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Fußball im Wandel
Immer weniger Fußball-Mannschaften: Werteverfall, Egoismus und festgefahrene Strukturen.
Der Schweinfurter Kreisspielleiter Gottfried Bindrim spricht über die Generationen "WhatsApp" und "Fitness-Studio", zu viele Spielgemeinschaften und fehlenden Event-Charakter.
Skeptischer Blick: Der Schweinfurter Kreis-Spielleiter Gottfried Bindrim macht eine besorgniserregende Entwicklung bei den Meldezahlen aus.
Foto: Dominik Großpietsch | Skeptischer Blick: Der Schweinfurter Kreis-Spielleiter Gottfried Bindrim macht eine besorgniserregende Entwicklung bei den Meldezahlen aus.
Michi Bauer
 |  aktualisiert: 08.02.2024 10:41 Uhr

Der Fußball-Kreis Schweinfurt, einst der größte in Bayern, hat vor dem Start der laufenden Saison 16 Mannschaften verloren. Auch in den Kreisen Würzburg (minus 2) und Rhön (minus 1) waren es im Sommer 2021 weniger Teams als in der vorangegangenen, abgebrochenen Corona-Spielzeit. Damit liegt Unterfranken im bundesweiten Trend: Die Zahl der gemeldeten Fußballmannschaften in Deutschland lag in der Saison 2020/21 bei 138 442 Teams und damit um 2,5 Prozent niedriger als in der Spielzeit zuvor. Im Bayerischen Fußball-Verband gab es zwar einen Zuwachs von 0,49 Prozent, geschuldet freilich der gestiegenen Zahl an Kinder-Mannschaften.

Den Schwund an Mannschaften in Unterfranken wertet Gottfried Bindrim, seit 2013 Schweinfurter Kreisvorsitzender und -Spielleiter, als besorgniserregend – zumal der 59-Jährige vergleichbare Entwicklungen für die kommende Saison prognostiziert. Der geschäftsführende Pflegedienstleiter in der Schweinfurter Caritas-Station macht einen soziokulturellen Wandel in der Gesellschaft aus, forciert durch die Corona-Pandemie, wie er im exklusiven Interview mit dieser Redaktion sagt. Beruhigend für die Fußballer sei aktuell allerdings, dass die Wertung der Saison gesichert ist: Die Spielordnung sieht im Falle eines erneuten Corona-Abbruchs wieder die Quotientenregelung vor, da 75 Prozent aller Mannschaften 50 Prozent aller Spiele – so die vorgegebene Quote – bereits absolviert haben.

Frage: Die Mannschaftsmeldezahlen sind im nördlichsten Bezirk des Bayerischen Fußball-Verbands seit Jahren rückläufig. Am krassesten hat es den Kreis Schweinfurt getroffen mit 16 Abmeldungen im Männerbereich vor der Saison 2020/21. Nur Resultat der Corona-Pandemie?    

Gottfried Bindrim: Nein, definitiv nicht. Ich war ja vor meiner jetzigen Funktion als Kreis-Spielleiter im Jugendbereich tätig. Und musste feststellen: Da wurde von den Vereinen lange Zeit zu wenig gemacht. Man hat sich auf die große Zahl an Jugendlichen und Kindern verlassen, sie aber nicht mehr richtig mitgenommen. Das Resultat: Spätestens ab der U 15 brachen massiv Mannschaften weg. Das ist aber auch ein Resultat der "Generation WhatsApp". Vor 20 Jahren hätte sich kein Jugendlicher getraut, eine halbe Stunde vor dem Training oder gar dem Spiel abzusagen. Heute geht es mit einem Knöpfchendruck. 

Nun ist es aber noch ein weiter Weg von der Absage eines Spielers zur Abmeldung einer Mannschaft.

Bindrim: Diese Absagen sind der Anfang, später kommen sie gar nicht mehr. Durch die Sozialen Medien wird zwar miteinander kommuniziert, aber nicht mehr gesprochen. Auf dem Land, in kleinen Dörfern funktioniert das noch besser, da ist der Schwund geringer. Am härtesten trifft es kleine Ballungszentren. Mittelgroße Umlandgemeinden um Schweinfurt oder Würzburg, wo Fusionen einzelner Orte üblich werden. Oder Kleinstädte wie Bad Neustadt mit 16 000 Einwohnern, wo es in der Kernstadt keine Männer-Mannschaft mehr gibt.

Doch nicht nur wegen Sozialer Medien.

Bindrim: Nein. Auch Vereine und Verbände haben die Verdrossenheit dieser heute 20- bis gut 25-Jährigen nicht erkannt. Vor allem in den unteren Klassen, wo die Mannschaften mit Altherren-Spielern aufgefüllt werden. Diese haben jetzt in der Pandemie, während der ersten Lockdowns, erkannt: Es gibt noch etwas anderes als Fußball. Und wenn dann zwei, drei der Jüngeren aus genannten Gründen wegbrechen, sowie zusätzlich noch einmal zwei, drei der Ü-30-Spieler, dann ist das eine halbe Mannschaft.

