Sport, Kultur, Soziales oder Umweltschutz: Über eine halbe Million Vereine in Deutschland halten die Gesellschaft zusammen, fast jeder zweite Bundesbürger ist Mitglied in mindestens einem Verein. Mit fast einem Viertel stellt der Sport dabei den größten Bereich. Und jeder fünfte Verein ist ein Förderverein. In einer Serie blicken wir in den kommenden Wochen auf Vereine und das Vereinswesen in Unterfranken. Zum Auftakt sprechen wir mit Christoph Hoffmann, seit zehn Jahren Präsident des Verbandes der Würzburger Sportvereine als Dachorganisation für rund 100 Vereine. Der 69-Jährige war Förderschullehrer und Langstreckenläufer (Marathon-Bestzeit 2:32 Stunden) und ist seit 30 Jahren Vorsitzender der Laufgemeinschaft Würzburg, seit 20 Jahren des Vital-Sportvereins Würzburg sowie Kreisvorsitzender der Bayerischen Sportjugend.
Christoph Hoffmann: Das sehe ich nicht. Die Politik weiß um den Stellenwert der Vereinsarbeit in Sport, Kultur oder Sozialbereich. Und die Mitgliederzahlen sind deutschlandweit in den letzten Jahren allein in den Sportvereinen auf fast 25 Millionen weiter gestiegen.
Hoffmann: Natürlich machen sich Individualisierung und Mobilisierung der Gesellschaft auch in den Vereinen bemerkbar. Da sind Planungen nicht mehr so verlässlich wie früher, der Bestand an Mitgliedern schwankt stärker. Um das auszugleichen, schließen sich manche Vereine oder Abteilungen zusammen – gerade im Mannschaftssport.
Hoffmann: Den Trend zum Individualsport gibt es schon länger. Klar, die Leute sind damit zeitlich flexibler. Doch zumindest den Würzburger Sportvereinen hat das bisher kaum geschadet. Eine Umfrage der Universität zeigt, dass gerade einmal zwölf Prozent aller Vereine eine Konkurrenz durch private Sportanbieter sehen. Vor allem Kinder und Jugendliche möchten einfach zusammen Sport treiben. Mit mehr Besorgnis sehe ich den Einfluss der Digitalisierung und den Trend zum E-Sport. Dahinter steht mittlerweile auch ein großer Verband. Mit Bewegung und Gemeinschaftserlebnis hat dieser "Sport" allerdings nichts zu tun.
Hoffmann: Es ist vor allem die Gemeinschaft. Über soziale Grenzen hinweg finden im Sport, aber auch in kulturellen Vereinen Menschen aus unterschiedlichsten Schichten zusammen. Jeder hat seinen Platz, ob in der Mannschaft oder im Orchester. Das ist Kitt für die Gesellschaft und ein Gewinn für jeden persönlich. Training im Team vermittelt soziale Kompetenzen wie fairen Umgang miteinander, man lebt Integration und Inklusion. Es geht um Sozialarbeit. Und das gilt uneingeschränkt für alle Vereine mit Jugendarbeit. Im Sport kommt noch der Gesundheits- und Bewegungsaspekt dazu.
Hoffmann: Das ist pauschal schwer zu beantworten. Wo etwa ländliche Regionen ausbluten und Leute wegziehen, schlägt das auch auf Vereine durch. So ist immer mal von Nachwuchsproblemen bei Gesangsvereinen zu hören. Sie müssen dann fusionieren, um zu überleben. Auch im Sport gibt es mehr Zusammenschlüsse und Spielgemeinschaften, weil sonst in der Jugend keine Mannschaften mehr gebildet werden könnten. Insgesamt sind die unterfränkischen Vereine aber gut aufgestellt. Das hat eine aktuelle Umfrage betreffs Corona ergeben.
Hoffmann: Corona setzt den Vereinen immer mehr zu. Gerade in sozialen Brennpunkten haben zum Teil viele Kinder und Jugendliche ihren Verein verlassen. Wo es kaum Angebote gibt, sparen sich Eltern den Beitrag. In Mannschaftssportarten drohen zwei ganze Jahrgänge wegzubrechen. Da habe ich großen Respekt vor unseren Sportvereinen, wie sie die Situation meistern – auch im fairen Gedanken, dass es anderen Gruppierungen wie den Kulturschaffenden noch schlechter geht.
