Günther Jackl kämpft. Das ist seine Aufgabe. Er kämpft für die 1647 Vereine, denen Jackl sich als Bezirksvorsitzender des Bayerischen Landes-Sportverbandes (BLSV) verpflichtet fühlt. Vereinen wie dem TV Gerolzhofen, einem Klub, dessen Basis der Hallensport ist und dessen Vorsitzender Bernhard Krapf gerade sagt: "Wir sind traurig und etwas ratlos." Jackl kämpft aber auch gegen Hysterie und gegen den Eindruck, dass die Sportvereine in Bayern generell vor dem Kollaps stünden. Die große Austrittswelle ist auch nach einem Jahr Corona nicht zu sehen – "noch nicht", wie der BLSV-Funktionär sagt. Die Anfang Februar kursierenden Zahlen, die einen Mitgliederschwund von durchschnittlich zehn Prozent für Unterfranken suggerierten, hat Jackl längst wieder kassiert. Tatsächlich lägen die Rückgänge bei "etwa zwei Prozent", und diese Zahlen sind laut Jackl durchaus auf ganz Bayern übertragbar.
Spricht Jackl dieser Tage mit Vereinsvorsitzenden in Unterfranken, dann destilliert er aus diesen Gesprächen zwei Erkenntnisse: erstens die Loyalität vieler Mitglieder. Im Land der Vereinsmeier halten sie ihren Klubs die Treue, selbst wenn sie für ihre Beiträge gerade keine Gegenleistung bekommen. Wer seit Jahren oder gar Jahrzehnten einem Verein angehört, wer darin Hilfe erfahren und Geselligkeit erlebt hat, der lässt ihn in dieser außergewöhnlichen Situation nicht im Stich – es sei denn, jemand zieht um oder verändert seinen Lebensmittelpunkt.
Die hohe Verbundenheit ist für Jackl ein ermutigendes Zeichen, der "große Vorteil der Gemeinschaft im Sport", wie er sagt. Weil den Vereinen aber derzeit die Argumente fehlen, um Neumitglieder zu werben, verlieren sie dennoch Mitglieder. Monat für Monat, Woche für Woche. Das ist die zweite, etwas beunruhigende Entwicklung. In normalen Zeiten halten sich Ein- und Austritte in etwa die Waage. Dieser sich selbst regulierende Effekt funktioniert seit längerer Zeit nicht mehr.
Der TV Gerolzhofen hat sechs Abteilungen – alles Hallensportarten
Ein Verein wie der TV Gerolzhofen bekommt die Dysbalance besonders deutlich zu spüren. Sechs Abteilungen bilden den größten Sportklub in der 7000-Einwohner-Stadt. Neben den Handballern mit zehn Mannschaften gibt es Basketball, Korbball, Turnen, Tischtennis und Schwimmen. Vorsitzender Bernhard Krapf sagt: "Gerade uns mit den vielen Hallensportarten trifft die Corona-Pause extrem hart." Allein in den vergangenen zwölf Monaten habe der Verein 130 Mitglieder verloren. Von einst über 1000 Mitgliedern ist er auf etwa 870 geschrumpft. Für den Vorsitzenden ein besorgniserregender Trend, der sich insofern noch verstärkt, als der Verein momentan auch noch ohne Dach überm Kopf dasteht.
Die große Dreifachturnhalle des Gymnasiums, vertraute Heimstatt des TV Gerolzhofen, muss in Pandemie-Zeiten als Klassenzimmer herhalten, um Abstände wahren zu können. Die kleinere Sporthalle der Realschule fällt für den Sport ebenso aus wie die beiden anderen Turnhallen im Ort. So ist die Zweifachhalle für die Sitzungen des Stadtrats belegt, seitdem die Stadthalle, der frühere Tagungsort des Magistrats, zum Impfzentrum geworden ist. Und in der kleineren Halle tauge die Lüftung nicht für Sportbetrieb unter Corona-Bedingungen. Nicht einmal die Tischtennisspieler könnten dort üben. Es ist ein ständiges Verschieben, Verlagern und Improvisieren, und die Verlierer, so scheint es, sind immer die Sportler. Krapf sagt: "Das geht richtig ans Eingemachte."
