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Würzburgs Alte Augenklinik: Wie das prächtige Haus in einen Dornröschenschlaf fiel – aber bald wieder daraus erwacht
Alte Augenklinik: Postbeamte, amerikanische GIs, Augenkranke und Psychiatriepatienten bevölkerten das Krankenhaus. Doch dann stand es jahrzehntelang leer.
Die ehemalige Augenklinik am Röntgenring in Würzburg Anfang dieses Jahres: Die Sanierung ist da schon fast beendet, im Mai soll das Gebäude wiedereröffnet werden.
Foto: Johannes Kiefer | Die ehemalige Augenklinik am Röntgenring in Würzburg Anfang dieses Jahres: Die Sanierung ist da schon fast beendet, im Mai soll das Gebäude wiedereröffnet werden.
Roland Flade
 |  aktualisiert: 08.02.2024 13:01 Uhr

Im April 1945 füllten ungewohnte Laute die Universitäts-Augenklinik am Würzburger Röntgenring. 44 Jahre lang war es in dem 1901 eröffneten Krankenhaus um die bestmögliche Behandlung von Augenkranken gegangen. Jetzt bevölkerten Soldaten eines amerikanischen Eisenbahn-Bataillons den Prachtbau; ihre Gespräche drehten sich um die Frage, welche der verwüsteten Schienenstrecken Unterfrankens zuerst repariert werden sollten. Der Nachschub für die Army musste rollen; der Zweite Weltkrieg war noch nicht zu Ende.

Den Abend des 16. März 1945, als britische Flugzeuge wenige Wochen zuvor Hunderte Tonnen Spreng- und Brandbomben über Würzburg abwarfen und rund 3600 Menschen starben, hatten Personal und Patienten sowie der Klinikangestellte Otto Seidel und seine Familie im Luftschutzkeller des Augenklinik überstanden. Abgesehen von den Schäden, die kleinere, durch Funkenflug ausgelöste Feuer verursachten, war das Gebäude intakt geblieben.

Die amerikanischen Truppen rückten immer näher an das fast völlig zerstörte Würzburg heran. Wenige Tage nach dem Angriff wurden daher Patienten, Ärzte und Erlöserschwestern, die in der Klinik Dienst taten, in die Brauerei Hochrein in Kaltenhausen gebracht, später ins Schönborn-Schloss in Wiesentheid. Die Ambulanz kam ins Luitpoldkrankenhaus.

Im März 1945 zog eine Poststelle in die Augenklinik ein

Otto Seidel, der jahrzehntelang Tagebuch führte und so zum Chronisten der Klinik wurde, in der er mit seiner Familie wohnte, beschrieb die Lage nach der Auslagerung: "Das Gebäude lag verlassen, die Plünderung begann." Würzburgerinnen und Würzburger, die am 16. März alles verloren hatten, holten sich aus dem kurzzeitig leerstehenden Gebäude lebensnotwendige Güter, wahrscheinlich auch Einrichtungsgegenstände, und zerschlugen manches mutwillig.

Der Chronist der Alten Augenklinik: Otto Seidel im Jahr 1951.
Foto: Sammlung Hermann Seidel | Der Chronist der Alten Augenklinik: Otto Seidel im Jahr 1951.

Die Anarchie endete, als noch im März 1945 Würzburger Postbeamte einzogen, deren Amtsräume größtenteils zerstört waren. Im ersten Stock der Klinik richteten sie in den Patientenzimmern Briefsortierungs-Abteilungen ein. Im Küchengang und im Nähzimmer lagen improvisierte Auszahlungsschalter für Renten. "Postkunden standen in großer Zahl in Schlangen im Klinikgarten, auf Auszahlung ihrer Versorgungsbezüge wartend", schrieb Seidel.

Am 3. April 1945 begann der dreitägige Kampf um Würzburg. Die Amerikaner setzten vom linken Mainufer über, zunächst in Booten, später über die von ihnen notdürftig reparierte Alte Mainbrücke. Diese stellte danach lange den einzigen Mainübergang in Würzburg dar, da die Nationalsozialisten alle Brücken in die Luft gejagt hatten.

