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Würzburg
Meine Niere für dich: Wie eine Organspende an den Partner das Leben verändert
Er lebt mit transplantiertem Herzen, mit 52 braucht Markus Kraft eine Niere. Seine Frau spendet sie – es ist seine einzige Chance. Wir haben das Paar monatelang begleitet.
Sabine Kraft hat ihrem Mann Markus eine Niere gespendet. Mit ihrer Geschichte zeigen sie: Bei einer Transplantation ist weder das Nehmen, noch das Geben leicht.
Foto: Thomas Obermeier | Sabine Kraft hat ihrem Mann Markus eine Niere gespendet. Mit ihrer Geschichte zeigen sie: Bei einer Transplantation ist weder das Nehmen, noch das Geben leicht.
Susanne Schmitt
 |  aktualisiert: 15.07.2024 10:20 Uhr

Manche Entscheidungen sind groß. Fast zu schwer, um sie zu treffen. Sie lassen sich nicht revidieren, sie verändern das Leben. Sabine Kraft nickt. In den grünen Augen spiegelt sich Entschlossenheit. Kein Ausweichen, kein Blinzeln. Natürlich hat sie gegrübelt, gerungen, gezweifelt. Im Stillen. Bis sie sicher war. Dann, im Frühjahr 2022, sagte sie diesen einen Satz zu ihrem Mann: "Ich spende dir meine Niere."

28. Februar 2023 – Fünf Monate vor der Transplantation

Es ist ein Jahr seit diesem Satz vergangen. Markus und Sabine Kraft sitzen am Küchentisch. Unberührte Wassergläser stehen auf der Holzplatte, darunter geben sich verschränkte Finger Halt. Draußen scheint die Sonne, ein Traktor zieht Bahnen über den winterkargen Acker. Die Straßen in Reisfeld, einem kleinen Weiler bei Igersheim im Main-Tauber-Kreis, sind menschenleer. Das Ticken der Wanduhr füllt die Stille. Wo anfangen? Wie erzählt man seine Geschichte?

Markus Kraft trinkt einen Schluck, sucht den Blick seiner Frau. Beide sind 52 Jahre alt, beide waren zunächst mit anderen Partnern verheiratet, haben aus diesen Beziehungen längst erwachsene Kinder. "Wir kennen uns ewig", sagt Markus Kraft. Ein Paar wurde aus ihnen 2021, vor zwei Jahren. Schicksal? Zufall? Fügung? Kraft schüttelt den Kopf. Über das Warum nachzugrübeln hat er längst aufgegeben.

Rückblick. Mit 19 Jahren wurde Markus Kraft bei einem Autounfall schwer verletzt, unverschuldet. Eine Blutspende rettete sein Leben. Was damals niemand ahnte: In dem Blut war ein Virus. 16 Jahre später hatte dieses seinen Herzmuskel "komplett zerstört", so Kraft. Das Organ versagte. Plötzlich, ohne Vorwarnung. Eine Transplantation war seine einzige Überlebenschance. "Wenn du das gesagt bekommst, das kannst du nicht beschreiben. Das ist gnadenlos. Der Tod steht vor dir."

Seit 16 Jahren lebt Markus Kraft mit einem transplantierten Herzen. Das Problem: Die unzähligen Medikamente, die er täglich gegen eine Abstoßung einnehmen muss, griffen seine Nieren an.
Foto: Thomas Obermeier | Seit 16 Jahren lebt Markus Kraft mit einem transplantierten Herzen. Das Problem: Die unzähligen Medikamente, die er täglich gegen eine Abstoßung einnehmen muss, griffen seine Nieren an.

Markus Kraft stockt. In den Augen flackern Schmerz, Erinnerungen an die Angst, die Verzweiflung. Kraft stand damals, als junger Familienvater, weit oben auf der Liste für ein Spenderorgan. Und hatte Glück. "Ich weiß noch genau, wie die Ärzte reingekommen sind und gesagt haben: Herr Kraft, wir holen jetzt ein Herz."

