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Wasserball
Gehörlos im Spitzensport: Wie Nemes und Hanft in Würzburg Bundesliga spielen
Norbert Nemes und Michael Hanft spielen beim SV 05 in der Wasserball-Bundesliga. Sie sind gehörlos. Möglich wird das Zusammenspiel durch ein starkes Miteinander.
Der 32-jährige Ungar Norbert Nemes spielt seit dieser Saison für die Wasserballer vom SV Würzburg 05 in der Bundesliga (auf dem Bild im bayerischen Derby gegen den SV Weiden im Wolfgang-Adami-Bad). Nemes ist, wie sein Mitspieler Michael Hanft, gehörlos.
Foto: HMB Media/Julien Becker | Der 32-jährige Ungar Norbert Nemes spielt seit dieser Saison für die Wasserballer vom SV Würzburg 05 in der Bundesliga (auf dem Bild im bayerischen Derby gegen den SV Weiden im Wolfgang-Adami-Bad).
Michael Endres
 |  aktualisiert: 10.05.2023 10:04 Uhr

Kurz vor dem Bundesliga-Heimspiel der Wasserballer des SV Würzburg 05 gegen den SV Weiden Anfang Dezember, das die Hausherren im Wolfgang-Adami-Bad mit 9:8 gewinnen sollten, geht einer der Würzburger Spieler auf die beiden Schiedsrichter zu. Er teilt ihnen mit, dass zwei seiner Mitspieler gehörlos seien: der Würzburger Michael Hanft und der aus Ungarn stammende Norbert Nemes. Beide spielen mit ihrer Mannschaft in der höchsten deutschen Liga.

Wichtig ist diese Information für die Schiedsrichter, da die beiden Spieler Signale, beispielsweise deren Pfiffe oder die Sirene, im Wasser nicht wahrnehmen können und die Verständigung dort schwieriger ist als außerhalb des Schwimmbeckens. Die größte Herausforderung, mit den gehörlosen Sportlern im Wettkampf angemessen umzugehen, liege folglich bei den Schiedsrichtern, erklärt Jochen Fritz, Abteilungsleiter der SV-05-Wasserballer.

Schiedsrichter zeigen Fingerspitzengefühl

Mit dem nötigen Fingerspitzengefühl ist das aber möglich, was die Unparteiischen in der Partie der Würzburger gegen Weiden auch beweisen. Als Michael Hanft nach Ablauf der Angriffszeit trotz Sirene auf das Weidener Tor wirft, zeigen sie ihm zuerst einen Fehler an und stellen ihn hinaus. Daran erinnert, dass es sich bei Hanft um einen der gehörlosen Spieler handele, nehmen sie ihre Entscheidung aber zurück; er darf weiterspielen.

Während Hanft ein Resthörvermögen hat und mithilfe seiner Hörgeräte und dem Lesen der Lippen seines Gegenüber an einem Gespräch teilhaben kann, hört Nemes nicht. Er kommuniziert mit Hanft mit der Gebärdensprache. Deutsch zu verstehen, ist für den Ungarn aber kein Problem. "Mit Hilfe von Freunden habe ich gelernt, wie man Deutsch schreibt, ich habe deutsche Zeitungen gelesen und Fernsehen mit Untertitel geschaut", erklärt Nemes und fügt an: "Aktuell bin ich noch dabei, gut Deutsch zu lernen. Ich habe mir vorgenommen, nächstes Jahr einen Kurs zu besuchen."

Außenspieler Michael Hanft vom SV Würzburg 05 ist maßgeblich daran beteiligt gewesen, den Ungarn Norbert Nemes in die Domstadt zu lotsen.
Foto: HMB Media/Julien Becker | Außenspieler Michael Hanft vom SV Würzburg 05 ist maßgeblich daran beteiligt gewesen, den Ungarn Norbert Nemes in die Domstadt zu lotsen.

Fritz lobt Hanft für dessen Unterstützung für Nemes. Durch ihn sei der 32-jährige Ungar, der bei den Deaflympics (das Pendant zu den Olympischen Spielen für gehörlose Menschen) bereits Gold und Silber mit der ungarischen Mannschaft gewonnen hat, überhaupt erst zum SV 05 gekommen. Im Wasser sei es daher auch wichtig, dass die beiden zusammen spielen würden, um sich untereinander verständigen zu können.

