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Würzburg
A3-Ausbau: Leben neben der Mega-Baustelle
Der Neubau der A3-Talbrücke Heidingsfeld ist ein Millionenprojekt. Und für die Anwohner seit fast fünf Jahren Alltag. Wie lebt man im Schatten einer riesigen Baustelle?
A3-Ausbau: Leben neben der Mega-Baustelle
Susanne Schmitt
 |  aktualisiert: 08.02.2024 16:58 Uhr

Es kreischt, dröhnt und scheppert gleichzeitig. Die Schaufel frisst sich in den Pfeiler, zerfetzt Stahlbeton und Eisen als wären sie aus Pappe. Wie eine riesige Hummerzange packt die Maschine zu, graue Brocken fliegen zur Seite. Von der einst meterhoch aufragenden Stütze der A3-Talbrücke Heidingsfeld ist nur noch ein Gerippe übrig. Staub weht in einer Wolke Richtung Reichenberger Grund, es riecht leicht verbrannt. Der Rückbau der Autobahnbrücke ist hier, direkt vor den Gärten der Anwohner, nicht nur ein imposantes Millionenprojekt auf einer Landkarte. Er ist sichtbar, schon beim Blick aus dem Badezimmerfenster jeden Morgen. Er ist hörbar, sobald die ersten Bagger ihre Motoren starten. Und manchmal spürt man ihn sogar.

Gestern zum Beispiel. Da habe der Boden gebebt, sagt Peter Wolz. "Wie die Pfeiler gefallen sind, das war schon spektakulär."

Kleinere Brocken seien beim Aufprall der Betonriesen bis auf sein Grundstück geflogen. Aus Wolz' Augen blitzen weder Ärger oder Angst. Eher Faszination: "Wann sieht man sowas schon direkt vor seiner Haustüre?"

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Wolz wohnt seit 2005 in dem weiß-roten Bruchsteinhaus mit dem aufgemalten Bahnwärter, das sich schräg unterhalb der Autobahn an den Hang schmiegt. 120 Jahre ist es alt, ein Industriedenkmal. Im Sommer gut versteckt hinter hohen Hecken. Im Winter sichtbarer, und doch irgendwie verwunschen. Mit knallrotem Hühnerstall und Strandkorb im Garten. Mit dem Ofen, der bullernd die Stube wärmt. Mit Geweihen an der Esszimmerwand, massivem Holztisch und kissenbepacktem Sofa. Peter Wolz' Häuschen passt eher nach Astrid Lindgrens Bullerbü als neben die größte Brückenbaustelle Unterfrankens. Aber genau da, nur einen Brockenflug von den Baggern entfernt, steht es.

Zwischen dem alten Apfel- und dem knorrigen Nussbaum ragen die neu errichteten Pfeiler empor. Bis zu 45 Meter hohe Betonstützen, die die fertiggestellte Fahrbahn Richtung Frankfurt tragen. Hinter den milchigen Schallschutzwänden ziehen die Schatten der Lkw vorbei. Darunter wird Erde geschaufelt und verschoben, Funken fliegen. Stetiges Brummen, Wummern und Hämmern mischt sich zu einer Art Baustellen-Soundtrack in der Endlosschleife. "So schlimm ist das eigentlich gar nicht", sagt Peter Wolz. Und meint es auch so. Der 53-Jährige lehnt entspannt am Zaun, trotz der Kälte nur in Shirt und Sporthose. Er kommt "selbst vom Bau", hat eine eigene Firma für Bautenschutz. Sicher ist das ein Grund für sein Verständnis.

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Ein anderer: die Begeisterung für das ehemalige Bahnwärterhäuschen. "Ich hab' mich sofort verliebt und gesagt, ich muss das Haus kaufen", erinnert sich Wolz. Das war vor gut 15 Jahren. Mit der Hilfe von Freunden hat er das Gebäude kernsaniert und an die Strom- und Wasserversorgung angeschlossen. Damals waren nur Eisenbahn und Autobahnbrücke nebendran. 2014 dann begannen die Arbeiten an der Brücke. Seitdem lebt er fast auf der Riesen-Baustelle. Wolz zuckt mit den Schultern. "Mich stört das nicht. Andere wohnen neben der Kirche und haben damit kein Problem."

