
Artikel 296 des katarischen Strafgesetzbuches sieht eine Freiheitsstrafe von bis zu drei Jahren vor für jene, die einen Mann zur Sodomie verführen oder anstiften. Als Sodomie gilt neben Sex mit Tieren auch der mit einer gleichgeschlechtlichen Person. Homosexualität ist strafbar in Katar, dem Land, in dem vom 21. November bis zum 18. Dezember 2022 die Fußball-Weltmeisterschaft ausgetragen wird. Benjamin Näßler ist Fußballer, Fan und homosexuell. Der Frankfurter hat die Kampagne "Liebe kennt keine Pause" ins Leben gerufen und unter diesem Titel eine Petition gestartet, mit dem Ziel, der Deutsche Fußball-Bund (DFB) möge vor Ort ein klares Statement gegen Diskriminierung und für Menschenrechte abgeben.
"Wir wissen, dass wir nicht die katarische Regierung dazu bringen werden, ihre Gesetze zu ändern. Aber was wir schaffen können, ist Aufmerksamkeit." Aktuell haben rund 33000 Menschen die Online-Petition unterschrieben. Bis zur WM wollen Näßler und seine fünf Mitstreiter die 100.000er-Marke knacken. "Menschliche Grundrechte enden nicht an Grenzen", sagt der 32-Jährige, der sich ein Ende der strafrechtlichen Konsequenzen für Homosexuelle während der WM und selbstredend danach wünscht. Er würde als Fußball-Fan gerne Spiele vor Ort besuchen und hat "große Bedenken". Er und sein Ehemann wären gezwungen, sich zur eigenen Sicherheit zu verstellen. Kein Händchenhalten, kein Kuss.
1996 musste ein US-Bürger in Katar erfahren, was sonst passiert: sechs Monate Haft und 90 Peitschenschläge. Neben Hassan Al Thawadi, dem Cheforganisator dieser per se weltoffenen Veranstaltung in einem nicht ganz so weltoffenen Land, habe deswegen der ehemalige Fifa-Chef Sepp Blatter nach der Vergabe an Katar homosexuelle WM-Besucher aufgefordert, mit Rücksicht auf die homophobe Kultur des Emirats "eben mal eine Pause einzulegen". Als Antwort auf einen offenen Brief von Klaus Heusslein, dem Kopräsidenten des Internationalen Fußball-Verbandes der Schwulen und Lesben (IGLFA), wie das Onlineportal der "Zeit" schrieb.
Öffentlichkeit ähnlich der Regenbogen-Diskussion bei der EM
Näßler will Öffentlichkeit schaffen, ähnlich der Regenbogen-Diskussion im Rahmen der EM 2021. Und erhofft sich Zeichen des DFB wie beispielsweise das Tragen einer Regenbogen-Kapitänsbinde. Im Sommer waren in zahlreichen Foren Debatten entbrannt über den Missbrauch des Fußballs für politische Zwecke. Näßler kontert entschieden: "Ich sehe das nicht als politisches Statement. Es geht nicht um Politik, sondern um Menschenrechte. Wer sagt, es müsse ausschließlich um Fußball gehen, nicht um Politik, sollte sehen, welche Bedeutung Fußball inzwischen hat und welche Vorbildrolle."

Deswegen solle der Weltverband Fifa bei der Vergabe einer WM nicht nur finanzielle Ressourcen und Nachhaltigkeit im Blick haben, sondern gleichrangig Menschenrechte. "Es ist gut, dass eine WM dort stattfindet, wo noch nie eine stattgefunden hat, in einem Land, in dem Fußball nicht den Stellenwert hat wie in der westlichen Welt. Es ist auch gut, dass andere Kulturen erreicht werden - aber es muss gewährleistet sein, dass Minderheiten nicht aufgrund geltender Gesetze diskriminiert und strafverfolgt werden."
Die WM wegen vielfältiger Menschenrechtsverletzungen zu boykottieren, wie von einigen Organisationen ins Spiel gebracht, hält der Hesse, der, pandemiebedingt für zwei Jahre, 2020 und 2021 Mister Gay Germany war ("der Titel hat einige Türen geöffnet"), nichts: "Ich bin grundsätzlich kein Freund von Boykotts, weil das dazu führt, dass Menschen ausgeschlossen werden. Durch einen Dialog erreicht man mehr." Ein gangbarer Weg wäre für ihn ein "diplomatischer Boykott", wie ihn die USA für die anstehenden Olympischen Winterspiele in China erwägen: Sportlerinnen und Sportler ja, politische Abgesandte nein.
