Repräsentative Studien lassen die Quote homosexueller Menschen in Deutschland irgendwo zwischen sieben und acht Prozent liegen. Im deutschen Männerfußball liegt sie, zumindest nach außen, bei null. Das muss zwangsläufig heißen: Entweder sind deutsche Fußballer alles andere als den gesellschaftlichen Durchschnitt repräsentierende Männer, oder es wird gelogen – zumindest aber geschwiegen. Variante zwei dürfte der deutlich höhere Wahrheitsgehalt zugeschrieben werden. Statistisch gesehen sollte es in jeder Fußball-Mannschaft mit einem 25-Mann-Kader zwei homosexuelle Spieler geben. Nur hört und sieht man davon nichts. Weil diese zwei Spieler sich eben nicht trauen, sich in einer archaischen Männerwelt zu outen – aus Angst vor Hänseleien, Gängelein, Mobbing bis hin zum Ausschluss aus dem Team.
Nur: Wie kann in einer immer aufgeklärteren und toleranteren Gesellschaft, in der seit diesem Jahr auch die gleichgeschlechtliche Ehe endlich legal und anerkannt ist, eine derartige Parallelwelt existieren, in der sich längst überholte Moralvorstellungen halten. Der Männer-Fußball in Deutschland muss aufpassen, nicht den Anschluss an die gesamtgesellschaftliche Entwicklung zu verlieren.
Wer in einer modernen Welt weiter hinter vorgehaltener Hand, aber nicht minder konsequent Minderheiten ausgrenzt, läuft völlig zu Recht Gefahr, selbst bald im Abseits zu stehen.
Eine Gefahr, die offenbar unter dem Dach des Deutschen Fußball-Bundes nicht in ganzer Tragfähigkeit erkannt und auch nicht mit Konsequenz thematisiert wird. Ein paar Workshops oder Vorträge des smarten Vorzeige-Schwulen Thomas Hitzlsperger wirken angesichts der immer noch massiv vorhandenen Homophobie bis hinunter in die Niederung der A- und B-Klassen wie Feigenblättchen. Wenn eine mächtige Institution wie der Bayerische Fußball-Verband einräumt, zum Thema Homophobie nichts sagen zu können, weil es mangels eigener Initiative schlicht keine Erfahrungswerte gibt, kommt das einer Bankrotterklärung nahe. Die Absagen der BFV-Funktionäre an die schwule Mannschaft des Teams München für eine gemeinsame Teilnahme am CSD sowieso – bei unverfänglicheren gesellschaftlichen Anlässen, werden „Terminüberschneidungen“ wohlwollender gemanagt.
Warum rutschte denn ein Thomas Hitzlsperger, der zumindest kurz nach Ende seiner Laufbahn den Mut gefasst hatte, seine sexuelle Neigung öffentlich zu machen, ganz schnell wieder in die klassische Struktur des DFB als dessen Botschafter, Präsidiumsmitglied des VfB Stuttgart und TV-Experte, statt mit wehender Regenbogen-Fahne voranzureiten? Offensichtlich, weil seine Aufklärungsarbeit das gewünschte Gehör nicht auf breiter Basis fand, und auch, weil Werbepartner nicht Schlange standen – in der Wirtschaft merken sie es halt am schnellsten, was der deutsche Fußball-Fan sehen will, und was nicht. Schwule Fußballer offenbar nicht.
Dabei hätten Vereine und Verbände mit ihrer Macht die Möglichkeiten, mittels aktiv gelebter Toleranz eine Vorbildfunktion einzunehmen. Würden homosexuelle Fußballer, oder auch transsexuelle (im Körper des jeweils anderen, also „falschen“ Geschlechts geboren), mit offenen Armen integriert werden, würden Vereine und Verbände ganz offensiv Spieler und Zuschauer, die solche Menschen wie auch jede andere Minderheit beleidigen, entsprechend sanktionieren – diese wären ganz schnell die Ausgegrenzten. Wie in jeder aufgeklärten, modernen, toleranten Gesellschaft: Sind es in Deutschland nicht längst die intoleranten Ewiggestrigen, die an den Rand gedrängt werden?
Die Gesellschaft abseits des Fußballsports hat längst einen anderen Weg genommen. Schwule Politiker? Na, und? Schwule Lehrer? Na, und? Schwule Nachbarn? Na, und? Die Parallele zu Fremdenhass oder Islamphobie ist schnell gezogen. Rückständiges Denken führt da rasch zur Ausgrenzung. Eine AfD mag sich noch so um allgemeinverträgliche, konservative Positionen bemühen. Radikale Äußerungen einiger Protagonisten haben die angeblich nur gemäßigte Rechtspartei an den Rand der Gesellschaft gedrängt. Auch die Kirche, insbesondere die katholische, hat erfahren müssen, dass allzu hartnäckige Rückständigkeit Mitgliederschwund zur Folge hat.
Auch wenn's beim deutschen Liebling, dem Fußball-Sport, aktuell nicht vorstellbar ist: Ewig werden die verschwurbelten Männlichkeitsriten nicht dem Druck standhalten können, dass sich da draußen, außerhalb des Platzes einiges verändert hat. So wird es letztlich die Zeit sein, die für eine Akzeptanz homosexueller und auch transsexueller Fußballer spielt. Denn eines ist ja schon seit Sepp Herbergers Zeiten bekannt: Ein Spiel dauert länger als 90 Minuten.