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Bad Kissingen
Unternehmer aus Bad Kissingen in Israel: "Wir müssen hier raus"
Ein Unternehmer aus dem Landkreis Bad Kissingen lebt mit Familie in Haifa. Verzweifelt versucht er, aus dem Land zu kommen.
Susanne Will
 |  aktualisiert: 25.10.2023 02:48 Uhr

Seit dem Angriff auf Israel am Samstagmorgen leben die Menschen dort in Todesangst, vor allem im Süden des kleinen Landes. Die Befürchtung aller: Wenn Israel Bodentruppen in den Gaza-Streifen schickt, werde die Hisbollah vom Libanon aus den Norden Israels angreifen und sich eventuell andere Nationen einmischen.

Nur 40 Kilometer von der Grenze entfernt

Haifa liegt Luftlinie nur 40 Kilometer von der israelisch-libanesischen Grenze entfernt. Mitten in Haifa lebt Thomas Gundel (53, Name geändert). Der Mann ist Unternehmer aus dem Landkreis Bad Kissingen .

Er pendelt mit seiner Frau, die aus Haifa stammt, und seiner Familie seit Jahren zwischen den Welten. Thomas Gundel möchte aus Rücksicht auf die Gesamtsituation nicht mit seinem echten Namen in die Öffentlichkeit. Seit Samstag hat er nur ein Ziel: Raus aus Israel. Das ist schwieriger als gedacht. „Es ist schockierend, wie wenig Deutschland für uns tut“, sagt er in einem Telefonat.

„Sie tun nichts, damit wir das Land verlassen können“

Mehrfach habe er mit dem Auswärtigen Amt und der deutschen Botschaft in Tel Aviv telefoniert und er konstatiert ernüchtert: „Sie tun nichts, damit wir das Land verlassen können. Aber wir müssen hier raus.“ Währenddessen beobachtet er, dass die Israelis alle Reservisten aus der ganzen Welt rekrutieren.

„Die Armee ist nach offiziellen Angaben rund 173.000 Mann stark, dazu kommen rund 456.000 Reservisten. Zum Vergleich: Deutschland hat 184.000 Soldaten. Wir gehen davon aus, dass der Einmarsch der Bodentruppen kurz bevorsteht. Das wird ein Gemetzel mit vielen Toten auf beiden Seiten geben.“

Angst vor der Hisbollah

Und damit geht die Angst einher, dass sich die vom Iran unterstützte Hisbollah über den Norden vom Libanon aus kommend in den Krieg einmischt. „Es sind gerade mal 40 Kilometer Luftlinie von Haifa zur Grenze“, sagt Gundel.

Mitarbeiter auf Tanzfestival

In den letzten Tagen haben ihn stündlich Schreckensnachrichten erreicht. „Wir haben ein Café in Tel Aviv. Der Manager und vier Mitarbeiter haben zusammen mit Hunderten in der Samstagnacht auf dem Musikfestival gefeiert.“

„Was sie gesehen haben, ist der blanke Wahnsinn“

Jenem Musikfestival, das von Hamas-Kämpfern überfallen wurde. Die Hamas-Kämpfer richteten ein Blutbad bei der friedlichen Feier an. 260 tote, junge Menschen wurden bislang gezählt, viele bleiben traumatisiert zurück. „Auch unsere Mitarbeiter . Was sie da gesehen haben, ist der blanke Wahnsinn“, sagt Gundel.

Mörder tanzten erst mit ihren späteren Opfern

So zitiert er die Café-Mitarbeiter: „Die Kämpfer haben sich zunächst unter das Partyvolk gemischt, sie haben zunächst ganz perfide mit den ausgelassenen, fröhlichen jungen Menschen getanzt – und dann plötzlich ihre Waffen gezogen und die völlig arglosen Menschen hingerichtet, abgeschlachtet auf brutalste Art und Weise.“ Seine Mitarbeiter und der Manager konnten entkommen, Gundel sorgt sich, ob und wie sie diese Traumata je bewältigen können.

Straßensperren und Militärkontrollen

Das öffentliche Leben in Israel ist abgestellt, keine Schule hat geöffnet, alles liegt lahm und erinnere an die Corona-Zeit, die Straßen sind leer, Straßensperren und Militärkontrollpunkte sind errichtet, erzählt Gundel. „Ich versuche, komplett auf rational umzuschalten.“ Rational heißt: alles dafür zu tun, Israel zu verlassen – und vor allem die vierjährige Tochter zu beruhigen. „Wenn ich mir allerdings vorstelle, dass wir sie in einen Bunker bei Flugalarm bringen müssten, wird mir anders. So etwas ist prägend fürs Leben.“ Deshalb macht er vor allen Dingen eins: Telefonieren.

Nur ein Telefon in der deutschen Botschaft

„Ich habe unzählige Male bei der deutschen Botschaft und bei Fluglinien angerufen. Dabei habe ich erfahren, dass beispielsweise eine Lufthansamaschine zwar gelandet ist – aber leer wieder nach Deutschland zurückgeflogen ist.“

Die Mitarbeiter der Botschaft und des Auswärtigen Amts nimmt er als überfordert war. So gäbe es nur eine einzige Handynummer als Notfallkontakt zur deutschen Botschaft. Er schaffte es zumindest, sich und seine Familie zur Ausreise registrieren zu lassen. „Aber der weitere Kontakt besteht aus nichtssagenden Mails.“ Er vermisst eine Rückholaktion von deutschen Staatsbürgern, er vermisst Unterstützung durch den deutschen Staat.

Meeresbrücke per Kreuzfahrtschiff nach Zypern

Ihm ist es zum Schluss gelungen, für Mittwoch einen Flug nach Zypern zu buchen. „Die Israelis haben bereits eine Meeresbrücke mit einem Kreuzfahrtschiff eingerichtet, das Israelis nach Zypern bringt . Polen setzt seit Sonntag Militärmaschinen ein, um seine Staatsbürger auszufliegen, weitere EU-Staaten haben sich angeschlossen und nutzen ebenfalls die polnischen Militärflugzeuge.“ 


Im Zweifel flüchtet er per JachtSollte der Flug gestrichen werden oder das Fluchtschiff voll sein, dann setzt er auf sein Hobby: Er hat ein Schifferpatent und einen guten Freund, der ihm in diesem Fall seine Jacht leiht – so kann er mit seiner Familie übers Meer nach Zypern flüchten. 

Wie groß ist seine Angst? „Es geht, ich habe gemischte Gefühle. Es ist nicht das erste Mal, dass wir in Israel mit Situationen konfrontiert werden, die wir in Deutschland nicht erleben. Allerdings hat das hier nun eine andere Qualität und das muss ich auch verarbeiten.“ Er weiß aber auch, dass diese noch vorhandene innere Stärke bröckeln kann, „wenn das zwei Wochen so geht wie jetzt – dann bist du einfach durch“.

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