Zu Beginn der Besetzung der Augenklinik durch die Amerikaner durfte Otto Seidel das Haus nur betreten, nachdem er diesen Passierschein vorgezeigt hatte. Der GI hatte seinen Namen ('Saedel') falsch geschrieben.
Foto: Sammlung Hermann Seidel | Zu Beginn der Besetzung der Augenklinik durch die Amerikaner durfte Otto Seidel das Haus nur betreten, nachdem er diesen Passierschein vorgezeigt hatte. Der GI hatte seinen Namen ("Saedel") falsch geschrieben.

Am 15. April, drei Wochen vor Ende des Zweiten Weltkriegs und neun Tage nach dem Endes des erbitterten und verlustreichen Kampfs um Würzburg, besetzte amerikanische Militärpolizei (M.P.) die Augenklinik. Die M.P. blieb nicht lange und machte Ende April dem "750th Railway Operating Battalion" Platz. Otto Seidel brachte unter Aufsicht der GIs die Heizung wieder zum Laufen, seine Frau Anna wusch die Wäsche der Soldaten, deren Aufgabe die Reparatur von Bahnstrecken war.

Ein notdürftiger Klinikbetrieb begann

Als die Amerikaner das Haus im Oktober 1945 verließen, konnte wieder ein notdürftiger Krankenhausbetrieb beginnen. "Von Wiesentheid trafen Lastautos mit dem Klinikinventar ein und ein großes Einräumen und Einziehen begann", schrieb Otto Seidel. "Alle Räume wurden nach verborgenen Möbelstücken und zerstörten Apparaten und Lampen durchsucht. Man musste sich behelfen so gut es ging. Alles war froh, mit dem Leben davongekommen zu sein."

Am 16. Dezember 1945 fand der erste Nachkriegs-Gottesdienst in der Klinikkapelle unter dem Dach statt. Jahre später sollten Otto Seidels Töchter Elsa und Maria darin heiraten.

Im Jahr 1998 tauschten Otto Seidels Töchter Elsa Fersch (links) und Maria Tamm in der seit langen nicht mehr benutzten Klinikkapelle, in der sie getraut worden waren, Erinnerungen aus.
Foto: Roland Flade | Im Jahr 1998 tauschten Otto Seidels Töchter Elsa Fersch (links) und Maria Tamm in der seit langen nicht mehr benutzten Klinikkapelle, in der sie getraut worden waren, Erinnerungen aus.

1946 kam die Julius-Maximilians-Universität langsam wieder in Gang. Da die Augenklinik im Gegensatz zu den meisten anderen Uni-Gebäuden noch benutzbar war, diente sie zeitweise als Massenquartier für Studierende und wurde zur Keimzelle der Nachkriegs-Universität. Mehrere Fakultäten nahmen hier einen notdürftigen Vorlesungsbetrieb wieder auf.

Ab 1951 leitete Walter Reichling das Haus am Röntgenring, der zuvor in der Charité in Berlin gearbeitet hatte. Der Professor, ein begeisterter Hobbypianist, war auch durch den nach ihm benannten und von ihm geleiteten Laienchor bekannt. Wie sein Nachfolger Wolfgang Leydhecker 1965 bei seinem Amtsantritt bemerkte, widmete Reichling dem Chor wohl ungebührlich viel Aufmerksamkeit.

Professor Walter Reichling leitete die Augenklinik von 1951 bis 1964. Er war ein begeisterter Hobbypianist und leitete einen nach ihm benannten Chor.
Foto: Universitätsarchiv Würzburg | Professor Walter Reichling leitete die Augenklinik von 1951 bis 1964. Er war ein begeisterter Hobbypianist und leitete einen nach ihm benannten Chor.

Als Leydhecker die Bibliothek der Augenklinik betrat, musste er staunen: "In den letzten Jahren war fremdsprachliche Literatur nicht mehr angeschafft worden", schrieb er in seinem Erinnerungen. "Sie enthielt aber einen Karton mit Plakaten der Aufführung der Matthäus-Passion, die mein Vorgänger dirigiert hatte."

