“, sagt der SPD-Politiker und fügt an: „Will der Verband eine neue Rolle in der Gesellschaft einnehmen, braucht es auch ein Bekenntnis, dass sieben Millionen Mitglieder nicht nur von Männern vertreten werden können. Zu glauben, man könne auf die Kompetenz von Frauen verzichten, zeigt eine gewisse Hybris.“
Dreimal ging es um eine Satzungsänderung. Der erste Antrag zielte auf eine Frauenquote für Führungsämter ab. 30 Prozent solle diese betragen, so der Vorschlag der Initiative. Darüber hinaus plädierte sie für eine Doppelspitze und eine Veränderung des Delegiertensystems.
Alle wurden fristgerecht verfasst, keiner wurde eingereicht. Das Problem: Niemand aus dem Verband wollte das für die Frauen tun. Änderungen der Satzung können nur sogenannte ordentliche Mitglieder beantragen. „Wir haben viele Gespräche geführt, uns wurde oft signalisiert, dass man an unserer Expertise interessiert sei“, sagt Kraus. Am Ende standen stets Absagen – angeblich oft mit dem Verweis, der Input käme zu unerwartet. Dabei machte die Initiative ihre Forderungen bereits erstmals im Mai 2021 öffentlich. Pistorius kennt das aus der Politik: „Man sagt, dass man im Grunde seines Herzens etwas befürwortet, aber es lieber der Strukturkommission nach der Wahl überlässt. Das ist wenig glaubhaft. Wenn man wirklich etwas verändern will, verschiebt man es nicht einfach.“ Auch für Kraus ist es unverständlich, wie man sich „diesen Entwicklungen so verschließen“ könne. „Es ist nicht immer nur schlechter Wille. Es gibt auch mangelndes Verständnis“, sagt sie: „Diese Argumentation ist oft so rückwärtsgewandt, dass es mich schmerzt.“
Selbst aufstellen kann die Initiative niemanden. Sie wäre darauf angewiesen, dass einer der Landes- oder Regionalverbände oder die DFL ihre Kandidatin ins Spiel bringt. Dass die Initiative das nicht „mit der Brechstange“ versucht hat, wie Kraus sagt, dafür gibt es zwei Gründe. Zum einen die gewünschte Doppelspitze, für die es eben eine Satzungsänderung bräuchte. „Wir leben in einer Zeit, in der es nur mit Kooperation funktioniert, nicht mit Abgrenzung“, sagt Kraus.
Gerne würde sie den DFB in der Rolle eines „Impulsgebers“ sehen. Stattdessen verharrt der Verband in alten Strukturen. Das sieht auch Pistorius so: „Die Welt ist in einem rasanten Wechsel. Wir sprechen von Führungskräften in Teilzeit in Unternehmen und selbst in der öffentlichen Verwaltung – und beim DFB glaubt man, so was könne nur ein Mann über 60 alleine. Na herzlichen Glückwunsch.“
Der zweite Grund, warum die Unterstützerinnen und Unterstützer von „Fußball kann mehr“ nicht versucht haben, eine Kandidatin ins Spiel zu bringen ist, dass sie die Wahl zum DFB-Präsidenten schon als entschieden ansehen. Immerhin haben sich die Amateurvertreter mit Bernd Neuendorf bereits Ende 2021 auf einen Kandidaten geeinigt – und sie haben beim Bundestag die Mehrheit. Verheizen wollten Kraus und Co., die das Wahlsystem als intransparent und wenig basisdemokratisch kritisieren, niemanden. Darüber hinaus gehe es der Initiative, so Kraus, nicht darum, vor allem Posten zu besetzen, sondern um Veränderung.
Ja. Es ist zwar legitim, aber nicht sehr demokratisch. Zum einen haben die Amateurverbände mit mehr als 60 Prozent der Stimmen ein deutliches Übergewicht. Zum anderen gilt das Delegiertensystem als undurchsichtig. So werden die Delegierten, die am DFB-Bundestag teilnehmen, in der Regel nicht an der Basis gewählt, sondern von den Vorständen der Landesverbände entsandt. Wen sie schicken, darüber schweigen sich die Verantwortlichen meist mit Verweis auf den Datenschutz aus.
„Ich würde nicht sagen, dass es undemokratisch ist“, so Pistorius: „Aber das System ist weit von dem weg, was wir heute an Ansprüchen an demokratische Organisationen stellen. Es ist zu geschlossen.“ Wer an der Macht ist, hat es einfach, dort zu bleiben, weil er weiß, welche Knöpfe er drücken muss. Einflüsse von außen sind nicht gewünscht, ebenso wenig wie Diskussionen – auch nicht beim Bundestag, wo Anträge meist nur abgenickt werden.
Die Sportjuristin Julia Olbrisch, die die Initiative berät, sagt: „Die Satzung begünstigt eine Machtkonzentration in den Händen weniger.“ So sind etwa die Präsidenten der größten Landesverbände bis auf eine Ausnahme auch Vorsitzende der Regionalverbände. Noch ein Beispiel: Bei der Wahl für die Vizepräsidenten werden stets nur so viele Personen aufgestellt, wie Ämter zur Verfügung stehen. „Das ist keine Wahl, sondern eine Bestätigung“, sagt Olbrisch: „Es geht nicht um den Wettstreit der besten Ideen und Argumente, sondern um Proporz, wer wen repräsentiert.“
Sie will den Druck hochhalten, indem sie für ihre Ziele wirbt und sich für Veränderung einsetzt. Im Februar soll in Form einer Gemeinnützigen GmbH (gGmbH) eine Anlaufstelle geschaffen werden, die unter anderem Frauen dabei unterstützt, im Fußball-Geschäft erfolgreich zu sein. Kontakte sollen vermittelt und Türen geöffnet werden. „Wenn ein Mann einmal am Millerntor (für den FC St. Pauli, Anm. d. Red.) eine Ecke getreten hat, meint man automatisch, er sei befähigt, als Trainer oder Sportdirektor zu arbeiten. Bei Frauen ist das anders“, sagt Kraus und führt als Beispiel Nationaltorhüterin Almuth Schult an: „Als sie bei der EM im Sommer TV-Expertin war, ging ein Raunen durch das Land: eine Frau spricht kompetent über Fußball. Ich weiß nicht, was haben die Leute eigentlich bis dahin gedacht über Frauen, deren Job das Fußballspielen ist?“