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HANDBALL
Ex-Handballer der Wölfe Würzburg aus Israel: "Mehrere Bekannte wurden von der Hamas ermordet" 
Bis 2022 lebte Yonatan Dayan in Rimpar. Im Interview schildert der israelische Nationalspieler, wie er in Coburg vom Krieg erfuhr. Und zeigt auch Mitgefühl mit unschuldigen Palästinensern.
Der israelische Handball-Nationalmannschaftsspieler Yonatan Dayan trug von 2020 bis 2022 das Trikot des damaligen Zweitligisten DJK Rimpar Wölfe.
Foto: foto2press/Frank Scheuring | Der israelische Handball-Nationalmannschaftsspieler Yonatan Dayan trug von 2020 bis 2022 das Trikot des damaligen Zweitligisten DJK Rimpar Wölfe.
Natalie Greß
 |  aktualisiert: 15.07.2024 16:49 Uhr

Yonatan Dayan (23) ist einer von drei Israelis in der Handball-Bundesliga. Von 2020 bis 2022 stand der Mittelmann beim damaligen Zweitligisten DJK Rimpar Wölfe (heute Drittligist Wölfe Würzburg) unter Vertrag. Dann wechselte er zum ASV Hamm-Westfalen, stieg mit dem Klub in die erste Liga auf – und direkt wieder ab. Aktuell führt Hamm als ungeschlagener Spitzenreiter die Zweitliga-Tabelle an.

Sich auf Handball und den Kampf um den Wiederaufstieg zu konzentrieren, fällt dem israelischen Nationalspieler in diesen Tagen schwer, wie er im Telefoninterview gesteht. Seit dem Terrorangriff der radikalislamischen Hamas auf seine Heimat ist Dayan mit seinen Gedanken bei seiner Familie und seinen Freunden im Krieg.

Hallo Yonatan, ich hätte mir gewünscht, wir hätten uns aus einem sportlichen Anlass wieder einmal gesprochen und nicht, weil in Ihrer Heimat plötzlich Krieg herrscht.

Yonatan Dayan: Das hätte ich mir auch gewünscht. Aber dass sich so viele Menschen jetzt bei mir melden, auch frühere Mannschaftskameraden aus Rimpar, und sich nach mir, meiner Familie und meinem Land erkundigen, das weiß ich wirklich zu schätzen. Dafür bin ich sehr dankbar.

Wie geht es Ihnen?

Dayan: Ich mache mir natürlich Sorgen um meine Familie, meine Freunde und alle Landsleute.

Wo und wie haben Sie vom Angriff der Hamas auf Israel am Samstagmorgen erfahren?

Dayan: Ich war mit meiner Mannschaft wegen des Spiels am Abend in Coburg im Hotel. Als ich dort morgens aufgewacht bin, ist mein Handy fast explodiert vor Nachrichten. Zu erfahren, was passiert ist, war ein riesiger Schock. Ich konnte das im ersten Moment alles gar nicht fassen, das kam völlig aus dem Nichts. Dann habe ich erst mal meine Eltern angerufen.  

War Ihre Familie in Sicherheit?

Dayan: Ja, zum Glück. Meine Eltern haben gesagt, dass es ihnen und meiner jüngeren Schwester gut geht. Sie leben in Gedera, das ist etwa 40 Kilometer südlich von Tel Aviv, zwischen Tel Aviv und Gaza. Auch dort sind wohl einzelne Raketen niedergegangen, aber nicht so viele wie an anderen Orten. Dann habe ich erfahren, dass alle meine besten Freunde und viele Bekannte auf dem Festival in der Negev-Wüste waren.

Das Festival, auf dem die Hamas ein Massaker verübt und mindestens 260 Menschen getötet hat.