Der 5. Mai 2007 wurde zu seinem "zweiten Geburtstag". Im Uniklinikum Heidelberg bekam Kraft das Organ transplantiert. Erfolgreich. Sicher habe ihn der Eingriff verändert, sagt er. Aber das Herz sei kein Fremdkörper für ihn, "es ist definitiv mein Herz". Im Alltag konnte der selbstständige Landwirt damit wieder laufen, arbeiten, leben. Auch wenn er täglich zwei Handvoll Tabletten schlucken musste, um eine Abstoßung zu verhindern. "Es hat gut gepasst", sagt Kraft. Bis vor etwa zwei Jahren.

"Ich muss es einfach machen – weil ich ihn liebe."
Sabine Kraft über ihre Motivation für die Nierenspende

"Damals haben meine Nieren schlappgemacht", erzählt der 52-Jährige. Im August 2022 musste er erstmals an die Dialyse, seitdem dreimal pro Woche. Das schränkte ein. Belastete. Sein Herz vertrug die Behandlung schlecht. Die Dialyse griff die Gefäße an. "Mir war klar, dass das passiert", sagt Sabine Kraft. "Jeden Tag so viele Medikamente – das kann auf Dauer nicht gut gehen." Von Anfang an seien sie und ihr Mann offen mit seinem Gesundheitszustand umgegangen.

Schon früh habe sie sich deshalb Gedanken gemacht, sagt Sabine Kraft. Was, wenn die Nieren versagen? Würde sie ihrem Mann ein Organ spenden? "Ich habe es ihm erst angeboten, als ich für mich entschieden hatte, ich mache es", sagt sie. "Ich bin so ein Typ und treffe die Entscheidung für mich allein."

Markus Kraft war überrumpelt. Lehnte ab. "Ich hatte das Gefühl, ich nehme ihr etwas weg", sagt der 52-Jährige. Noch immer liegt Unsicherheit in seinem Blick. Weder das Nehmen noch das Geben ist bei einer Transplantation leicht.

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Wer spendet, verliert ein Organ. Das birgt ein Risiko, bedeutet vielleicht eigene Nachteile – schenkt aber einem Menschen Lebensqualität. Etwas Wertvolleres gibt es nicht. Erst recht nicht, wenn es um den geliebten Partner geht. Umgekehrt lebt der Empfänger in dem Wissen, die Spende nie ausgleichen zu können. Die Asymmetrie lässt sich nicht vermeiden. Und doch entsteht eine enge Verbundenheit. Körperlich und emotional.

Was aber, wenn der Körper das Organ später abstößt? Wenn sich Markus Kraft überlastet und die neue Niere zerstört? Oder wenn Sabine Kraft ihre Spende irgendwann bereut? Die 52-Jährige schüttelt den Kopf, konzentriert sich auf das Positive. "Ich muss es einfach machen – weil ich ihn liebe." Noch hätten sie Jahrzehnte vor sich. "Ich will leben, nach Mexiko und auf die Malediven reisen – mit Markus." Einige Bekannte hätten gesagt, sie fänden die Entscheidung mutig. Pathos aber liegt weder ihr noch ihrem Mann. Ihre Geschichte ist eher Liebes- als Heldengeschichte. Warum sie sie öffentlich erzählen?

Um anderen Paaren Mut zu machen, sagt Sabine Kraft. Und um aufzuklären. "Man kann normal mit einer Niere leben. Es gibt so viele Menschen, die durch einen Nierenschaden keine Lebensqualität mehr haben. Warum sollen wir nicht darüber reden, dass es mit einer Organspende für sie eine Chance gibt?"

