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FUSSBALL
DAZN-Experte Sebastian Kneißl: "Ich begegne Morddrohungen mit netten Sprachnachrichten"
Der frühere Schweinfurter Fußballer ist mittlerweile Teil des Teams von Streaming-Dienst DAZN. Bald ist er wieder in der Champions League im Einsatz.
Vom Feld ans Mikro: Der Ex-Spieler des FC 05 Schweinfurt, Sebastian Kneißl (hier rechts beim Interview mit Mario Götze von Eintracht Frankfurt), ist nun als Experte rund um nationale und internationale Fußballspiele im Einsatz.
Foto: Luca Weigand | Vom Feld ans Mikro: Der Ex-Spieler des FC 05 Schweinfurt, Sebastian Kneißl (hier rechts beim Interview mit Mario Götze von Eintracht Frankfurt), ist nun als Experte rund um nationale und internationale Fußballspiele ...
Dominik Großpietsch
 |  aktualisiert: 15.07.2024 15:25 Uhr

Sebastian Kneißl hat viel erlebt: In seiner Jugend galt der 40-Jährige als eines der vielversprechendsten deutschen Fußball-Talente und wurde mit der U 19 Vize-Europameister. Aus dem Profigeschäft, das ihm zu oberflächlich war, schied der Odenwälder mit 24 aus und spielte fortan meist in der Bayern- und Regionalliga. Mittlerweile ist der Mann, der zwischen Januar 2009 und Ende Juni 2013 beim FC 05 Schweinfurt unter Vertrag stand, selbstständiger Individualtrainer und Experte beim Streaming-Dienst DAZN. Ein Gespräch über ungewöhnliche Wege, das Verhältnis zu den Stars und Hasskommentare im Internet.

Herr Kneißl, Sie sind am 28. November wieder als Champions-League-Experte beim Spiel Manchester City gegen RB Leipzig im Einsatz. Klingt einfach.  

Sebastian Kneißl: Unter zehn Stunden Vorbereitung geht da nichts. Generell bereite ich mich nicht nur auf das Match vor. Vor jeder Saison lege ich mir eine Excel-Liste an, in der es um die Spielweise, Taktik, Trainer, den Sportleiter, die Entwicklung des Vereins und um die Spieler mit ihren Stärken und Schwächen geht. Wenn man die gut pflegt, ist sie ein echter Schatz. Zudem bekomme ich Statistiken, die ich interpretieren soll. Letztlich muss man das Ganze den Zuschauern verständlich machen und es so rüberbringen, dass es unterhaltsam ist. Hinzu kommt, dass ich oft mit Trainern, Sportleitern oder Spielern telefoniere. Ich gebe mehrere hundert Euro im Monat für den Zugang zu Analyseplattformen aus, um die besten Infos zu bekommen. Natürlich gucke ich mir Videos an – von gelungenen Aktionen zum Beispiel.

Trotz der ganzen Vorbereitung stehen Experten immer wieder in der Kritik.

Kneißl: Hassnachrichten bekomme ich jede Woche. Die Beschimpfungen sind schlimmer geworden als zu meiner Zeit als Spieler. Kommentiert man etwas von Team A positiv, kriegt man vom Fanlager B Hass. Morddrohungen und Sätze wie "Ich weiß, wo deine Kinder zur Schule gehen" sind keine Seltenheit. Ich begegne diesen Morddrohungen mit netten Sprachnachrichten und bekomme zu 98 Prozent eine Entschuldigung. Ich sehe das als kurzfristige Emotion, vergleichbar mit Trash-Talk auf dem Spielfeld – nach dem Abpfiff ist alles wieder vorbei. Weil ich auf jede Nachricht reagiere, fühlen sich die Leute ernst genommen und werden zum Teil sogar meine Follower.