Hoffmann: Vermutlich ja, auch weil es gute Unterstützung durch Verbände und Kommunen gibt. So hat der BLSV erneut seine Pauschalzuschüsse verdoppelt. Nach einer Umfrage blicken drei Viertel aller Würzburger Vereine trotz Pandemie optimistisch in die Zukunft. Nur fünf Prozent sehen sich in ihrer Existenz bedroht, wenn die Krise über dieses Jahr hinaus anhalten sollte. Bedenklicher ist die Lage für die Kinder und Jugendlichen selbst. Bewegungsmangel hat unerwünschte gesundheitliche Folgen. So wird die ohnehin schon immense Zahl der Nichtschwimmer wieder steigen.
Hoffmann: Ja, durchaus. Die Langeweile der Isolation und Einzelbeschäftigung lässt die Sehnsucht nach Kontakten und gemeinsamen Erlebnissen aufleben. Auch innerhalb der Vereine deutet sich schon ein positiver Trend an: Laut Umfrage legen drei Viertel bewusst wieder mehr Wert auf Gemeinschaft und Zusammenhalt. Auch Eltern werden sich freuen, ihre Kinder wieder in den Verein zu schicken, um nicht mehr allein mit der Vermittlung sozialer Werte befasst zu sein und die Enge des Zusammenlebens zu beenden. Das ist ein großer Vorteil von Gemeinschaften Gleichgesinnter, wie unsere Vereine es sind.
Hoffmann: In Würzburg sieht es bei den Übungs- und Gruppenleitern im Sportbereich noch recht gut aus. Was auch daran liegt, dass Studierende der Sport-Uni regelmäßig zur Verfügung stehen. Auch die Einrichtung von Stellen für ein Freiwilliges Soziales Jahr hat sich bewährt. Letztlich müssen sich die Vereine selbst ständig um neues, in der Regel ehrenamtliches Personal bemühen. Das geht über persönliche Ansprache und Angebote zur Weiterbildung.
Hoffmann: Unentgeltlich Zeit aufzubringen, ist weniger oder selten das Problem. Es sind eher die wachsende Bürokratie, die große Verantwortung, juristische oder steuerliche Problematiken, die Leute davon abhalten, derlei Verpflichtungen einzugehen. Die Umfrage der Uni hat ergeben, dass 55 Prozent aller in Sportvereinen tätigen Vorstandsmitglieder schon zwischen 30 und 50 Jahren im Ehrenamt sind. Das deutet auf geringe Fluktuation und Nachwuchsproblematik hin.
Hoffmann: Da tun sich Vereine mittlerweile tatsächlich schwer. Je länger ein Vorsitzender im Amt ist, umso größer wird der Schuh für den Nachfolger. Rechtzeitige Arbeits- bzw. Zuständigkeitsteilung mit jungen Nachwuchskräften könnte nicht nur im Vorsitz entlasten, sondern auch fließende Übergänge erleichtern und Perspektiven für neue Führungskräfte ermöglichen.
Hoffmann: Zumindest nicht attraktiver. Wir haben es mit einer teils ausufernden Bürokratie zu tun, alles muss dokumentiert und dreifach abgesichert sein. Fortlaufend muss man sich in neue Programme, digitale Strukturen und Vorgaben einarbeiten. Dazu der Datenschutz... Beispiel Mannschaftsfoto: Da benötigt der Vorsitzende vor einer Veröffentlichung die Zustimmung jedes einzelnen. Auch finanziell gibt es Herausforderungen, gerade weil der Vorstand komplett haftet. Da schwingt bei vielen die Angst vor juristischen Auseinandersetzungen mit. Wohl dem Großverein, der sich einen hauptamtlichen Geschäftsführer leistet kann, wie in Würzburg etwa die TGW. Das entlastet den Vorstand immens.
Hoffmann: Weil es Freude macht, mit anderen Menschen gemeinsam etwas auf die Beine zu stellen. Ich denke, die Ehrenamtsarbeit hat einen großen Wert und viel Sinnstiftendes – für die Gesellschaft einerseits, sie bringt aber auch persönliche Zufriedenheit und Anerkennung. Außerdem kann man durch Übernahme von Aufgaben und Verantwortung eigene Kompetenzen entwickeln und einüben. Im besten Fall wird sozusagen eine Win-Win-Situation daraus, für den Einzelnen und den Verein.
Hoffmann: Um Mitglieder zu halten oder zu gewinnen, bedarf es immer wieder neuer Ideen, Projekte oder interessanter Angebote sportlicher oder gesellschaftlicher Art. Aus meiner Erfahrung sind dafür Fahrten zu Wettkämpfen, Reisen, Feiern und eigene Sportveranstaltungen nach wie vor attraktive Möglichkeiten. Gerade Kinder und Jugendliche erinnern sich lange an gemeinsame Zeltlager, Fahrten in Partnerstädte oder Besuche hochrangiger Veranstaltungen und bleiben ihrem Verein treu.