Grillen im Garten? An manchen Tagen störte das Gequietsche doch

Wenn er und seine Frau Monika am Morgen zur Arbeit gehen, "sind die noch gar nicht da". Zum Feierabend wird eben die Haustür geschlossen. Und sonntags ist Ruhetag. "Dann pfeifen die Vögel und an der Hecke stehen frühs die Rehe." Verklärt er nicht? Naja, sagt der 53-Jährige, im Sommer, beim Grillen im Garten, "da haben wir schon mal gesagt, heute ist das Gequitsche ekelhaft, wir gehen wieder rein". Oder ganz am Anfang, als Bohrer die Fundamente der neuen Pfeiler in den Boden getrieben haben. "Das war fies", sagt Monika Wolz. Aber die Ausnahme. Drinnen, in ihrem Häuschen sei es immer ruhig. Am Wohnzimmerfenster ziehen zwar regelmäßig Züge auf der Strecke Würzburg-Reichenberg vorbei. Hören kann man sie aber nicht mehr. Schallschutzfenster. Und: Seit der Abbruch der alten Brücke vergangenes Jahr begonnen hat, sei die Belastung auf der anderen Baustellenseite deutlich stärker.

Dort, an der Reichenberger Straße, lebt Reinhold Eck. Die Rollläden hat er geschlossen, zum Schutz der frisch geputzten Fenster. Nur wenige Meter von seiner Grundstücksgrenze entfernt liegen die gestürzten Pfeiler. Mehr als 1000 Tonnen krachten genau hier zu Boden. "Als das aufgekommen ist, das hat wie eine Bombe gerüttelt", sagt der 72-Jährige.

Reinhold Eck (links) trifft am Rand seines Gartengrundstückes Nachbar Michael Lang. Nur wenige Meter entfernt liegen die gestürzten Brückenpfeiler. 
Foto: Patty Varasano | Reinhold Eck (links) trifft am Rand seines Gartengrundstückes Nachbar Michael Lang. Nur wenige Meter entfernt liegen die gestürzten Brückenpfeiler. 

Eck hat das hell verputzte Haus vor mehr als 40 Jahren gekauft. Umgeben von Lärm war es auch damals schon, mit Bahnstrecke und Autobahn. Auf die Baustelle, so scheint es, kommt es da auch nicht mehr an. "Das ist ja nicht lang", sagt Eck. Dann grinst er ein bisschen. "Andere Leute, die besser hören als ich, haben da vielleicht mehr Probleme."

Er sitzt drinnen, im holzvertäfelten Esszimmer. An der Wand hängen Bilder der Enkel und ein Holzkreuz. Auch bei geschlossenen Fenstern hört man leises Wummern. "Mir fällt das gar nicht auf", sagt Eck. Trotzdem interessiert ihn natürlich, was direkt hinter seinem Haus passiert. Er steigt die schmale Treppe hinauf ins Obergeschoss, zeigt seinen "Aussichtspunkt" im Badezimmer. Aus dem Fenster hat man den besten Blick auf die Baustelle, sieht die übrig gebliebenen Pfeilerpaare bis hinüber zur Heuchelhofstraße stehen.

Wie bizarre Gerippe ragen die verbliebenen Pfeiler der alten A3-Talbrücke Heidingsfeld auf. Dahinter rollt der Verkehr auf der fertiggestellten Richtungsfahrbahn Frankfurt.
Foto: Berthold Diem | Wie bizarre Gerippe ragen die verbliebenen Pfeiler der alten A3-Talbrücke Heidingsfeld auf. Dahinter rollt der Verkehr auf der fertiggestellten Richtungsfahrbahn Frankfurt.

Anfang März schon soll das Paar direkt neben der Stuttgarter Straße gekippt werden, heißt es von der Autobahndirektion Nordbayern. Noch einmal bebt dann für die Anwohner der Boden. Über 1600 Tonnen Beton werden zu Fall gebracht. Voraussichtlich in den Osterferien wird das alte Fahrbahnteil über der Heuchelhofstraße abgebaut. Anschließend verschwinden die letzten originalen Pfeiler und ein Hilfsstützenpaar: Ihre Sprengung ist im Mai geplant. Gleichzeitig wächst von Westen die neue Talbrücke. Der erste 120 Meter lange und etwa 1000 Tonnen schwere Stahlbauabschnitt der Richtungsfahrbahn Nürnberg wurde bereits vorgeschoben. In Zeitlupe quasi wurde der Koloss bewegt, acht Meter pro Stunde. Parallel entstehen die neuen Pfeiler.

Der Neubau der Talbrücke Heidingsfeld ist Teil des sechsstreifigen Ausbaus der A3 bei Würzburg.
Foto: Heike Grigull | Der Neubau der Talbrücke Heidingsfeld ist Teil des sechsstreifigen Ausbaus der A3 bei Würzburg.

