Der Fußball-Kreis Schweinfurt, einst der größte in Bayern, hat vor dem Start der laufenden Saison 16 Mannschaften verloren. Auch in den Kreisen Würzburg (minus 2) und Rhön (minus 1) waren es im Sommer 2021 weniger Teams als in der vorangegangenen, abgebrochenen Corona-Spielzeit. Damit liegt Unterfranken im bundesweiten Trend: Die Zahl der gemeldeten Fußballmannschaften in Deutschland lag in der Saison 2020/21 bei 138 442 Teams und damit um 2,5 Prozent niedriger als in der Spielzeit zuvor. Im Bayerischen Fußball-Verband gab es zwar einen Zuwachs von 0,49 Prozent, geschuldet freilich der gestiegenen Zahl an Kinder-Mannschaften.
Den Schwund an Mannschaften in Unterfranken wertet Gottfried Bindrim, seit 2013 Schweinfurter Kreisvorsitzender und -Spielleiter, als besorgniserregend – zumal der 59-Jährige vergleichbare Entwicklungen für die kommende Saison prognostiziert. Der geschäftsführende Pflegedienstleiter in der Schweinfurter Caritas-Station macht einen soziokulturellen Wandel in der Gesellschaft aus, forciert durch die Corona-Pandemie, wie er im exklusiven Interview mit dieser Redaktion sagt. Beruhigend für die Fußballer sei aktuell allerdings, dass die Wertung der Saison gesichert ist: Die Spielordnung sieht im Falle eines erneuten Corona-Abbruchs wieder die Quotientenregelung vor, da 75 Prozent aller Mannschaften 50 Prozent aller Spiele – so die vorgegebene Quote – bereits absolviert haben.
Gottfried Bindrim: Nein, definitiv nicht. Ich war ja vor meiner jetzigen Funktion als Kreis-Spielleiter im Jugendbereich tätig. Und musste feststellen: Da wurde von den Vereinen lange Zeit zu wenig gemacht. Man hat sich auf die große Zahl an Jugendlichen und Kindern verlassen, sie aber nicht mehr richtig mitgenommen. Das Resultat: Spätestens ab der U 15 brachen massiv Mannschaften weg. Das ist aber auch ein Resultat der "Generation WhatsApp". Vor 20 Jahren hätte sich kein Jugendlicher getraut, eine halbe Stunde vor dem Training oder gar dem Spiel abzusagen. Heute geht es mit einem Knöpfchendruck.
Bindrim: Diese Absagen sind der Anfang, später kommen sie gar nicht mehr. Durch die Sozialen Medien wird zwar miteinander kommuniziert, aber nicht mehr gesprochen. Auf dem Land, in kleinen Dörfern funktioniert das noch besser, da ist der Schwund geringer. Am härtesten trifft es kleine Ballungszentren. Mittelgroße Umlandgemeinden um Schweinfurt oder Würzburg, wo Fusionen einzelner Orte üblich werden. Oder Kleinstädte wie Bad Neustadt mit 16 000 Einwohnern, wo es in der Kernstadt keine Männer-Mannschaft mehr gibt.
Bindrim: Nein. Auch Vereine und Verbände haben die Verdrossenheit dieser heute 20- bis gut 25-Jährigen nicht erkannt. Vor allem in den unteren Klassen, wo die Mannschaften mit Altherren-Spielern aufgefüllt werden. Diese haben jetzt in der Pandemie, während der ersten Lockdowns, erkannt: Es gibt noch etwas anderes als Fußball. Und wenn dann zwei, drei der Jüngeren aus genannten Gründen wegbrechen, sowie zusätzlich noch einmal zwei, drei der Ü-30-Spieler, dann ist das eine halbe Mannschaft.
Bindrim: Diese Veränderung von Parametern gibt es nicht nur im Fußball. Ich sehe das selbst in Dorfgemeinschaften. Durch Lockdowns und Kontaktverbote ist der enge Zusammenhalt weggebrochen. Während frühere Katastrophen die Menschen zusammengeschweißt haben, hat sich durch Corona Egoismus entwickelt. Die Menschen haben gespürt, dass es sich ohne Wochenendtermine auch gut lebt. Ich erkenne einen Werteverfall. Es gibt nicht mehr genug Funktionäre, Trainer und Betreuer, das Ehrenamt verliert an Anziehungskraft. Ich nenne das die "Generation Fitness-Studio": Dort kann ich rein, wann ich will. Im Verein gibt es feste Zeiten und Regeln. Das schreckt ab.
Bindrim: Wir sprechen über neue Spielsysteme. Wir haben erkannt, dass wir den Event-Charakter des Sports fördern müssen. Ohne dass es eine Amerikanisierung unseres Sports gibt. Einen kleinen Schritt habe ich im Raum Schweinfurt gewagt, wir haben jetzt zwischen der Kreis- und der A-Klasse jeweils zwei Releganten. Damit halte ich die Liga länger attraktiv und habe am Ende Spiele, in denen es um etwas geht. Auch bieten wir den Vereinen an, flexibel auf Spieltage unter der Woche auszuweichen. Play-offs wären eine attraktive Sache. Aber: Da reagieren viele im Fußballsport konservativ. Es wird moniert, dass ein Tabellenvierter aufsteigen könnte und der Meister nicht. Da sind einige andere Sportarten weiter.