Immer weniger Fußball-Mannschaften: Werteverfall, Egoismus und festgefahrene Strukturen.
Sie haben bereits vor dem Rundenstart davon gesprochen, die Pandemie habe auch die soziokulturelle Entwicklung massiv beschleunigt.

Bindrim: Diese Veränderung von Parametern gibt es nicht nur im Fußball. Ich sehe das selbst in Dorfgemeinschaften. Durch Lockdowns und Kontaktverbote ist der enge Zusammenhalt weggebrochen. Während frühere Katastrophen die Menschen zusammengeschweißt haben, hat sich durch Corona Egoismus entwickelt. Die Menschen haben gespürt, dass es sich ohne Wochenendtermine auch gut lebt. Ich erkenne einen Werteverfall. Es gibt nicht mehr genug Funktionäre, Trainer und Betreuer, das Ehrenamt verliert an Anziehungskraft. Ich nenne das die "Generation Fitness-Studio": Dort kann ich rein, wann ich will. Im Verein gibt es feste Zeiten und Regeln. Das schreckt ab.

Hat der Verband den Anschluss verpasst, auf diese Entwicklung zu reagieren?

Bindrim: Wir sprechen über neue Spielsysteme. Wir haben erkannt, dass wir den Event-Charakter des Sports fördern müssen. Ohne dass es eine Amerikanisierung unseres Sports gibt. Einen kleinen Schritt habe ich im Raum Schweinfurt gewagt, wir haben jetzt zwischen der Kreis- und der A-Klasse jeweils zwei Releganten. Damit halte ich die Liga länger attraktiv und habe am Ende Spiele, in denen es um etwas geht. Auch bieten wir den Vereinen an, flexibel auf Spieltage unter der Woche auszuweichen. Play-offs wären eine attraktive Sache. Aber: Da reagieren viele im Fußballsport konservativ. Es wird moniert, dass ein Tabellenvierter aufsteigen könnte und der Meister nicht. Da sind einige andere Sportarten weiter. 

"Die Vereine merken nicht, dass eine Spielgemeinschaft das Mittel zur Reduzierung von Mannschaften ist. Es fehlt die Identifikation mit einer Ortschaft."
Der Schweinfurter Kreis-Spielleiter Gottfried Bindrim zur SG-Flut in Unterfranken
Könnte eine Veränderung der Jahresspielzeit etwas bewirken? Im Sommer ließe sich der Eventcharakter eines Fußballspiels besser bewerkstelligen. Fußball als kleines Fest.

Bindrim: Das ist richtig. Wir wollen das von Verbandsseite seit Jahren forcieren und würden gerne auf die große Sommerpause verzichten. Wir könnten bis Mitte Juni Relegation spielen und spätestens Mitte Juli wieder beginnen. Aber da sträuben sich viele Vereine. Ein beliebtes Argument ist die sommerliche Platzpflege. Nur: Wenn ich im November meinen Platz nicht umpflüge, muss ich ihn im Frühjahr oder Sommer nicht herrichten. Da sind Strukturen festgefahren.

Viele Vereine haben statt neuer Wege Spielgemeinschaften als Allheilmittel auserkoren. Der Kreis Schweinfurt ist bayerischer Rekordhalter mit 69 SGs, in Unterfranken sind es rund 200.

Bindrim: Die Vereine merken nicht, dass dies zur Reduzierung von Mannschaften führt. Wer erst einmal in eine SG gegangen ist, kehrt in den seltensten Fällen zurück zur Eigenständigkeit. Und: Wenn Verein A mit zwei Mannschaften sowie Verein B mit einer zusammengegangen sind, um drei Mannschaften zu bilden, sind in der Regel nach kurzer Zeit nur zwei übrig geblieben – schlimmstenfalls eine. Ich erlebte das in meinem Heimatverein FC Wasserlosen mit seinem SG-Partner Greßthal. Es fehlt die Identifikation mit einer Ortschaft, auch weil auf dem Papier der Bestand einer SG immer nur auf ein Jahr festgelegt ist und verlängert werden muss. 

Der Zweck einer Spielgemeinschaft wurde nicht immer erfüllt.

Bindrim: Richtig. Sie soll von Verbandsseite nur ein Mittel zur Aufrechterhaltung des Spielbetriebs sein, nicht zur Leistungssteigerung. Letzteres war aber oft Motivation. Wir haben den Fehler gemacht, Spielgemeinschaften zu genehmigen, obwohl ausreichend Mannschaften vorhanden waren. 

Spieler, die im Verein A und B jeweils die Nummer 17 im Kader waren, hatten einen Stammplatz in der Zweiten, spielten teils auch Erste. In einer SG sind das die Nummer 33 und 34 im Kader, da reicht es nicht mehr für die Zweite.