Spannend sei das für ihn schon, sagt Peter Wolz. Er lauere aber nicht jeden Tag im Garten und beobachte die Arbeiter. "Als die neue Brücke auf unserer Seite gewachsen ist, da standen wir schon draußen und haben geschaut. Aber jetzt haben wir das schon mal gesehen." Klar, bei großen Aktionen, dem Sturz der Pfeiler, "da sind wir wieder da". Da hält Wolz alles auf Video fest und schickt die Filme an seine Brüder. Denen entfahre dann schon mal ein entsetztes "oh krass". Aber wegen dem Lärm, dem Dreck, der Baustelle wegziehen? "Nie im Leben", sagt Wolz. Zwei Interessenten wollten sein Häuschen in den vergangenen Jahren kaufen, "aber die kriegen es nicht".

Anders sieht es Reinhold Eck. Er will verkaufen. Nicht aus Protest gegen die Baustelle, vehement schüttelt er den Kopf. "Das geht ja vorbei." Verkaufen will er, weil die Kinder längst woanders leben und das Haus für ihn allein zu groß sei. Der 72-Jährige ist seit einem Vierteljahr Witwer, muss sich plötzlich allein um alles kümmern. Viel Arbeit. Zu viel. Sorgen macht er sich nur, dass er keinen Käufer findet, dass Bagger, Kräne, Lärm und Staub abschrecken.

"Lasst die ihre Arbeit machen. In fünf Jahren sind die weg und dann haben wir wieder unsere Ruhe."
Peter Wolz über die Großbaustelle vor seiner Haustüre

Eck schlüpft in seine Jacke, zieht die Mütze auf. Mit wenigen Schritten ist der Garten durchquert und die Grundstücksgrenze erreicht. Und damit die Baustelle. Er hebt die Hand zum Gruß. In Gummistiefeln kommt Nachbar Michael Lang am Zaun entlang. Kein seltener Treffpunkt. Hier lässt sich gut schauen, fachsimpeln, manchmal auch schimpfen. Etwa über die Informationspolitik der Brückenbauer. Zu spät sei beispielsweise mit ihnen über Alternativen zur jetzt umgesetzten Trassenführung gesprochen worden.

Ganz am Anfang habe sich sein Sohn über die Bauvorhaben beschwert, sagt Eck. Protest eingereicht. "Aber da kann man nichts machen. Die Autobahn hat Vorrang", so der 72-Jährige. Es klingt nicht wütend, eher gleichgültig, vielleicht auch ein bisschen resigniert. "Wenn man alles gewusst hätte, was auf einen zukommt, hätte ich hier nicht gebaut."

Wolz schon. Ganz sicher. Am Anfang der Bauarbeiten, erinnert sich der 53-Jährige, sei der Vorsitzende der Bürgerinitiative ein paar Mal da gewesen. Er wollte ihn zum Protest zu bewegen. "Ich hab' gesagt, nee, um Gottes Willen", sagt Wolz. "Lasst die ihre Arbeit machen. In fünf Jahren sind die weg und dann haben wir wieder unsere Ruhe."

Peter und Monika Wolz mit Hund Rocky in ihrer 'grünen Oase'.
Foto: Christoph Weiß | Peter und Monika Wolz mit Hund Rocky in ihrer "grünen Oase".

Aus den fünf werden nun sieben Jahre. Im Herbst 2021 soll die alte Brücke verschwunden, die neue fertig sein. Der Baustellen-Soundtrack verklingt dann. Keine kreischenden Maschinen mehr, kein Dröhnen und Scheppern, kein Brummen. Und kein Beben von fallenden Pfeilern. Peter Wolz sitzt dann sicher wieder öfter draußen, in seinem Strandkorb. "Dann haben wir unsere grüne Oase wieder."

Ein Perspektivwechsel auf der Riesen-Baustelle
Susanne Popp
Foto: Photographer:Daniel Biscan
Vor vier Jahren war ich zum ersten Mal auf der A3-Brückenbaustelle in Heidingsfeld. Damals mehr als 50 Meter über dem Boden. Ein Besuch bei den Betonbauern, auf einem der neu errichteten Pfeiler. Schwindelerregend und beeindruckend. Was auch in Erinnerung blieb, waren die winzigen Häuschen weit unten, die sich links und rechts der Baustelle behaupteten. Wie leben die Menschen dort? Tragen sie tagtäglich Oropax? Fluchen sie? Hegen sie Umzugsgedanken? Die Fragen stellten sich zwangsläufig. Und wurden jetzt beantwortet. 

Wird neben Ihrem Grundstück ebenfalls gebaut? Oder hatten Sie eine Großbaustelle vor der Haustüre? Und könnten Sie in Nachbarschaft zu einem solchen Bauprojekt leben oder würden Sie sofort die Umzugskartons packen? Schreiben Sie uns Ihre Erfahrungen.

 
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