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Was macht eigentlich?
Als FC-05-Stürmer Joachim Reuß alle nur den "Rhön-Bomber" nannten
Früher im Stadion oder der Halle erfolgreich – und jetzt? Wie geht es Unterfranken, die den Sport prägten, nach der Karriere? Diese Woche erzählt der ehemalige Zweitliga-Stürmer Joachim Reuß aus seinem Leben.
Spektakuläre Einlage: 'Rhön-Bomber' Joachim Reuß probierte es in diesem Zweitliga-Spiel des FC 05 Schweinfurt mit einem Seitfallzieher - eines seiner sechs Saisontore wurde es nicht, schön anzuschauen war's allemal.
Foto: Josef Schäfer | Spektakuläre Einlage: "Rhön-Bomber" Joachim Reuß probierte es in diesem Zweitliga-Spiel des FC 05 Schweinfurt mit einem Seitfallzieher - eines seiner sechs Saisontore wurde es nicht, schön anzuschauen war's allemal.
Michi Bauer
 |  aktualisiert: 08.02.2024 11:34 Uhr

Der Spitzname war so ungewöhnlich wie legendär: "Rhön-Bomber". So nannten die Fans des FC 05 Schweinfurt Joachim Reuß, den nur 1,73 Meter großen Stürmer aus, na, klar, der Rhön. Seine grandiose Torausbeute beim FC Unterelsbach hatte Ende der Achtziger den ebenfalls aus der Rhön stammenden Werner Köhler bewogen, ihn einmal zum Training des damaligen Bayernligisten mitzunehmen. Trainer Werner Lorant war begeistert.

Und Reuß sollte den Wechsel vor der Saison 1989/90 nicht bereuen: In derselben Runde sicherten sich die Schweinfurter am 11. Mai 1990 mit dem unvergessenen 3:3 (Reuß traf zum zwischenzeitlichen 3:2-Führungstreffer) beim TSV 1860 München am letzten Spieltag die Meisterschaft, die Qualifikation zur Aufstiegsrunde und dort letztlich auch den Sprung in die 2. Bundesliga. Das Gastspiel dauerte zwar nur ein Jahr, doch vor dem sofortigen Wiederabstieg ("die lange Aufstiegsrunde war für unser körperbetontes Spiel mit überwiegend namenlosen Akteuren ungünstig") gelangen dem Rechtsfuß in 28 Einsätzen sechs Treffer – womit er die interne FC-05-Torjägerliste anführte.

"Wir haben nach zehn Spieltagen gewusst, es würde nicht reichen, aber es hat trotzdem weiter Spaß gemacht", so Reuß, der nach dem Abstieg zum FC Sand wechselte, wo ihn mehrere Verletzungen kaum zum Zug kommen ließen. Zu diesem Zeitpunkt studierte er bereits Wirtschaftsingenieurwesen und räumte der beruflichen Laufbahn den Vorrang ein. 

Heute lebt der 54-Jährige in Ebermannstadt, dem Tor zur Fränkischen Schweiz. "Eine schöne Region mit vielen Biergärten. Ich wohne da, wo andere Urlaub machen", sagt Reuß. Er ist Geschäftsführer eines Automobilzulieferers mit 350 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern in der Umgebung von Nürnberg, seit über 20 Jahren verheiratet und Vater "einer jungen Frau mit bald 21 Jahren und eines jungen Manns mit 18 Jahren".

Grenzenloser Jubel: Joachim Reuß und der FC 05 Schweinfurt haben soeben im Grünwalder Stadion beim TSV 1860 München ein 3:3 erkämpft und damit die Bayernliga-Meisterschaft gewonnen. Später gelang über die Aufstiegsrunde auch der Sprung in die 2. Bundesliga.
Foto: Archiv | Grenzenloser Jubel: Joachim Reuß und der FC 05 Schweinfurt haben soeben im Grünwalder Stadion beim TSV 1860 München ein 3:3 erkämpft und damit die Bayernliga-Meisterschaft gewonnen.
Frage: Wie haben Sie die Corona-Krise erlebt und mit welchen Erwartungen gehen Sie in die nächsten Monate?