Dayan: Ja, genau. Meine besten Freunde haben später in unsere WhatsApp-Gruppe geschrieben, dass sie zum Glück alle fliehen konnten. Mehrere Bekannte aus meiner Schule aber wurden von der Hamas ermordet. Einem wurde in den Rücken geschossen, haben mir Freunde berichtet. Wenn ich am Wochenende in Israel gewesen wäre, hätte ich das Festival auch besucht. 

Sie haben vor drei Jahren, als Sie neuer Spieler bei den Rimparer Wölfen waren, in einem Interview über den Nahostkonflikt gesagt: "Alle denken, wir haben die ganze Zeit Krieg, aber das stimmt nicht. Die letzte Rakete ist 2014 über mein Zuhause geflogen." Und plötzlich ist doch Krieg.

Dayan: Ja, jetzt ist es wirklich Krieg. In den Jahren davor gab es immer wieder Stress, mal mehr, mal weniger. Wir waren schon an Raketenalarm gewöhnt, mussten immer mal wieder in einen Schutzraum. Es steht ja im Gesetz, dass alle Menschen in Israel Zugang zu einem Schutzraum haben müssen, den sie schnell erreichen können. Trotzdem haben wir normal gelebt und uns sicher gefühlt. Es war jedenfalls nicht so, dass Terroristen über die Grenze kamen. 

Sie erzählten damals auch, dass viele Israelis und Araber zusammen leben und arbeiten, sie selbst auch arabische Freunde haben. Was erwarten Sie: Wird dieser Krieg friedlich miteinander auskommende Menschen zu Feinden machen?

Dayan: Ich hatte in der Vergangenheit tatsächlich ein paar arabische Freunde. Die Beziehungen zu ihnen sind inzwischen abgebrochen – nicht wegen des Krieges, sondern weil es schwierig ist, über die große Entfernung zwischen Deutschland und Israel Freundschaften zu pflegen. Aber es gibt viele arabische Menschen in Israel, die auf unserer Seite stehen, sogar welche, die in Israel zum Militär gehen und helfen, unser Land zu verteidigen. Das ist kein Krieg von Arabern gegen Israel, sondern ein Krieg der Hamas und ihrer Unterstützer gegen Israel. Auf beiden Seiten gibt es unschuldige Opfer. Es ist grausam, dass die Hamas israelische Zivilisten entführt – Ältere, Mütter, Kinder, sogar Babys. Und es ist auch furchtbar, dass die Hamas unschuldige Palästinenser im Gazastreifen in Gefahr bringt, die auf Geld und Hilfe auch aus der EU angewiesen sind. Beides ist nicht akzeptabel.

Können Sie eigentlich vom Militär eingezogen werden?

Dayan: Nein, dafür bin ich nicht ausgebildet. Ich habe nur einen Monat Pflichtwehrdienst geleistet, normalerweise dauert er drei Jahre. Als Leistungssportler in Deutschland hatte ich eine Sondererlaubnis.

Wie können Sie sich aktuell auf Ihren Job als Handballprofi konzentrieren?

Dayan: Nicht so gut wie sonst. Vor allem am Samstag in Coburg ist es mir schwergefallen, das habe ich auch während des Spiels gemerkt. Ich habe versucht, es durchzuziehen, aber ich konnte nicht meine maximale Leistung aufs Feld bringen.  

Sie spielen auch für die israelische Nationalmannschaft. Wie geht es da nun weiter?

Dayan: Das steht noch nicht fest. Eigentlich hätten wir am 29. Oktober ein WM-Qualifikationsspiel in Luxemburg und am 4. November das Rückspiel in Tel Aviv. Falls die Spiele nicht stattfinden und ich in Hamm freikriege, fliege ich nach Israel. 

Haben Sie keine Angst?

Dayan: Nein, um mich selbst habe ich keine Angst. Aber Angst ist auch ein schwieriges Wort in Israel, das verwenden wir nicht so oft. Wir haben die Schutzräume, und wir haben Vertrauen in unser Militär. Wenn wir jetzt Angst haben, dann davor, dass wir auch noch aus dem Norden angegriffen werden von der Hisbollah.

 
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