23. März 2023 – Vier Monate vor der Transplantation

Es regnet. Pfützen stehen auf dem Dominikanerplatz in Würzburg. Sabine und Markus Kraft treten aus einem Restaurant ins kühle Nieselwetter. Hand in Hand, erschöpft, aber einen Schritt weiter. Am Vormittag wurden sie von einer Psychologin befragt. "Bei mir ging es vor allem um meine finanzielle Situation, darum, dass ich kein Geld für die Spende bekomme und dass ich keine psychischen Probleme habe", erzählt Sabine Kraft. Schlimm sei das Gespräch nicht gewesen. Trotzdem ist ihr die Erleichterung anzumerken.

Markus Kraft wirkt angeschlagen. Die Stimme ist rau, die Augen sind müde. Gerade erst lag er eine Woche in der Würzburger Uniklinik wegen einer Infektion am Dialysekatheter. Das kostet Energie. "Ich will es durchhalten, aber im Moment ist es hart."

Der lange Weg bis zur Transplantation ist üblich. Und gewollt. Jeder Spender wird genau überprüft. Physisch und psychisch. Zudem ist in Deutschland streng reglementiert, wer überhaupt ein Organ spenden darf. So sind laut Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung Spenden beispielsweise nur erlaubt, wenn sich die spendende und empfangende Person nahestehen – etwa bei Verwandten ersten und zweiten Grades, Ehegatten, eingetragenen Lebenspartnern, Verlobten oder anderen "Personen, die dem Spender in besonderer persönlicher Verbundenheit offensichtlich nahestehen".

Die Wartezeit auf eine Nierenspende liege bei etwa zehn Jahren und werde häufig nicht überlebt, sagt Prof. Kai Lopau, Leiter des Nierentransplantationsprogramms an der Uniklinik Würzburg.
Foto: Thomas Obermeier | Die Wartezeit auf eine Nierenspende liege bei etwa zehn Jahren und werde häufig nicht überlebt, sagt Prof. Kai Lopau, Leiter des Nierentransplantationsprogramms an der Uniklinik Würzburg.

In Würzburg werden diese Vorgaben "sehr eng angewendet", sagt Prof. Kai Lopau, Nephrologe und Leiter des Nierentransplantationsprogramms an der Uniklinik. Bislang wurden am Würzburger Uniklinikum in diesem Jahr 14 Nieren transplantiert. 2022 seien es knapp 30 gewesen – davon etwa ein Drittel von einem lebenden Spender. Im Moment liege die Wartezeit auf ein Organ bei etwa zehn Jahren. "Das ist immens lang und wird häufig nicht überlebt", sagt Lopau. Es gebe schlicht zu wenig Spender. Dabei könne man – mit wenigen Einschränkungen wie etwa einem etwas erhöhten Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen – mit einer Niere "genauso gut leben wie mit zwei".

Generell folgt jede Lebendspende einem festen Ablauf. Nach der Aufklärung wird im Crossmatch, einer Blutuntersuchung, geprüft, ob das Blutplasma des Empfängers gegen die Zellen des Spenders reagiert. Anschließend wird der Spender eine Woche lang in der Klinik durchgecheckt und im Gespräch mit Psychologen sollen unter anderem psychische Erkrankungen ausgeschlossen werden. Am Ende steht die Lebendspende-Kommission, die die Motivation für die Spende sowie die Beziehung zwischen Spender und Empfänger analysiert. Es ist die letzte Hürde, auch für das Ehepaar Kraft.

24. April 2023 – Drei Monate vor der Transplantation

Gut fünfzehn Minuten hat es gedauert. "Und davor habe ich mich so verrückt gemacht", sagt Sabine Kraft am Telefon und lacht. Nächtelang habe sie im Kopf alle möglichen Szenarien des Gesprächs mit der Lebendspende-Kommission durchgespielt. "Ich war wirklich nervös – aber es lief recht locker."

