zurück
Würzburg
Vereine in Unterfranken: Ein Vereinsmensch sagt, was sie so wertvoll macht
Vereine bringen Menschen zusammen - für Sport und Kultur, Gesundheit und Bildung. Zum Auftakt unserer neuen Serie ein Gespräch darüber, was der Gesellschaft ohne sie fehlen würde.
Er weiß, was Vereine leisten und vor welchen Herausforderungen sie stehen: Christoph Hoffmann, Präsident des Verbands der Würzburger Sportvereine und selbst Vorsitzender von zwei Vereinen. 
Foto: Patty Varasano | Er weiß, was Vereine leisten und vor welchen Herausforderungen sie stehen: Christoph Hoffmann, Präsident des Verbands der Würzburger Sportvereine und selbst Vorsitzender von zwei Vereinen. 
Andreas Jungbauer
 |  aktualisiert: 08.02.2024 11:06 Uhr

Sport, Kultur, Soziales oder Umweltschutz: Über eine halbe Million Vereine in Deutschland halten die Gesellschaft zusammen, fast jeder zweite Bundesbürger ist Mitglied in mindestens einem Verein. Mit fast einem Viertel stellt der Sport dabei den größten Bereich. Und jeder fünfte Verein ist ein Förderverein. In einer Serie blicken wir in den kommenden Wochen auf Vereine und das Vereinswesen in Unterfranken. Zum Auftakt sprechen wir mit Christoph Hoffmann, seit zehn Jahren Präsident des Verbandes der Würzburger Sportvereine als Dachorganisation für rund 100 Vereine. Der 69-Jährige war Förderschullehrer und Langstreckenläufer (Marathon-Bestzeit 2:32 Stunden) und ist seit 30 Jahren Vorsitzender der Laufgemeinschaft Würzburg, seit 20 Jahren des Vital-Sportvereins Würzburg sowie Kreisvorsitzender der Bayerischen Sportjugend. 

Frage: Vereine gelten als wichtige Säulen der Gesellschaft. Haben Sie an Bedeutung verloren?

Christoph Hoffmann: Das sehe ich nicht. Die Politik weiß um den Stellenwert der Vereinsarbeit in Sport, Kultur oder Sozialbereich. Und die Mitgliederzahlen sind deutschlandweit in den letzten Jahren allein in den Sportvereinen auf fast 25 Millionen weiter gestiegen.

Allerdings in weniger Sportvereinen. In Bayern waren es im vergangenen Jahr noch 11 800, aber die Kurve zeigt seit zehn Jahren leicht nach unten. Was ist da los?

Hoffmann: Natürlich machen sich Individualisierung und Mobilisierung der Gesellschaft auch in den Vereinen bemerkbar. Da sind Planungen nicht mehr so verlässlich wie früher, der Bestand an Mitgliedern schwankt stärker. Um das auszugleichen, schließen sich manche Vereine oder Abteilungen zusammen – gerade im Mannschaftssport.

Leute binden sich weniger gern. Spielt die Konkurrenz durch Fitnesstudios eine Rolle?

Hoffmann: Den Trend zum Individualsport gibt es schon länger. Klar, die Leute sind damit zeitlich flexibler. Doch zumindest den Würzburger Sportvereinen hat das bisher kaum geschadet. Eine Umfrage der Universität zeigt, dass gerade einmal zwölf Prozent aller Vereine eine Konkurrenz durch private Sportanbieter sehen. Vor allem Kinder und Jugendliche möchten einfach zusammen Sport treiben. Mit mehr Besorgnis sehe ich den Einfluss der Digitalisierung und den Trend zum E-Sport. Dahinter steht mittlerweile auch ein großer Verband. Mit Bewegung und Gemeinschaftserlebnis hat dieser "Sport" allerdings nichts zu tun.

Christoph Hoffmann sieht die Vereinsarbeit als Sozialarbeit.
Foto: Patty Varasano | Christoph Hoffmann sieht die Vereinsarbeit als Sozialarbeit.
Was ist denn der besondere Wert eines Vereins?