Bindrim: Und genau diese Spieler brechen weg. Sie werden nicht gebraucht, es wird ihnen leicht gemacht, aufzuhören. Und das oftmals bereits im älteren Jugendalter. Es gibt deswegen nur noch wenige U-17- und U-19-Mannschaften.

Kein Hoffnungsschimmer in Sicht.

Bindrim: Doch. Bei den Kleinsten gibt es – vielleicht auch, weil nach den Lockdowns die Kinder wieder bewegt werden wollen – einen Zulauf. Aber bis sich das im Aktivenbereich durchschlägt... Ein Problem könnte sein, dass wir in Bayern in ein paar Jahren verstärkt Ganztagesschulen bekommen, das wird das Freizeitverhalten der Kinder noch einmal verändern. Und: Es wird Kindern vieles zu leicht gemacht; wenn früher ein Kind nicht zurechtgekommen ist im Verein, hieß es: "Beiß dich durch." Heute kommen die Eltern und sagen: "Wir gehen zu einem anderen Verein." Oder das Kind hört auf.

Was ist eigentlich mit Mädchen?

Bindrim: Natürlich hätten wir gerne mehr Mädchen und Frauen im Fußball-Kreis. Die Entwicklung ist allgemein schlecht. Und wir haben hier das Problem, dass die Region Schweinfurt eine Korbball-Hochburg ist. Eigentlich wäre die Rechnung simpel: Bekommst du Mädchen und Frauen in den Fußballverein, bleiben auch die Männer. Auch weil bei Paaren das Verständnis für den gemeinsamen Sport gegeben wäre.

Ohne dass es die Zahl der Mannschaften anheben würde: Wäre eine Zusammenführung der Spielkreise Schweinfurt und Rhön eine Variante, um Ligen wieder aufzufüllen? 

Bindrim: Ein Kreis darf nicht weniger als 100 Mannschaften haben. Aber auch nicht zu groß werden. Deswegen wurde der riesige Kreis Schweinfurt vor 20 Jahren geteilt und der Kreis Rhön geschaffen. Setzt sich der Rückgang an Mannschaften fort, wird das bestehende System mit vier Kreisen in Unterfranken kaum zu halten sein. Im Kreis Schweinfurt werden wir nächste Saison wieder einen Schwund von rund 15 Mannschaften haben. Kleiner dürfen die Ligen nicht werden. Es ist denkbar, dass die B-Klassen verschwinden.

 
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Kommentare
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  • haba2908
    @energie……. Top geschrieben ….. so sieht es die Basis. Aber davon haben Koch u Co keine Ahnung bzw ist das den Sch….. egal !
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  • berndburgis
    Hallo "energie", Deine Zeilen sind hervorragend! Zum Thema Futsal: Ich kenne immer noch genügend BFV-Spielleiter, die privat und heimlich nichts vom Futsal halten! Aber offiziell sind sie "kochgeimpft" und müssen eine andere Meinung vertreten! Aber es wird sich viel ändern, denn ich habe gelesen, dass der BFV in einer "Zukunftsanalyse" mehr auf die Sorgen und Wünsche seiner Vereine eingehen will!
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  • david.fleischmann1987@web.de
    Aus meiner Sicht müsste es tiefgreifende Reformen geben.

    Ein richtiger Schritt wäre die Abschaffung der B-Klassen.

    Des Weiteren müsste es bis zur Kreisliga jeweilige Reserve-Ligen für 2. Mannschaften geben. Dadurch wären alle Spieler am Spieltag vereint, der Zusammenhalt innerhalb des Vereins wäre stärker, der Trainer der 1. Mannschaft könnte leichter Spieler der 2. Mannschaft beobachten, diese kurzfristig in die erste Mannschaft berufen (auch aufgrund von Verletzungen/ Urlaubsituationen), der Gastgebende Verein hätte mehr Zuschauer, würde dementsprechend mehr Umsatz machen, weniger Spielabsagen aufgrund von Spielermangel, usw....

    Auch wenn derzeit aufgrund von Corona kein Hallensport möglich ist bzw. es wichtigere Themen auf der Welt gibt, sollte auch das Thema Futsal in der Zwangspause kontrovers diskutiert werden..... Der klassische Budenzauber ist deutlich beliebter, jedoch ist selbst bei Kreismeisterschaften Futsal Pflicht. Dadurch gibt es immer weniger Anmeldungen.
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  • komsan
    @energie dem gibt es nichts hinzuzufügen. Zurück zu den Wurzeln.
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  • Littlejoe
    @ Energie : Genauso ist es mit dem Futsal, wenn Funktionäre wie Koch machen was sie wollen ohne Rücksicht auf die Basis. Der Rest trifft auch den Nagel auf den Kopf.
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