Grätschte zum Ende seiner Zeit beim FC 05 Schweinfurt auch als Rechtsverteidiger dazwischen: Sebastian Kneißl (Mitte), hier im April 2013 beim Spiel gegen den TSV Großbardorf um Philipp Kleinhenz (links) und Markus Kirchner (rechts). 
Foto: Marion Wetterich | Grätschte zum Ende seiner Zeit beim FC 05 Schweinfurt auch als Rechtsverteidiger dazwischen: Sebastian Kneißl (Mitte), hier im April 2013 beim Spiel gegen den TSV Großbardorf um Philipp Kleinhenz (links) und Markus ...
Den recht impulsiven Spieler Sebastian Kneißl hätte das deutlich mehr gewurmt.

Kneißl: Früher habe ich mir jedes negative Wort zu Herzen genommen. Heute bin ich deutlich ruhiger geworden. Ich habe mir nicht umsonst die Worte "Self Care", "Kindness" und "Dankbarkeit" auf den Arm tätowieren lassen, denn ich versuche, auf mich zu achten, nett und dankbar zu sein.

Waren Sie als Aktiver immer nett und dankbar?

Kneißl: Als Spieler war das Training für mich das ein oder andere Mal eine lästige Nummer. Als Mannschaftstrainer habe ich das wiedererkannt, als ich beim SV Heimstetten II in der Kreisliga oder beim SV Baldham-Vaterstetten in der Bezirksliga Leute zum Training schleppen musste. Gerd Klaus, der in Schweinfurt mein Trainer war, hat mich sehr geprägt. Bei ihm hatte jeder Spieler seine Freiheiten. Das hat er ganz offen kommuniziert. Ich musste nach den Spielen nie mit auslaufen, weil meine Freundin in München war. So hatte ich einen halben Tag länger frei.

Ihnen war und ist das Familienleben wichtig – jetzt ungemein, da Sie zwei Kinder haben. Und der Vater hat permanent Stress.  

Kneißl: Das ist ein großer Reisestress, ja. Aber der hat mit der schönsten Sportart der Welt zu tun. Ich würde mich nie beschweren. Aber es gibt diese Tage, an denen ich von unserem Wohnort Darmstadt gut 400 Kilometer nach München fahre, dort ein Spiel mache, nachts zurückfahre und um sechs Uhr wieder aufstehe, um die Kinder zur Schule zu bringen. Dieser nächste Tag ist echt hart.

"Ich versuche, nicht zu viel zu kritisieren, sondern zu feiern, was die Jungs auf dem Feld machen."
Fußball-Experte Sebastian Kneißl über seine Herangehensweise
Hart ist bis heute auch das Fußball-Business. Sie sind ja nicht richtig zum Zug gekommen. Passen Werte wie Dankbarkeit und Nettigkeit noch?

Kneißl: Ja, ich kann jedem nur raten, mit mir zusammenzuarbeiten, denn ich habe mir im Laufe meiner Karriere viele harte Fragen gestellt, sie mir stellen müssen – und mich dazu entschlossen, die Laufbahn auf höherem Niveau nach einem Syndesmosebandriss in der Regionalliga in Heimstetten zu beenden. Zu meiner Zeit war es verpönt, zu sagen: "Ich arbeite im psychischen Bereich." Der Profi muss cool und hart sein. Der Fokus liegt leider nur auf negativen Schlagzeilen, jetzt ist ja noch Social Media dabei, was es damals nicht gab. Deswegen will ich da – auch mit meinen Werten – unterstützend wirken.

Sieht sich als 'No-Name-Experte': Sebastian Kneißl hat den Job unter anderem seiner Premier-League-Kenntnis zu verdanken.
Foto: Luca Weigand | Sieht sich als "No-Name-Experte": Sebastian Kneißl hat den Job unter anderem seiner Premier-League-Kenntnis zu verdanken.
Dabei kann ein Experte schnell für negative Schlagzeilen sorgen.

Kneißl: Ich versuche, nicht zu viel zu kritisieren, sondern zu feiern, was die Jungs auf dem Feld machen. Es ist einfach, zu sagen, wer einen Stellungsfehler gemacht hat. Schwer wird es, das Spiel mit dem Ball richtig einzuschätzen. Ich glaube, dass ich das kann, denn ich habe gehört, dass ich in den letzten zwei Jahren einer der Experten mit den meisten Einsätzen war. Dass es so weit gekommen ist, habe ich auch meiner Karriere mit Stationen wie beim FC Chelsea London zu verdanken. DAZN ist mit der Premier League gestartet. So viele Experten für ein Start-up gab es 2016 nicht, da war das ganz förderlich. Natürlich habe ich nicht den Namen wie Michael Ballack, Christoph Kramer oder Dietmar Hamann, weshalb ich mich "No-Name-Experte" nenne.