Hoffmann: Es ist vor allem die Gemeinschaft. Über soziale Grenzen hinweg finden im Sport, aber auch in kulturellen Vereinen Menschen aus unterschiedlichsten Schichten zusammen. Jeder hat seinen Platz, ob in der Mannschaft oder im Orchester. Das ist Kitt für die Gesellschaft und ein Gewinn für jeden persönlich. Training im Team vermittelt soziale Kompetenzen wie fairen Umgang miteinander, man lebt Integration und Inklusion. Es geht um Sozialarbeit. Und das gilt uneingeschränkt für alle Vereine mit Jugendarbeit. Im Sport kommt noch der Gesundheits- und Bewegungsaspekt dazu.

Wie geht es den Vereinen in Unterfranken? Sind sie gesund oder gibt es Überlebenskämpfe? 

Hoffmann: Das ist pauschal schwer zu beantworten. Wo etwa ländliche Regionen ausbluten und Leute wegziehen, schlägt das auch auf Vereine durch. So ist immer mal von Nachwuchsproblemen bei Gesangsvereinen zu hören. Sie müssen dann fusionieren, um zu überleben. Auch im Sport gibt es mehr Zusammenschlüsse und Spielgemeinschaften, weil sonst in der Jugend keine Mannschaften mehr gebildet werden könnten. Insgesamt sind die unterfränkischen Vereine aber gut aufgestellt. Das hat eine aktuelle Umfrage betreffs Corona ergeben.

Gutes Stichwort. Bringt die Pandemie die Vereine in Schieflage? 

Hoffmann: Corona setzt den Vereinen immer mehr zu. Gerade in sozialen Brennpunkten haben zum Teil viele Kinder und Jugendliche ihren Verein verlassen. Wo es kaum Angebote gibt, sparen sich Eltern den Beitrag. In Mannschaftssportarten drohen zwei ganze Jahrgänge wegzubrechen. Da habe ich großen Respekt vor unseren Sportvereinen, wie sie die Situation meistern – auch im fairen Gedanken, dass es anderen Gruppierungen wie den Kulturschaffenden noch schlechter geht.

Kommen die Vereine also mit einem blauen Auge durch die Pandemie?

Hoffmann: Vermutlich ja, auch weil es gute Unterstützung durch Verbände und Kommunen gibt. So hat der BLSV erneut seine Pauschalzuschüsse verdoppelt. Nach einer Umfrage blicken drei Viertel aller Würzburger Vereine trotz Pandemie optimistisch in die Zukunft. Nur fünf Prozent sehen sich in ihrer Existenz bedroht, wenn die Krise über dieses Jahr hinaus anhalten sollte. Bedenklicher ist die Lage für die Kinder und Jugendlichen selbst. Bewegungsmangel hat unerwünschte gesundheitliche Folgen. So wird die ohnehin schon immense Zahl der Nichtschwimmer wieder steigen. 

Erinnerung an die aktive Zeit: Christoph Hoffmann mit einer kleinen Auswahl seiner Medaillen und Pokale als Langstreckenläufer.
Foto: Patty Varasano | Erinnerung an die aktive Zeit: Christoph Hoffmann mit einer kleinen Auswahl seiner Medaillen und Pokale als Langstreckenläufer.
Könnte es umgekehrt einen positiven Corona-Effekt geben? Dass Vereine und Gemeinschaft wertgeschätzt werden?

Hoffmann: Ja, durchaus. Die Langeweile der Isolation und Einzelbeschäftigung lässt die Sehnsucht nach Kontakten und gemeinsamen Erlebnissen aufleben. Auch innerhalb der Vereine deutet sich schon ein positiver Trend an: Laut Umfrage legen drei Viertel bewusst wieder mehr Wert auf Gemeinschaft und Zusammenhalt. Auch Eltern werden sich freuen, ihre Kinder wieder in den Verein zu schicken, um nicht mehr allein mit der Vermittlung sozialer Werte befasst zu sein und die Enge des Zusammenlebens zu beenden. Das ist ein großer Vorteil von Gemeinschaften Gleichgesinnter, wie unsere Vereine es sind.