Die Frage, wann wieder ein einigermaßen normaler Sportbetrieb möglich ist, kann derzeit niemand beantworten. Es ist diese Perspektivlosigkeit, die an Sportlern wie Funktionären nage, sagt BLSV-Mann Jackl. "Je länger sich das hinzieht, um so schwerer wird es für alle Beteiligten." Wenn es in den vergangenen Wochen eine gute Nachricht gab, dann war es die, dass der Freistaat Bayern die Vereinspauschale wie im Vorjahr von 20 auf 40 Millionen Euro verdoppelt hat. Jackl sagt, er habe dafür vielfach positive Resonanz erfahren. "Das Geld können die Vereine gut gebrauchen." BLSV-Präsident Jörg Ammon spricht von einem "starken Signal für den bayerischen Sport". Andererseits: Was sind 40 Millionen bei 11 700 Sportvereinen in Bayern? Eine Finanzspritze, um das Schlimmste zu verhindern.
Die Novemberhilfen – manche Vereine haben sie bekommen
Manche Klubs haben auch die Novemberhilfe beantragt, die der Staat für Unternehmer und Selbstständige aufgelegt hat. Vereine machten Ausfälle etwa bei Sponsoring oder Bandenwerbung geltend. Aber der bürokratische Aufwand ist hoch, Anträge können nur von Steuerberatern gestellt werden, und der Erfolg ist keineswegs garantiert. Jackl sagt: "Ich weiß von einigen Vereinen, dass sie die Hilfen tatsächlich bekommen haben." Einige Vereine also – in der Krise hat die Bescheidenheit schon immer ihre größten Triumphe gefeiert.
Was es brauche, wäre ein Signal des Aufbruchs, ein Zeichen der Hoffnung. Vielen Sportlern geht es wie Rennpferden in der Box, die mit den Hufen scharren und nicht losgelassen werden. Sie sehen wie so viele das Ziel nicht. Für die Fußballer, die größte Fraktion von Sporttreibenden im Land, hat sich vor einigen Tagen wenigstens so etwas wie ein Silberstreif am düsteren Horizont gezeigt. Ein trüber Spätnachmittag im März auf dem Gelände des FC Gerolzhofen, das Wetter ist nicht sehr einladend, doch das stört die jungen Fußballer hier wenig.
Zum ersten Mal seit Ende Oktober dürfen sich die Kicker der U-13-Mannschaft mit ihrem Trainer Oliver Lück wieder auf dem Fußballplatz treffen. Jungs im Alter von 12 und 13 Jahren, die hier bei eher schattigen vier Grad sprinten und schießen; die aber noch viel mehr antreibt als das bloße Spiel. Nach Monaten im Lockdown und dem Herumsitzen zu Hause sind sie wieder einmal unter ihresgleichen. "Sie haben nur darauf gewartet, dass es endlich wieder losgeht", sagt Übungsleiter Lück. Der soziale Kontakt ist gerade für diese Altersgruppe sehr wichtig, zumal sich viele zuletzt auch in der Schule kaum begegnet sind.
Es ist ein Aufbruch auf Zeit. Ein Spielen unter Bewährung. Niemand weiß, wie sich die Inzidenzzahlen in nächster Zeit entwickeln. Sicher ist nur: Liegt die Inzidenz höher als 100, ist es mit dem Spaß schon wieder vorbei. "Wir müssen immer ein Auge auf die Inzidenz haben", sagt FC-Vorsitzender Ansgar Willacker. Politiker und Wirtschaft, Sport und Kultur – sie alle starren auf die ominöse Zahl wie das Kaninchen auf die Schlange. Die Sieben-Tage-Inzidenz ist in der Pandemie zur alles entscheidenden Währung geworden, deren Wechselkurs seit Monaten von einer zusehends labilen Regierung verhandelt wird. Und gefühlsmäßig haben die Sportler dabei fast immer Verluste erlitten.