Früher spielte Nemes, der beim ungarischen Topklub Honved Budapest mit Wasserball begonnen hat, in seiner Heimat für eine Mannschaft aus hörenden Spielern und für ein Team aus Gehörlosen gleichzeitig, bis sich Letzteres 2009 auflöste. Danach war er noch ein Jahr in der ersten ungarischen Wasserball-Liga aktiv. "Wegen meiner Gehörlosigkeit hat das leider nicht funktioniert", berichtet Nemes, warum er anschließend aufgehört hatte, Wasserball zu spielen.

2016 zog er nach Berlin und lebte dort, bis ihn das Würzburger Eigengewächs Hanft – beide kennen sich von den Sommer-Deaflympics 2009 im taiwanesischen Taipeh – fragte, ob er nicht wieder mit dem Sport anfangen und nach Würzburg kommen wolle. Nemes, der wie Hanft auf Außen spielt, aber auch die Position des Centers, also als zentraler Spieler vor dem Tor, bekleiden kann, sagte zu.

In Würzburg sei Nemes die Integration leicht gefallen, da die Nullfünfer durch Michael Hanft bereits Erfahrung haben, auf ihren gehörlosen Mitspieler einzugehen. Zudem fand er in der Stadt eine Arbeitsstelle bei einem Elektronikhändler. In der Domstadt gefällt es ihm: "In Würzburg gibt es sehr gute Restaurants und vor allem kann man hier super guten Wein trinken."

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Nemes und Hanft beweisen, dass die Gehörlosigkeit kein Grund ist, nicht Teil einer Mannschaft in der höchsten deutschen Spielklasse in ihrer Sportart zu sein. Hanft gehört – mit vier Toren in drei Spielen – zu den erfolgreichsten Würzburger Werfern. Auch ihr Trainer ist mit den beiden sehr zufrieden: "Ich bin von ihrer Leistung begeistert und wie wach sie sind", bemerkt der frühere Weltklasse-Wasserballer Raúl de la Peña.

"Die Spieler sind besonders": Trainer lobt Hanft und Nemes für Integration in schwieriger Situation

Er finde, dass "die Jungs trainieren und sich verhalten wie jeder". Der Trainer der Nullfünfer möchte die Integrationsbereitschaft der Mannschaft aber gar nicht überbewerten, da das für ihn selbstverständlich sei. "Die beiden sind besonders", hebt de la Peña vielmehr die Rolle der beiden heraus und wie sie sich in der Mannschaft einbringen.

Abteilungsleiter Fritz weist auf die Unterschiede für die beiden zwischen Spiel und Training hin: "Das Training läuft schematisch und mit Ansage ab", erklärt er und fügt als Beispiele das Einschwimmen und sich wiederholende Abläufe an. Während eines Spiels sieht das natürlich ganz anders aus, da Spielsituationen eben nicht immer vorhersehbar sind.

"Dass die Inklusion funktioniert, ist Michael zu verdanken. Es ist wichtig, dass er dabei ist, um mal was zu erklären", unterstreicht Fritz die Rolle Hanfts für Norbert Nemes gelungene Ankunft in Stadt und Verein. Ohne ihn wäre das "wahrscheinlich nicht möglich" gewesen, da Hanft der einzige im Verein sei, der die Gebärdensprache beherrsche.

Würzburg empfängt Bayer Uerdingen im Adami-Bad

Nemes ist topmotiviert: "Mein Ziel ist es, so viel Spiele wie möglich zu gewinnen und dem Team zu helfen, in die Play-offs zu kommen." Die nächste Gelegenheit, diesem Ziel etwas näher zu kommen, haben Nemes und seine Nullfünfer an diesem Samstag gegen Bayer Uerdingen (16.30 Uhr, Wolfgang-Adami-Bad). Für die Gastgeber, die Mannschaft mit den einzigen beiden gehörlosen Spielern in der Wasserball-Bundesliga, ist es das vierte Spiel in dieser Saison. Uerdingen kommt derweil als Spitzenreiter mit 11:1 Punkten nach Unterfranken.

Eine Woche nach dem Spiel in Weiden, das die Nullfünfer knapp mit 10:12 verloren haben, rechnet sich Raúl de la Peña eine Chance gegen die "im Moment beste Mannschaft" der Staffel aus. "Wir versuchen, nicht zu viele Fehler zu machen", gibt er vor. Und vielleicht gelingt den Würzburgern mit den Treffern von Michael Hanft und der Torpremiere für Norbert Nemes ja sogar die Überraschung.

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