Bindrim: Das ist richtig. Wir wollen das von Verbandsseite seit Jahren forcieren und würden gerne auf die große Sommerpause verzichten. Wir könnten bis Mitte Juni Relegation spielen und spätestens Mitte Juli wieder beginnen. Aber da sträuben sich viele Vereine. Ein beliebtes Argument ist die sommerliche Platzpflege. Nur: Wenn ich im November meinen Platz nicht umpflüge, muss ich ihn im Frühjahr oder Sommer nicht herrichten. Da sind Strukturen festgefahren.
Bindrim: Die Vereine merken nicht, dass dies zur Reduzierung von Mannschaften führt. Wer erst einmal in eine SG gegangen ist, kehrt in den seltensten Fällen zurück zur Eigenständigkeit. Und: Wenn Verein A mit zwei Mannschaften sowie Verein B mit einer zusammengegangen sind, um drei Mannschaften zu bilden, sind in der Regel nach kurzer Zeit nur zwei übrig geblieben – schlimmstenfalls eine. Ich erlebte das in meinem Heimatverein FC Wasserlosen mit seinem SG-Partner Greßthal. Es fehlt die Identifikation mit einer Ortschaft, auch weil auf dem Papier der Bestand einer SG immer nur auf ein Jahr festgelegt ist und verlängert werden muss.
Bindrim: Richtig. Sie soll von Verbandsseite nur ein Mittel zur Aufrechterhaltung des Spielbetriebs sein, nicht zur Leistungssteigerung. Letzteres war aber oft Motivation. Wir haben den Fehler gemacht, Spielgemeinschaften zu genehmigen, obwohl ausreichend Mannschaften vorhanden waren.
Bindrim: Und genau diese Spieler brechen weg. Sie werden nicht gebraucht, es wird ihnen leicht gemacht, aufzuhören. Und das oftmals bereits im älteren Jugendalter. Es gibt deswegen nur noch wenige U-17- und U-19-Mannschaften.
Bindrim: Doch. Bei den Kleinsten gibt es – vielleicht auch, weil nach den Lockdowns die Kinder wieder bewegt werden wollen – einen Zulauf. Aber bis sich das im Aktivenbereich durchschlägt... Ein Problem könnte sein, dass wir in Bayern in ein paar Jahren verstärkt Ganztagesschulen bekommen, das wird das Freizeitverhalten der Kinder noch einmal verändern. Und: Es wird Kindern vieles zu leicht gemacht; wenn früher ein Kind nicht zurechtgekommen ist im Verein, hieß es: "Beiß dich durch." Heute kommen die Eltern und sagen: "Wir gehen zu einem anderen Verein." Oder das Kind hört auf.
Bindrim: Natürlich hätten wir gerne mehr Mädchen und Frauen im Fußball-Kreis. Die Entwicklung ist allgemein schlecht. Und wir haben hier das Problem, dass die Region Schweinfurt eine Korbball-Hochburg ist. Eigentlich wäre die Rechnung simpel: Bekommst du Mädchen und Frauen in den Fußballverein, bleiben auch die Männer. Auch weil bei Paaren das Verständnis für den gemeinsamen Sport gegeben wäre.
Bindrim: Ein Kreis darf nicht weniger als 100 Mannschaften haben. Aber auch nicht zu groß werden. Deswegen wurde der riesige Kreis Schweinfurt vor 20 Jahren geteilt und der Kreis Rhön geschaffen. Setzt sich der Rückgang an Mannschaften fort, wird das bestehende System mit vier Kreisen in Unterfranken kaum zu halten sein. Im Kreis Schweinfurt werden wir nächste Saison wieder einen Schwund von rund 15 Mannschaften haben. Kleiner dürfen die Ligen nicht werden. Es ist denkbar, dass die B-Klassen verschwinden.
Ein richtiger Schritt wäre die Abschaffung der B-Klassen.
Des Weiteren müsste es bis zur Kreisliga jeweilige Reserve-Ligen für 2. Mannschaften geben. Dadurch wären alle Spieler am Spieltag vereint, der Zusammenhalt innerhalb des Vereins wäre stärker, der Trainer der 1. Mannschaft könnte leichter Spieler der 2. Mannschaft beobachten, diese kurzfristig in die erste Mannschaft berufen (auch aufgrund von Verletzungen/ Urlaubsituationen), der Gastgebende Verein hätte mehr Zuschauer, würde dementsprechend mehr Umsatz machen, weniger Spielabsagen aufgrund von Spielermangel, usw....
Auch wenn derzeit aufgrund von Corona kein Hallensport möglich ist bzw. es wichtigere Themen auf der Welt gibt, sollte auch das Thema Futsal in der Zwangspause kontrovers diskutiert werden..... Der klassische Budenzauber ist deutlich beliebter, jedoch ist selbst bei Kreismeisterschaften Futsal Pflicht. Dadurch gibt es immer weniger Anmeldungen.