Wie schwer ist es, noch Vorstände, Abteilungsleiter, Gruppenbetreuer oder Trainer zu finden?

Hoffmann: In Würzburg sieht es bei den Übungs- und Gruppenleitern im Sportbereich noch recht gut aus. Was auch daran liegt, dass Studierende der Sport-Uni regelmäßig zur Verfügung stehen. Auch die Einrichtung von Stellen für ein Freiwilliges Soziales Jahr hat sich bewährt. Letztlich müssen sich die Vereine selbst ständig um neues, in der Regel ehrenamtliches Personal bemühen. Das geht über persönliche Ansprache und Angebote zur Weiterbildung.

Wie groß ist die Bereitschaft, Zeit für ein Ehrenamt im Verein aufzubringen?

Hoffmann: Unentgeltlich Zeit aufzubringen, ist weniger oder selten das Problem. Es sind eher die wachsende Bürokratie, die große Verantwortung, juristische oder steuerliche Problematiken, die Leute davon abhalten, derlei Verpflichtungen einzugehen. Die Umfrage der Uni hat ergeben, dass 55 Prozent aller in Sportvereinen tätigen Vorstandsmitglieder schon zwischen 30 und 50 Jahren im Ehrenamt sind. Das deutet auf geringe Fluktuation und Nachwuchsproblematik hin.

Vor allem bei der Suche nach Vereinsvorsitzenden?

Hoffmann: Da tun sich Vereine mittlerweile tatsächlich schwer. Je länger ein Vorsitzender im Amt ist, umso größer wird der Schuh für den Nachfolger. Rechtzeitige Arbeits- bzw. Zuständigkeitsteilung mit jungen Nachwuchskräften könnte nicht nur im Vorsitz entlasten, sondern auch fließende Übergänge erleichtern und Perspektiven für neue Führungskräfte ermöglichen.

Christoph Hoffmann war über viele Jahre erfolgreicher Langstreckenläufer, hier bei einem 'Ultra' über 63 Kilometer in Connemara (Irland) im Jahr 2012.
Foto: privat | Christoph Hoffmann war über viele Jahre erfolgreicher Langstreckenläufer, hier bei einem "Ultra" über 63 Kilometer in Connemara (Irland) im Jahr 2012.
Ist der Vereinsjob unattraktiv geworden?

Hoffmann: Zumindest nicht attraktiver. Wir haben es mit einer teils ausufernden Bürokratie zu tun, alles muss dokumentiert und dreifach abgesichert sein. Fortlaufend muss man sich in neue Programme, digitale Strukturen und Vorgaben einarbeiten. Dazu der Datenschutz... Beispiel Mannschaftsfoto: Da benötigt der Vorsitzende vor einer Veröffentlichung die Zustimmung jedes einzelnen. Auch finanziell gibt es Herausforderungen, gerade weil der Vorstand komplett haftet. Da schwingt bei vielen die Angst vor juristischen Auseinandersetzungen mit. Wohl dem Großverein, der sich einen hauptamtlichen Geschäftsführer leistet kann, wie in Würzburg etwa die TGW. Das entlastet den Vorstand immens. 

Warum also dennoch ein Ehrenamt im Verein übernehmen?

Hoffmann: Weil es Freude macht, mit anderen Menschen gemeinsam etwas auf die Beine zu stellen. Ich denke, die Ehrenamtsarbeit hat einen großen Wert und viel Sinnstiftendes – für die Gesellschaft einerseits, sie bringt aber auch persönliche Zufriedenheit und Anerkennung. Außerdem kann man durch Übernahme von Aufgaben und Verantwortung eigene Kompetenzen entwickeln und einüben. Im besten Fall wird sozusagen eine Win-Win-Situation daraus, für den Einzelnen und den Verein.