Ein Jurist, eine Psychologin und ein Arzt hätten ihr gegenübergesessen und sie befragt. Ob sie wisse, auf was sie sich einlasse? Wann und wie sie die Entscheidung für die Nierenspende getroffen und wie sie sich auf die Zeit nach der Operation vorbereitet habe? Keine Antwort sei schwergefallen.

"Wenn alles so passiert, wie es passiert ist, das ist wie ein Märchen. Mehr Verbindung gibt es nicht."
Markus Kraft über die Beziehung zu seiner Frau

Auch bei Markus Kraft war das Gespräch nach wenigen Minuten beendet. "Danach haben sie gesagt, dass der Transplantation aus ihrer Sicht nichts im Wege steht", erzählt der 52-Jährige. "Jetzt heißt es warten." Warten auf den OP-Termin.

17. Mai 2023 – Zwei Monate vor der Transplantation

Ein schlichtes Blatt Papier. Drei Daten sind mit gelbem Textmarker markiert, das letzte ist das entscheidende: 5. Juli 2023 – Lebendnierentransplantation. "Wir sind absolut glücklich", sagt Markus Kraft. Er sucht nach den richtigen Worten. Wie beschreiben, was es heißt, Hoffnung zu haben? Hoffnung auf ein Leben ohne Dialyse, auf einen funktionierenden Körper?

Von keiner Seite bestünden Einwände gegen die Lebendnierenspende, heißt es in dem Schreiben des Transplantationszentrums der Uniklinik Würzburg. Am 4. Juli sollen Sabine und Markus Kraft aufgenommen werden, einen Tag später findet der Eingriff statt. Das Datum macht den Traum zu einem Termin.

Gedanken beginnen zu kreisen. Der Wunsch nach Beistand wächst. Das Paar entscheidet sich für eine Segnung, kurz vor der Operation. "Wir sind beide gläubig", sagt Markus Kraft. "Und wir wollen, dass alles gut geht."

15. Juni 2023 – Drei Wochen vor der Transplantation

Noch knapp drei Wochen. Das Telefonat mit Sabine Kraft ist kurz und emotional, die Freude schwingt in jedem Satz mit. "Wir heiraten am 27. Juni." Mit dem Gedanken gespielt hätten sie schon länger, sagt die 52-Jährige. Vor ein paar Tagen sei die Entscheidung gefallen. Aus Liebe genauso wie aus Vernunft, um sich abzusichern. Die Trauung soll standesamtlich stattfinden, "ganz intim, nur zu zweit". Ein großes Fest mit Familie und Freunden, "holen wir nach, wenn wir wieder gesund sind".

27. Juni 2023 – Eine Woche vor der Transplantation

Auf dem Tisch brennt eine weiße Kerze, davor steht ein kleines, goldenes Kreuz. Schlicht, unaufgeregt. Ganz anders, als es an diesem Tag innerlich in ihnen aussieht. Vormittags haben Sabine und Markus Kraft geheiratet. Allein, wie geplant. Jetzt tragen sie beide den selben Namen. Am frühen Abend bitten sie um Gottes Segen.

Schlicht und unaufgeregt: Mit einer Segnung bittet das Ehepaar Kraft vor der Transplantation um Beistand.
Foto: Heiko Becker | Schlicht und unaufgeregt: Mit einer Segnung bittet das Ehepaar Kraft vor der Transplantation um Beistand.

Diakon Andreas Reitzle sitzt dem Ehepaar gegenüber, am Küchentisch statt vor kirchlicher Kulisse und doch passend. "In so einer Situation sollte man Kraft aus allen Quellen schöpfen, die zur Verfügung stehen", sagt der Geistliche.

Seine Ansprache wie auch die Segnung hält er kurz und persönlich. "In der Kindheit, wenn man Angst hatte, war es gut, wenigstens die Hand von Vater oder Mutter zu spüren. Ich darf ihnen heute meine Hand auflegen – sie möchte deutlich machen, dass Gott in dieser Situation seine Hand auf Sie legt."