1970 siedelte die Augenklinik nach Grombühl um

Während Professor Leydheckers bis 1987 dauernder Amtszeit siedelte die Augenklinik 1970 in die neuerbaute Kopfklinik in die Josef-Schneider-Straße um. Bis Anfang der 80er Jahre nutzte die Universitätsnervenklinik das Gebäude, bevor auch diese in Grombühl einen Neubau bezog. An den Wänden fanden sich noch 1998 Zeichnungen von hier untergebrachten Psychiatriepatienten. Gelegentlich führte die Polizei in dem nun leerstehenden Gebäude Übungen für angehende Polizisten durch.

In den 1970er Jahren nutzte die Universitätsnervenklinik das Haus. Noch 1998 hing diese Zeichnung eines Psychiatriepatienten mit dem Text 'Lieber schaukeln als Depression'  an der Wand eines leerstehenden Zimmers.
Foto: Roland Flade | In den 1970er Jahren nutzte die Universitätsnervenklinik das Haus. Noch 1998 hing diese Zeichnung eines Psychiatriepatienten mit dem Text "Lieber schaukeln als Depression" an der Wand eines leerstehenden Zimmers.

Es schien, als wäre das unter Denkmalschutz stehende Haus dem Verfall preisgegeben. Immer wieder wurden Nutzungen ins Gespräch gebracht und dann doch verworfen. Vor allem der Status als Denkmal machte viele Vorschläge zunichte. Von musealer Verwendung war die Rede, von einem Umzug der Polizeiinspektion von der Augustinerstraße an den Röntgenring oder von der Schaffung von Kongressräumen in Kooperation mit dem benachbarten Congress Centrum. Nichts davon kam zustande.

Immerhin wurde 1998 der separate Hörsaal im Hof für 3,1 Millionen Euro saniert und mit einem neuen Eingangsbereich versehen. Das Erdgeschoss der Klinik nahm eine Mensa für Studierende der Fachhochschule (jetzt Technische Hochschule) und der Uni-Institute am Röntgenring auf. In den vier Stockwerken darüber nisteten freilich die Tauben und blätterte der Putz. Das prächtige Treppenhaus führte in Zimmer, die keiner betrat und in denen teilweise noch die alten Büromöbel standen. Die Klinik lang in einem Dornröschenschlaf.

In diesem abgeschlossenen Bereich ('Klausur') wohnten die Erlöserschwestern, die ab 1923 in der Augenklinik arbeiteten. Das Foto entstand kurz vor Beginn der Sanierungsarbeiten.
Foto: Sabine Schlegelmilch | In diesem abgeschlossenen Bereich ("Klausur") wohnten die Erlöserschwestern, die ab 1923 in der Augenklinik arbeiteten. Das Foto entstand kurz vor Beginn der Sanierungsarbeiten.

Als kaum noch jemand zu hoffen wagte, das Haus würde jemals wieder als Ganzes genutzt werden, kam im Dezember 2017 die Wende, als der damalige Regierungspräsident Paul Beinhofer in der Jahresschlusssitzung des Stadtrats überraschend mitteilte, dass eine grundlegende Sanierung des maroden Bauwerks bevorstehe. 2020 begann der Umbau; am 8. Mai zieht das Fraunhofer-Institut ein und betreibt hier künftig unter anderem medizinische Grundlagenforschung.

Trotz sorgfältiger Recherche konnten nicht alle Rechteinhaber der Fotos ermittelt werden. Rechteinhaber werden gebeten, sich bei der Redaktion zu melden.

 
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  • fabian-koenig@t-online.de
    Vielen Dank für den interessanten Bericht über das schöne Gebäude! Sehr schön, dass es nun endlich saniert wurde und künftig einer sinnvollen und würdigen Nutzung unterzogen wird. Einziges Manko ist mE die Farbgebung des Außenstrichs, die vom Schaubild an der Bautafel abweicht. Man hätte das Untergeschoss und sämtliche Rahmen ebenfalls heller streichen sollen. Aber das ist Geschmackssache. Ich freue mich jedesmal, wenn ich daran vorbeifahre. grinsen
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