Joachim Reuß: In der Krise hat sich gezeigt, wie wichtig Familie und Freunde sind. Mein Neustart in der Firma war zu Beginn der Corona-Krise. Mit Entscheidungen, die getroffen werden mussten, macht man sich in solchen Situationen nicht nur Freunde. Ich hoffe, dass langsam die Vernunft bei manchen Menschen eintritt und wir gemeinsam diese Krise hinter uns lassen.

Frage: Ihre gegenwärtige Form?

Reuß: Auf Alte-Herren-Niveau. Ich trainiere nur noch, mache aber keine Spiele mehr. Und ein Konditionswunder war ich noch nie.

Für welchen Sport bewegen Sie sich noch?

Reuß: Fußball wird immer ein Teil von mir bleiben, aber auch Skifahren und Mountainbiking – mit dem E-Bike.

Und was bewegt Sie?

Reuß: Wie wir uns als Gesellschaft negativ verändern – Egoismus statt Gemeinschaft.

Wofür wären Sie heute gerne noch mal jung?

Reuß: Noch einmal frei und ohne Verpflichtungen zu sein.

Was schätzen Sie am Alter am meisten?

Reuß: Die Erfahrung, Situationen zu analysieren und zu bewerten. Bevor man sich eine Meinung bildet, denkt man darüber nach und hört sich auch die andere Seite an.

In welche Zeit würden Sie mit einer Zeitmaschine reisen und warum?

Reuß: In die Zeit vor Corona. Wir hatten jetzt 75 Jahre keinen Krieg, das sollten wir nie vergessen. Also besiegen wir Corona und überlegen, was wir ändern müssen. Aber wir müssen erst überlegen, bevor wir handeln.

Ihr Lieblingsort?

Reuß: Es gibt zum Glück viele schöne Orte, an denen ich schon war. Ich hoffe, es kommen noch einige dazu. Ich möchte noch so viel von der Welt sehen.

Was haben Sie vom Leben gelernt?

Reuß: Dass man sich Ziele setzen muss, um sie zu erreichen.

Und was hat Sie der Sport gelehrt?

Reuß: Hart kämpfen sowie Teamgeist und Fairness.

Heimatbesuch: Joachim Reuß hinter der Theke im Unterelsbacher Vereinsheim.
Foto: Reuß | Heimatbesuch: Joachim Reuß hinter der Theke im Unterelsbacher Vereinsheim.
Bei welchem Thema werden Sie angriffslustig?

Reuß: Bei unserer derzeitigen Dummheit in Politik und Gesellschaft. Einzelentscheidungen, um einzelne Gruppen zu befriedigen, statt strategische Ziele zu formulieren. Das gilt im Großen wie im Kleinen auf lokaler Ebene. Es gilt nur noch: Wenn du nicht meiner Meinung bist, bist du ein Gegner.

Und wen oder was würden Sie immer verteidigen?

Reuß: Gerechtigkeit.

Wie waren die ersten Wochen/Monate nach Ihrem Karriereende in der Familie?

Reuß: Ich hatte damals noch keine Familie und habe mich beruflich verändert. Ich war für einen Konzern in ganz Europa unterwegs. Das war für mich neu und hat mich auch in Sachen Toleranz und Offenheit geprägt.

Welchen Moment Ihres Lebens würden Sie gerne noch einmal erleben?

Reuß: Die Geburt meiner Kinder. Und dann natürlich das Grünwalder Stadion beim 3:3.

Welches sportliche oder menschliche Foul würden Sie gerne rückgängig machen?

Reuß: Ich habe einem Torwart das Schienbein gebrochen, weil der Ehrgeiz, den Ball noch zu erreichen, größer war als das Hirn. Das tut mir heute noch leid. Menschlich glaube ich, dass ich jedem, den ich getroffen habe, noch in die Augen schauen kann.