Diakon Andreas Reitzle (links) segnet Sabine und Markus Kraft. 'In so einer Situation sollte man Kraft aus allen Quellen schöpfen, die zur Verfügung stehen', sagt der Geistliche.
Foto: Heiko Becker | Diakon Andreas Reitzle (links) segnet Sabine und Markus Kraft. "In so einer Situation sollte man Kraft aus allen Quellen schöpfen, die zur Verfügung stehen", sagt der Geistliche.

Genau darum geht es für Markus und Sabine Kraft. Der Moment bedeutet ihnen viel. "Ich bin total verschwitzt", sagt Markus Kraft mit Tränen in den Augen. "Ich freue mich auf mein neues, drittes Leben und bin glücklich, dass mir ein Engel wie meine Frau begegnet ist, der mir in dieser Situation hilft."

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Sabine Kraft strahlt, lehnt sich an ihn. Ja, sie sei aufgeregt, sagt sie, aber auch stolz, "dass ich das machen darf, weil es sein Leben erleichtert". Ihr Mann schüttelt den Kopf. "Sie ist ein Phänomen für mich. Ich habe riesigen Respekt vor ihr."

4. Juli 2023 – Ein Tag vor der Transplantation

Sabine und Markus Kraft werden in die Uniklinik Würzburg aufgenommen. Am nächsten Morgen gegen 8 Uhr sei sie "als erstes dran", schreibt Sabine Kraft per WhatsApp-Nachricht an die Redaktion:

"Der Tag heute war für uns beide sehr nachdenklich in unserer Stimmung. Wir haben viel geschwiegen und einfach nur uns gehalten. Sonst sind wir beide sehr lustig und gesprächig. Aber ich denke, das ist normal."

5. Juli 2023 – Der Tag der Transplantation

Zwei Stunden und 45 Minuten dauerte die Organentnahme am Morgen. Zweieinhalb Stunden das Einsetzen. Dann, um halb drei, ist alles vorbei. Dann arbeitet Sabine Krafts Niere in ihrem Mann Markus. "Die Transplantation ist wie erwartet verlaufen", sagt Dr. Johan Lock, Oberarzt der Allgemein- und Viszeralchirurgie an der Uniklinik Würzburg. Er hat den Eingriff durchgeführt, minimalinvasiv, per sogenannter Schlüssellochtechnik.

Sabine Kraft bleiben nur drei winzige und ein etwa sieben Zentimeter langer Schnitt am Unterbauch. Durch diesen wurde das Organ "geborgen", sprich herausgezogen, erklärt Nephrologe Prof. Kai Lopau. Danach sei die Niere gespült, in einer Schüssel mit etwa vier Grad kaltem Wasser aufbewahrt, erneut untersucht und schließlich bei Markus Kraft eingesetzt worden.

Der Chirurg Dr. Johan Lock (links) hat die Transplantation an der Uniklinik Würzburg durchgeführt. Das Bild zeigt ihn einige Tage nach dem Eingriff im Gespräch mit Markus und Sabine Kraft.
Foto: Thomas Obermeier | Der Chirurg Dr. Johan Lock (links) hat die Transplantation an der Uniklinik Würzburg durchgeführt. Das Bild zeigt ihn einige Tage nach dem Eingriff im Gespräch mit Markus und Sabine Kraft.

Technisch sei der Eingriff schwieriger als eine postmortale Spende, sagt Johan Lock. "Man hat kurze Gefäße, alles ist klein und frimelig." Und: "Es ist für Ärzte eine medizinisch besondere Situation, denn wir verletzen zunächst jemanden, der gar nicht krank ist."