Hinter der Awareness-Kampagne "Liebe kennt keine Pause", die vor einem Jahr ins Leben gerufen wurde, steht neben Näßler Mitgründer und Medienmanager Bernd Reisig, in dessen Sozialstiftung "helfen helfen" sie eingebettet ist. Gemeinsam haben die beiden bereits Kontakt zu Sven Lehmann (Bündnis 90/Die Grünen), dem ersten Queer-Beauftragten der Bundesregierung, hergestellt. Auch deutsche Politiker sollen in Katar im Idealfall ein Zeichen für Menschenrechte setzen. Bundesministerin Anne Spiegel (Bündnis 90/Die Grünen) unterstützt die Kampagne bereits.
Reisig führt durch die hessische Kult-Talkshow "Bembel & Gebabbel", im November traf Näßler dort auf DFB-Interimspräsident Peter Peters. "Wir haben uns ausgetauscht, aber für einen intensiven Dialog mit dem Verband müssen wir die Wahl des neuen Präsidiums abwarten." Dass es für die Wahl im März auch eine Initiative von Frauen unter dem Slogan "Fußball kann mehr" gegeben hat, wertet Näßler prinzipiell positiv, sagt aber auch: "Ich bin der Meinung, dass keine Quote nötig ist. Wenn jemand für einen Job qualifiziert ist, hat er ihn verdient. Frauen können grundsätzlich genauso qualifiziert sein wie Männer. Und sie sollten die Möglichkeit bekommen für ein hohes Amt im DFB - aber das geht auch ohne Quote."

Ebenso konstruiert fände er ein Mitglied der queeren Community in einer Spitzenfunktion nur aufgrund dieser Gruppenzugehörigkeit. "Gegenargument: Beim VfB Stuttgart hatten wir mit Thomas Hitzlsperger einen homosexuellen Vorstandsvorsitzenden. Hat sich groß was getan?" Homosexualität ist im aktiven Männerfußball immer noch ein Tabuthema.
Öffentlich sei es für Vereine zwar leicht zu propagieren, man habe mit schwulen Fußballern kein Problem. Jedoch dort, wo sich das Gros tummle, im Amateurbereich, so glaubt der ehemalige Kreisliga-Kicker, fehle im Gegensatz zum medienpräsenten Profifußball der Schutz einer inzwischen breiter sensibilisierten Gesellschaft. "Ich hatte nie gewagt, mich zu outen. Ich hatte nie das Gefühl, dass Schwule willkommen sind. Immer wieder sind homophobe Sprüche gefallen." Andererseits: Im Rahmen der 37-Grad-ZDF-Doku "In der Abseitsfalle" traf Näßler auf ehemalige Mitspieler, die ihm "warmherzig begegnet" seien und ihn gefragt hätten "warum ich mich nicht getraut hätte".
Veränderung der Begegnungskultur zwischen Homo- und Heterosexuellen
Doch der Versicherungskaufmann, der heute bei Frankfurts größtem queeren Sportklub, dem Frankfurter Volleyball-Verein (FVV) in der Fußball-Abteilung aktiv ist, wünscht sich, die Begegnungskultur zwischen Homo- und Heterosexuellen möge sich verändern: "Nicht die, die es eh schon schwer haben, sollten den Schritt machen müssen, sondern die Mehrheit." Für Katar sieht er sich jedoch in der Pflicht für den ersten Schritt - allein schon wegen der Diskrepanz zwischen der übermächtigen Bedeutung einer WM und der vergleichsweise Nischenposition seines Anliegens.
Näßler ist Fußball-Fan, war schon in vielen deutschen Stadien, bevorzugt in Frankfurt bei der Eintracht. Aber er ist kein Groundhopper, der dem DFB-Team für gewöhnlich hinterherreist. Die WM in Katar wäre sein erstes Live-Großereignis. Er will dorthin, um "die Stimme zu erheben für die Menschen dort, die nicht, ohne bestraft zu werden, die Chance dazu haben wie wir in Deutschland." Voraussetzung für seine Reise sei die Zusage des DFB, die Aktion zu unterstützen. Näßler beruft sich in seinem Appell an den Verband auf dessen Ehrenkodex "für einen fairen und menschlichen Umgang ohne jegliche Diskriminierung" und bittet darum, "eine WM möglich zu machen, bei der alle Menschen unabhängig von Herkunft, Religion, Geschlecht, Hautfarbe und sexueller Neigung willkommen sind."
Und wenn irgendein Land nicht sicherstellen kann oder will, daß die Würde aller Menschen, hier schwule Fußball-Fans, unangetastet bleibt, dann ist so ein Land nicht geeignet, internationale Sportereignisse zu beherbergen, eigentlich logisch, oder?
Wenn sich jetzt eine komplette Nationalmannschaft als bisexuell outen würde, gäbe es dann öffentliche Auspeitschungen in der Halbzeitpause, so als Volksbelustigung ?
Ach so, ist ja Fussball, fair und sportlich, aber bloß nicht politisch....