Als am 26. Dezember 2020 die erste Corona-Impfung in Deutschland verabreicht wurde, war die Hoffnung auf das baldige Ende der Pandemie groß. Das ist mittlerweile über ein Jahr her, die Pandemie hält die Welt weiter fest im Griff und aktuell wird hierzulande über eine vierte Impfung gegen das Coronavirus diskutiert. Eine gerade veröffentlichte Studie aus Israel über den Nutzen der erneuten Boosterung befeuert die Debatte.
Wie wichtig und sinnvoll ist die vierte Impfung? Für wen und mit welchem Impfstoff? Prof. Oliver Kurzai, Vorstand des Instituts für Hygiene und Mikrobiologie der Uni Würzburg, gibt Antworten.
Frage: Für wie sinnvoll halten Sie eine vierte Corona-Impfung?
Prof. Oliver Kurzai: Ich halte die vierte Impfung für spezielle Personengruppen, die ein hohes Risiko haben schwer zu erkranken, für absolut sinnvoll. Für diese Menschen versucht man, mit einer erneuten Boosterung das Optimum an Schutz herauszuholen. Das sind Personen über 70 Jahren und Menschen, die wegen einer Vorerkrankung oder anderen Risikofaktoren ein erhöhtes Risiko haben oder bei denen bestimmte Formen von Immunschwäche bekannt sind. Eine weitere Gruppe, für die die Ständige Impfkommission (Stiko) eine vierte Impfung empfiehlt, sind die Beschäftigten in medizinischen Einrichtungen: Sie profitieren nicht in erster Linie selber von der vierten Impfung, sondern schützen vor allem die Menschen, mit denen sie in ihrem beruflichen Umfeld Kontakt haben.
Welche Impfstoffe eigenen sich für eine vierte Impfung ?
Kurzai: Für die dritte und vierte Impfung setzen wir momentan ausschließlich auf die mRNA-Impfstoffe. Der Grund dafür ist, dass wir für diese Impfstoffe das mit Abstand größte Wissen über die Wirksamkeit haben – dank Studien aus anderen Ländern, die zeigen, dass die Auffrischimpfung mit diesen Impfstoffen besonders wirksam ist. Vektor-Impfstoffe eignen sich nicht besonders gut für eine Booster-Impfung, vor allem wenn die Grundimmunisierung bereits damit durchgeführt wurde.
Kann durch zu häufiges Impfen so etwas wie eine "Überimpfung" eintreten?
Kurzai: Diese Frage würde ich mit "nein" beantworten. Man kann natürlich den Kontakt mit einem Antigen so oft wiederholen, dass unser Immunsystem lernt, den Impfstoff zu ignorieren - also eine Toleranz dagegen entwickelt und nicht mehr reagiert. Dieses Prinzip kennen manche von der Hyposensibilisierung bei einer Hausstauballergie. Dort wird für mehrere Jahre alle vier Wochen das Antigen gespritzt. Wir bewegen uns aber in einem Bereich von vier Impfungen, im Abstand von jeweils Monaten. Da ist eine Toleranzentwicklung kein Thema. Ich persönlich würde den Begriff Überimpfung aber keinesfalls verwenden.
Ist es dennoch möglich, dass unser Immunsystem irgendwann nicht mehr auf den Impfstoff reagiert?
Kurzai: Der Zweck der Impfung ist, dass der Körper lernt gegen das Antigen eine Immunantwort zu geben, die uns schützt. Bei der ersten Impfung ist der Effekt eher mittelmäßig, bei der zweiten Impfung ist der Effekt dann super. Nach einem halben Jahr impfen wir ein drittes Mal und es gibt einen erneuten erheblichen Steigerungseffekt. Genau dasselbe passiert bei der vierten Impfung – der Effekt bei gesunden Personen unter 70 Jahren ist aber nicht mehr so ausgeprägt, dass es sich momentan einfach nicht lohnt, eine vierte Impfung für alle durchzuführen. Aus diesem Grund ist es absolut verständlich, dass die Stiko keine allgemeine Empfehlung für die vierte Impfung ausgesprochen hat.
Kurzai: Man muss diese Daten genau anschauenund hier auch nochmal nach dem individuellen Risiko unterscheiden – so ist die Impfempfehlung der Stiko entstanden. Daher gibt es in Deutschland aktuell auch keine Empfehlung, alle Personen zum vierten Mal zu impfen. Das kann sich im Zeitverlauf natürlich noch einmal ändern. Nehmen wir einmal an, dass wir diese Pandemie nicht in den Griff bekommen. Dann kann sich eine vierte Impfung zum Beispiel nach zwei Jahren tatsächlich wieder lohnen. An dem Punkt sind wir momentan aber nicht. Für den normalen, gesunden Menschen gibt es momentan keinen Grund für eine vierte Impfung.
Stichwort Omikron: Sollte man auf einen Impfstoff warten, der an die Variante angepasst ist und deshalb aktuell die vierte Impfung aufschieben?
Kurzai: Das macht aus meiner Sicht keinen Sinn. Ich bin sehr skeptisch, ob Omikron-Impfstoffe überhaupt noch auf den Markt kommen, weil der Mehrwert wahrscheinlich eher gering ist. Es ist einfach so, dass sich unser Immunsystem durch die Boosterungen immer besser aufstellt. Wir wissen mittlerweile, dass drei herkömmliche Impfungen auch sehr gut gegen schwere Verläufe mit der Omikron-Variante schützen. Dann ist die Frage: Warum brauchen wir überhaupt noch einen angepassten Impfstoff? Vereinfacht gesagt: Das Immunsystem bemerkt eventuell gar nicht, dass dieser Impfstoff anders ist.
In einigen afrikanischen Ländern liegt die Impfquote aktuell bei unter einem Prozent. Die Wahrscheinlichkeit, dass sich dort Mutationen entwickeln ist entsprechend hoch. Sollte der Impfstoff genutzt werden, um allen Menschen eine Grundimmunisierung zu verschaffen, statt in Deutschland ein viertes Mal zu impfen?
Kurzai: Prinzipiell stimme ich dem vollkommen zu. Natürlich wäre es, sowohl aus ethischer als auch aus infektionsepidemiologischer Sicht, extrem wichtig, allen Menschen auf diesem Planeten einen Impfschutz zu verschaffen. Dadurch reduzieren wir auch die Möglichkeit, dass das Virus neue Varianten bildet. Auf der anderen Seite, muss man sagen, dass die niedrigen Impfquoten in afrikanischen Ländern nicht ausschließlich auf Impfstoffmangel zurückgehen. In vielen Ländern dort existiert eine sehr große Skepsis gegenüber den Impfstoffen. Dieses Problem – ebenso wie die fehlende Infrastruktur in Afrika - können wir nicht dadurch beheben, dass wir auf die vierte Impfung verzichten und diese Impfstoffe nach Afrika verschiffen.
Siehst du das anderes?