"Das ist eine OP mit Null Fehlertoleranz."
Dr. Johan Lock, Oberarzt der Allgemein- und Viszeralchirurgie an der Uniklinik Würzburg

Organspender sind völlig gesunde Menschen, Komplikationen dürfen nicht passieren. "Das ist eine OP mit Null Fehlertoleranz", sagt Lock. Als Operateur sei ihm das sehr bewusst, auch nach mehr als 150 transplantierten Organen sei er bei Lebendspenden "ein bisschen nervöser als sonst". Auf die Uhr schaue er deshalb bei solchen Eingriffen nie. "Ich sage mir immer: ganz langsam, Null Fehler."

Bei Sabine Kraft und ihrem Mann hat er das geschafft. Es gab keine Probleme. Beide sind wie vorgesehen etwa eine Stunde nach Ende ihrer Operation aufgewacht. Gegen 15 Uhr schickt Sabine Kraft eine Sprachnachricht von der Aufwachstation:

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6. Juli 2023 – Ein Tag nach der Transplantation

Auf dem Selfie, das das Paar zur Erinnerung von sich gemacht hat, sieht man ihr die Erschöpfung an. Sabine Kraft liegt auf dem Bett, ihr Mann sitzt daneben, beide in weißen Krankenhaushemden. Es ist der erste Besuch nach der OP.

Markus und Sabine Kraft am ersten Tag nach der erfolgreichen Nierentransplantation. 'Der Moment, wenn man sich wiedersieht, das bekommt man emotional nicht auf die Reihe', sagt der 52-Jährige später.
Foto: Markus Kraft | Markus und Sabine Kraft am ersten Tag nach der erfolgreichen Nierentransplantation. "Der Moment, wenn man sich wiedersieht, das bekommt man emotional nicht auf die Reihe", sagt der 52-Jährige später.

Am Abend beschreibt die 52-Jährige in einer kurzen Tonaufnahme den Tag. "Mein Mann hat mich gerade auf dem Zimmer besucht, ihm geht es komischerweise besser als mir." Sie habe die Narkose schlecht vertragen, kämpfe mit Übelkeit und Wundschmerzen. Aber die Niere arbeite "sehr gut und das ist das Wichtigste – alles andere macht die Zeit".

8. Juli 2023 – Drei Tage nach der Transplantation

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10. Juli 2023 – Fünf Tage nach der Transplantation

Zimmer Nummer 10, Nephrologische Station M.32. Das Paar sitzt Arm in Arm auf dem Bett, in Sabine Krafts Gesicht ist das Lächeln zurück. Die Schmerzen haben nachgelassen, sie wird heute entlassen. "Für mich ist es ein Wunder, dass man so schnell wieder fit ist." Markus Kraft strahlt mit seiner Frau. "Du bist mein Engel", sagt er. Das Glück ist greifbar.

Auf der Intensivstation habe sich Markus Kraft als erstes nach seiner Frau erkundigt, erzählt Chirurg Dr. Johan Lock. Immer wieder habe er nach dem Aufwachen gefragt, wie es ihr gehe. "Da hat er Angst gehabt." Kraft nickt. "Für mich war das das Wichtigste: Dass sie unbeschadet da rauskommt. Und der Moment, wenn man sich wiedersieht, das bekommt man emotional nicht auf die Reihe."

Schon wenige Tage nach der Operation sind die Nierenwerte bei beiden Ehepartnern im Normalbereich und sie dürfen nach Hause. Für ihn sei das wie ein Traum, sagt Markus Kraft.
Foto: Thomas Obermeier | Schon wenige Tage nach der Operation sind die Nierenwerte bei beiden Ehepartnern im Normalbereich und sie dürfen nach Hause. Für ihn sei das wie ein Traum, sagt Markus Kraft.

Tatsächlich sei die Transplantation "extrem gut" verlaufen, sagt Lock. Die Nierenwerte der beiden seien "schon vier Tage nach der Operation im absoluten Normalbereich". Die Folge: Auch Markus Kraft darf, wenn der Dialysezugang am nächsten Tag entfernt ist, nach Hause. Mit normaler Nierenfunktion. "Das ist Freiheit pur", sagt der 52-Jährige. "Für mich ist das wie ein Traum."