Was können denn Vereine tun, um attraktiv zu bleiben – für Mitglieder und für Ehrenamtler?

Hoffmann: Um Mitglieder zu halten oder zu gewinnen, bedarf es immer wieder neuer Ideen, Projekte oder interessanter Angebote sportlicher oder gesellschaftlicher Art. Aus meiner Erfahrung sind dafür Fahrten zu Wettkämpfen, Reisen, Feiern und eigene Sportveranstaltungen nach wie vor attraktive Möglichkeiten. Gerade Kinder und Jugendliche erinnern sich lange an gemeinsame Zeltlager, Fahrten in Partnerstädte oder Besuche hochrangiger Veranstaltungen und bleiben ihrem Verein treu. 

Unterfranken. Deine Vereine.

Das Ehrenamt in Vereinen ist in Deutschland eine wichtige Säule der Gesellschaft. Die Deutschen lieben ihre Vereine. Allein in den rund 90 000 Turn- und Sportvereinen des Deutschen Olympischen Sportbundes gibt es etwa 24,8 Millionen Mitglieder. Der ADAC zählt rund 20 Millionen Mitglieder, der Alpenverein 1,2 Millionen.
In Bayern gab es Ende 2020 laut Justizministerium 93 044 eingetragene Vereine, nahezu jeder Zweite über 14 Jahren engagiert sich ehrenamtlich. 
Auch in Unterfranken ist das Vereinsleben sehr lebendig – und bietet viel mehr als Fußballklub und Feuerwehr. Im Rahmen unserer neuen Serie werden wir in den kommenden Wochen ganz besondere und ungewöhnliche Vereine aus der Region vorstellen: Seien Sie gespannt auf unsere Beiträge - unter anderem über Raucher und Dudelsackspieler, Ballonfahrer und Bridgefreunde, Bartträger und Geflügelzüchter. 
 ach
 
Themen & Autoren / Autorinnen
Würzburg
Andreas Jungbauer
ADAC
Christoph Hoffmann
Feuerwehren
Geflügelzüchter
Gesangsvereine
Gesellschaft und Bevölkerungsgruppen
Jugendsozialarbeit
Kinder und Jugendliche
Sozialarbeit
Sportjugendorganisationen
Turn- und Sportvereine
Vereinsarbeit
Vereinsserie 2021
Lädt

Damit Sie Schlagwörter zu "Meine Themen" hinzufügen können, müssen Sie sich anmelden.

Anmelden Jetzt registrieren

Das folgende Schlagwort zu „Meine Themen“ hinzufügen:

Sie haben bereits von 50 Themen gewählt

bearbeiten

Sie folgen diesem Thema bereits.

entfernen
Kommentare
Aktuellste
Älteste
Top
  • isabellaihrig@web.de
    Für viele sind doch Vereine nur noch Mittel zum Zweck. Keine Identifikation mit dem Verein, Beitritt nur weil zur Ausübung des Sports oder Singens oder was auch immer notwendig. Mithilfe, Arbeitseinsätze, Dienst im Vereinsheim - Fehlanzeige. Logisch, dass man dann schnellstmöglich wieder austritt, wenn kein Nutzen weil Übungsstunden und Wettkämpfe nicht stattfinden. Insofern muss sich niemand beschweren, wenn immer mehr Vereine verschwinden oder fusionieren, sondern man fasse sich an die eigene Nase und frage sich, was man zum Erhalt und der Belebung beitragen kann.
    • Bitte melden Sie sich an Gefällt mir () Gefällt mir nicht mehr ()
    • Antworten
  • attheendoftheday
    Wenn das mit der IsolierungsPolitik so weiter geht, isses mit Vereinsleben vorbei. Gerade in den Vereinen wird doch immer aufgepasst, dass alles passt.
    • Bitte melden Sie sich an Gefällt mir () Gefällt mir nicht mehr ()
    • Antworten