Wenn Sie nicht Sportler geworden wären – was dann?

Reuß: Ich war nur während des Studiums Sportler, das war von Anfang an geplant. Man muss sich auch selbst einschätzen können.

Ihr Lieblingssportler heute?

Reuß: Ich habe keinen Lieblingssportler, aber ich mag authentische und ehrliche Sportler. Viele haben leider zwischenzeitlich falsche Berater, wie zum Beispiel Kimmich.

Was war das größte Abenteuer Ihres Lebens?

Reuß: Die Flucht vor einem Hurrikan auf einem Kreuzfahrtschiff.

Nach wessen Pfeife tanzen Sie heute?

Reuß: Nach der meiner Frau und Kinder.

Worüber haben Sie zuletzt gelacht?

Reuß: Ich lache viel, in der Familie und im Freundeskreis. Am meisten über meine eigenen schlechten Witze.

Gerne mal auf Achse: Joachim Reuß reist viel mit seiner Familie.
Foto: Reuß | Gerne mal auf Achse: Joachim Reuß reist viel mit seiner Familie.
Was regt Sie auf?

Reuß: Wenn alle immer nur wissen, was schlecht ist, aber keine Lösungen anbieten. Und Extremismus.

Wen bewundern Sie – und wofür?

Reuß: Ich bewundere Menschen, die in ihrem Leben, egal auf welchem Niveau, das Beste aus sich herausholen.

Wer oder was macht Sie glücklich?

Reuß: Urlaub mit meiner Familie.

Und vor welchem Unglück fürchten Sie sich?

Reuß: Situationen, die ich nicht selbst beeinflussen kann – Hilflosigkeit.

Was möchten Sie noch lernen?

Reuß: Gelassenheit.

Was möchten Sie unbedingt noch erleben?

Reuß: Ich habe meinem Sohn versprochen, dass wir nach dem Abitur zusammen mit Haien tauchen.

Wovon träumen Sie?

Reuß: Meine Kinder gesund und erfolgreich aufwachsen zu sehen.

Welche Botschaft würden Sie (jungen Sportlern) gerne hinterlassen?

Reuß: Kritische Selbsteinschätzung, Hirn einschalten, gesunder Ehrgeiz, langfristige Planung. Auch nach der aktiven Zeit gibt es ein Leben, das man meistern muss.

Als wer oder was würden Sie wiedergeboren werden?

Reuß: Ich habe noch nie darüber nachgedacht und werde das auch in der Zukunft nicht tun.

Die Reihe: Was macht eigentlich...?

Fast jeder in der Region kennt sie – aber kaum einer weiß, was sie heute machen. Früher waren sie erfolgreiche Sportler, Trainer oder Funktionäre. Doch wenn sie nach ihren Karrieren nicht mehr im Scheinwerferlicht der Arenen, Hallen und Stadien stehen und damit im Fokus der Öffentlichkeit, verschwinden sie in der Regel auch aus den Schlagzeilen.
In unserer Reihe „Was macht eigentlich . . . ?“, die in losen Abständen erscheint, haben wir uns auf die Suche gemacht nach Menschen, die den Sport in Unterfranken im vergangenen Jahrhundert oder Jahrzehnt auf irgendeine Weise geprägt haben. Wir haben ihnen allen den gleichen Fragebogen zukommen lassen und sie gebeten, ihn für uns auszufüllen. Darin blicken sie zurück auf ihre Karrieren, verraten, was sie gegenwärtig auch jenseits des Sports bewegt und wovon sie in Zukunft noch träumen.
Sie wollen wissen, was aus einer ehemaligen lokalen Sportgröße geworden ist? Dann schreiben Sie online in die Kommentare, über wen Sie gerne mehr erfahren würden. Wir versuchen, die Sportler zu kontaktieren, um herauszufinden, was sie eigentlich machen.
 
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