Viele Patienten seien von diesem Gefühl überwältigt, bestätigt der Nephrologe Kai Lopau. Trotzdem sei Disziplin nach einer Transplantation lebensnotwendig. "Wir verlieren etwa 30 Prozent der Organe, weil die Medikamente nicht richtig genommen werden. Die Tabletteneinnahme ist ultimativ wichtig." Anfangs muss Markus Kraft deshalb wöchentlich zur Nachkontrolle in die Uniklinik, später in größeren Abständen.

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Für den 52-Jährigen ist die Verantwortung durch das transplantierte Herz nicht neu. Allerdings ist es nun das Organ seiner Frau, das er in sich trägt. "Das ist das beste Gefühl überhaupt", sagt Kraft. "Wahnsinnige Liebe." Er räuspert sich. "Wenn alles so passiert, wie es passiert ist, das ist wie ein Märchen. Mehr Verbindung gibt es nicht."

1. August 2023 – Vier Wochen nach der OP

Draußen schüttet es. Der Sommer macht Pause. Markus Kraft sitzt mit Fließjacke am Küchentisch, neben dem Laptop liegt das Blutdruckmessgerät, dahinter stehen Wasser- und Saftflaschen. Viel Trinken ist nach einer Transplantation Pflicht. Daneben ausruhen, schonen, warten, dass sich der Körper regeneriert.

Beim Aufstehen oder Bewegen schmerze die Wunde noch, gibt der 52-Jährige zu. Und im Bad stehe ein Turm an Medikamenten. Aber: "Es wird von Tag zu Tag besser". Er wirkt befreit. Manchmal "kommt es hoch, dann muss ich ein bisschen weinen". Dann werde ihm bewusst, was seine Frau "für ein Wunder vollbracht hat". Seine Hand sucht nach ihrer, selbstverständlich, nebenbei.

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Sabine Kraft lächelt. Ihre Entscheidung für die Spende bereue sie nicht. "Ich würde es nochmal machen. Auf jeden Fall." Sie sagt das nicht leichtfertig, beschönigen will sie nicht. Ja, ab und an zwicke es noch im Bauch, "es war doch eine große OP". Insgesamt gehe es ihr jedoch gut. Sie habe nicht das Gefühl, "dass etwas fehlt". Gleichzeitig sei die Beziehung zu ihrem Mann noch intensiver geworden, "er hat jetzt einen Teil von mir in sich drin".

Markus Kraft zieht sie unwillkürlich fester an sich. "Das alles so super gelaufen ist, bestätigt mir nur, dass es so hat sein sollen", sagt der 52-Jährige. "Dass sie in mein Leben getreten ist und mich gerettet hat."

Mitarbeit: Andreas Jungbauer

Die Autorin über die Recherche

Meine Niere für dich: Wie eine Organspende an den Partner das Leben verändert
Foto: Susanne Schmitt; C. Weiss
Gut ein halbes Jahr liegt das erste Treffen mit dem Ehepaar Kraft zurück. Die journalistische Neugier war damals groß. Warum lassen sie die Öffentlichkeit an einer Nierentransplantation teilhaben? Suchen sie schlicht Aufmerksamkeit? Nein. Sabine und Markus Kraft brauchen das Rampenlicht nicht. Aber sie wollen aufrütteln, Ängste vor dem Thema Organspende nehmen und vor allem: zeigen, wie es ist. Denn Gesundheit ist fragil, der Körper funktioniert nicht selbstverständlich. Nierenversagen kann jeden treffen. Und dann? Würde ich selbst eine Niere spenden? Diese Frage hat mich nach der Recherche lange bewegt. Und ich denke, genau das ist es – darum geht es Markus und Sabine Kraft.
 
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  • Erwin Buhlheller
    Emotional berühren zu lesen .Ich wünsche beiden ein langes gesundes Leben.
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