Alles, was die Seele des Spiels ausmacht, darf gerade nicht sein
Auch wenn die Corona-Ampel auf Grün steht, muss Oliver Lück beim Jugendfußballtraining in Gerolzhofen penibel auf die Einhaltung von Abständen achten. Beim Aufwärmen, beim Zuspielen, beim Torschuss – ohne Kontrolle geht es nicht. Enge Zweikämpfe, direkter Körperkontakt, genau das eigentlich, was die Seele dieses Spiels ausmacht, darf in Corona-Zeiten nicht sein. Die Verantwortlichen trösten sich damit, das Alles sei besser als gar nichts. Immerhin hat Lück während des langen Lockdowns keinen seiner U-13-Jungs verloren. In anderen Altersklassen, vor allem bei den wankelmütigen Jahrgängen der 15- bis 19-Jährigen, sehe es schon anders aus, sagt Jugendleiter Horst Hauck. Er und Vorsitzender Ansgar Willacker schätzen, dass dem FC Gerolzhofen – bedingt durch die Zwangspause – schon jetzt etwa zehn Prozent seiner aktiven Mitglieder abgesprungen sind. Womöglich auf Nimmerwiedersehen.
Die große Sorge der Vereine, sie schwingt auch beim FC Gerolzhofen unausgesprochen mit in diesen Wochen. "Wenn man die Jungs in einem gewissen Alter nicht zum Sport bekommt, wird es schwer", sagt BLSV-Bezirksvorsitzender Günther Jackl. Zumindest ein Teil der Kinder und Jugendlichen, die jetzt in die Vereine drängen würden, könnte später für sie verloren sein. Niederschwellige Angebote wie das beliebte Mutter-Kind-Turnen, oft der erste Kontakt mit einem Verein, gibt es gar nicht. Deshalb drängt auch Jackl beim Sport auf eine "maßvolle Öffnung". Manche Regelung sei schlicht nicht nachvollziehbar. Dass die Regierung Mallorca als Reiseziel freigebe und kontaktlosen Sport weiter einschränke, ist für den Funktionär einer dieser ungelösten Widersprüche.
Die Hoffnung wächst mit jedem Tag, an dem es wärmer ist
Beim TV Gerolzhofen hoffen sie, dass sie zumindest dorthin kommen, wo der FC Gerolzhofen schon ist: ins Freie. Vorsitzender Bernhard Krapf glaubt, dass sich die Lage in manchen Abteilungen etwas entspannen könnte, wenn die Temperaturen steigen. Die Korbballerinnen wollen ihr Training dann ebenso nach draußen verlegen wie die Handball- und Basketballmannschaften. Die Schwimmer können erst ab Anfang Mai ihre Bahnen im Freibad ziehen – vorausgesetzt, das Schwimmbad hat bis dahin wieder geöffnet.
Krapf findet die Situation nicht nur für Sportlerinnen und Sportler schwierig, sondern auch für Trainer und Betreuerinnen. Viel mehr als abwarten bleibt aber auch ihnen nicht. "Ich weiß nicht", sagt Krapf, "wie es weitergehen soll." Hoffen auf die Politik? "Wir brauchen den Sport", hat Anfang März Bayerns Innenminister Joachim Herrmann (CSU) verkündet. Was der Spitzenpolitiker anzubieten hat, klingt allerdings nicht sehr ermutigend. Es gebe Pläne in der Schublade und – eine Arbeitsgruppe seines Hauses mit anderen Ministerien.
Freundliche Grüße
Lukas Will
Digitales Management - Main-Post