Die Stars, wie der Leverkusener Trainer Xabi Alonso, mit dem Sie ein Foto gemacht und es auf Instagram gepostet haben, kennen Sie also nicht so recht?

Kneißl: Da gibt es eine Anekdote hinsichtlich des Fotos. (lacht) Vor dem Spiel hat Xabi Alonso tatsächlich nachgefragt, wer ich denn sei. Auch unsere DAZN-Pressesprecherin hat dieses Jahr noch gefragt, was ich denn im Leben so gemacht hätte. Deswegen braucht es eine realistische Analyse von dem, was man ist. Die DAZN-Kundschaft kennt mich, aber ich habe noch keinen großen Namen. Trotzdem gab es ein Foto mit Xabi Alonso – und auch Lob von ihm für meine Herangehensweise.  Mittlerweile habe ich ein paar Spiele mit Beteiligung von Bayer Leverkusen gemacht, nun kennen und schätzen wir uns.

Bis heute sehr gute Freunde: Florian Hetzel (links) und Sebastian Kneißl, die hier nach dem 7:0 des FC 05 Schweinfurt gegen den ASV Hollfeld im Mai 2013 jubeln. 
Foto: Marion Wetterich | Bis heute sehr gute Freunde: Florian Hetzel (links) und Sebastian Kneißl, die hier nach dem 7:0 des FC 05 Schweinfurt gegen den ASV Hollfeld im Mai 2013 jubeln. 
Auch in Schweinfurt sind Sie bekannt. Verfolgen Sie den Weg des FC 05 noch?

Kneißl: Nicht mehr so intensiv wie früher. Es sind ja nur noch wenige Spieler wie Kevin Fery im Verein, die ich kenne. Aber ich bekomme es natürlich mit, wenn Leute aus dem Umfeld des FC 05 sterben – wie unser Betreuer Matze Nottelmann oder Stadionsprecher Jürgen Marten.

Zu wem von damals haben Sie bis heute Kontakt?

Kneißl: Zu Markus Wolf, für den ich auch gearbeitet habe. Den Weg von Norbert Kleider verfolge ich auch. Gerd Klaus, der mich vom offensiven Mittelfeldspieler zum Rechtsverteidiger gemacht hat, habe ich dieses Jahr auf Mallorca wieder mal getroffen. Mit Urgestein Andreas Binner oder Andreas Bäuerlein ist der Kontakt ganz eng, zudem trifft sich die Aufstiegsmannschaft noch regelmäßig. Zwischen mir und Florian Hetzel ist eine richtig gute Freundschaft entstanden. Ich bin oft bei ihm – und er war mit seiner Familie Überraschungsgast bei meinem 40. Geburtstag.

Zur Person

Sebastian Kneißl, der in Darmstadt lebt und Vater zweier Kinder ist, wurde am 13. Januar 1983 in Lindenfels im Odenwald geboren. Das Kicken lernte er bei der KSG Mitlechtern, später wechselte er zum FC Bensheim, Eintracht Frankfurt und zum FC Chelsea London. Bei den Londonern blieb Kneißl der Durchbruch verwehrt. Nach den Stationen Dundee, Westerlo (jeweils Leihen), Wacker Burghausen, Fortuna Düsseldorf, AFC Wimbledon und SpVgg Weiden stieß er im Januar 2009 zum FC 05 Schweinfurt, wo er bis Ende Juni 2013 blieb. Hernach war Kneißl noch in Heimstetten und beim SC Baldham-Vaterstetten (teilweise als Spielertrainer) aktiv, ehe er 2020 aufhörte. Neben seiner Tätigkeit als Experte ist Kneißl als Individualtrainer tätig.
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