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Würzburg
Enorme Menge Geld verloren: Warum fallen so viele Menschen auf Anlagebetrüger herein, Professor Deutsch?
Gier? Zu viel Vertrauen? Eine Frau aus der Region verlor durch Anlagebetrug ein Vermögen. Ein Würzburger Psychologe über Tricks und Mechanismen - und wie man sich schützt.
'Menschen sind sehr anfällig für Vertrauensseligkeit': Der Würzburger Sozialpsychologe Prof. Roland Deutsch erklärt die Mechanismen des Anlagebetrugs.
Foto: Thomas Obermeier | "Menschen sind sehr anfällig für Vertrauensseligkeit": Der Würzburger Sozialpsychologe Prof. Roland Deutsch erklärt die Mechanismen des Anlagebetrugs.
Christine Jeske
 |  aktualisiert: 08.02.2024 15:29 Uhr

Mehrere hunderttausend Euro hat eine 61-Jährige aus dem Landkreis Würzburg verloren. Sie war, berichtete das Polizeipräsidium Unterfranken, auf einen hochspekulativen Anlagebetrug in Kryptowährung hereingefallen. War die Frau zu vertrauensselig? Welche Tricks wenden Betrügerinnen und Betrüger an, auf die man leicht hereinfällt? Und wie kann man sich schützen?

Antworten gibt Prof. Roland Deutsch, Inhaber des Lehrstuhls für Sozialpsychologie an der Uni Würzburg, der sich mit dem Thema "Anlagebetrug" näher befasst hat.

Frage: Professor Deutsch, ist jeder Mensch für Betrug anfällig?

Prof. Roland Deutsch: Es gibt einige psychologische Mechanismen, die mehr oder weniger stark bei allen Menschen wirken und deshalb ausgenutzt werden können. Das Gefährdungspotential ist daher hoch. Studien belegen aber, dass die meisten nicht auf unseriöse und hochspekulative Angebote reagieren. Und nicht alle Menschen fallen auf Betrug herein. In Sicherheit wiegen können wir uns jedoch nicht.

Welche Mechanismen nutzen Betrüger?

Deutsch: Es gibt mehrere psychologische Prinzipien, die bei Betrug zusammenwirken. Meist werden sie nicht gleichzeitig genutzt, sondern nach und nach. Was sehr häufig eine Rolle spielt: Betrüger erschleichen sich Vertrauen. Menschen sind sehr anfällig für Vertrauensseligkeit.

Auch wenn der Betrug nicht im direkten Gespräch, sondern am Telefon vorbereitet wird?

Deutsch: Ein einziger Telefonanruf bringt Menschen nicht dazu, ihr ganzes Vermögen bereitwillig in eine betrügerische Anlage zu investieren. Ein geschickt aufgebauter Anlagebetrug zieht sich über Monate, manchmal über Jahre hin. Zuerst geht es eben darum Vertrauen aufzubauen. Dazu gehört, dass die Personen von sich Geschichten erzählen, die darauf hindeuten, dass sie geniale Experten sind, die Spezial- oder sogar Geheimwissen haben. Oder sie prahlen mit akademischen Titeln. Auch eine professionell aufgemachte Internetseite schafft Vertrauen. Hinzu kommt, was in der Forschung "Social Proof", sozialer Nachweis, genannt wird.

Ein geschickt aufgebauter Anlagebetrug zieht sich über Monate, manchmal über Jahre hin."
Prof. Roland Deutsch
Was versteht man unter "Social Proof"?

Deutsch: Bei diesem psychologischen Phänomen geht es darum, dass Menschen sehen, dass sie nicht allein sind mit ihrer Entscheidung, sondern auch andere der Person vertrauen, die diese Anlage anbietet. Das hat eine mächtige Wirkung. Deshalb werden bei größer angelegten Anlagebetrügereien Veranstaltungen organisiert, bei der die potenziellen Investoren sich gegenseitig bestärken. Das ist dann häufig der letzte Kick, der jeden Zweifel raubt.

Von wegen großes Geld: Anlagebetrüger arbeiten mit psychologischen Mechanismen, die bei Menschen wirken.
Foto: Atstock Productions | Von wegen großes Geld: Anlagebetrüger arbeiten mit psychologischen Mechanismen, die bei Menschen wirken.
Kommt der Zweifel wieder, wenn die versprochene Rendite immer wieder hinausgezögert wird?

Deutsch: Bei groß angelegten Anlagebetrügereien ist die Regel, dass es in einer ersten Phase Erfolge erzielt werden, also Geld ausbezahlt wird. Dann denken Anleger: Ja, das funktioniert. Sie investieren immer mehr, und das geht schief. Doch selbst dann schrillen nicht die Alarmglocken. Vielmehr entsteht eine erhebliche soziale und psychologische Drucksituation: Jetzt aussteigen würde bedeuten, dass man viel Geld abschreiben müsste. Und man müsste vor sich und anderen den Reinfall zugeben. Das ist sehr unangenehm.

Deshalb täuschen Menschen sich lieber selbst?

Deutsch: Diese Situation erschwert es Menschen sich der Wirklichkeit zu stellen. Es steigt das Risiko, dass Betroffene sich die Lage sehr lange schönreden. Und sie fallen dem Gefühl anheim: Ich habe schon so viel Geld investiert, das kann ich nicht aufgeben. Wenn ich nochmals Geld nachschiebe, dann werde ich frühere Verluste ausgleichen oder endlich den ganz großen Gewinn einstreichen.

Greift dieses Denken nur bei Anlagebetrug?

Deutsch: Dieses Prinzip steckt tief in uns Menschen drinnen. Und es führt auch bei anderen Bereichen zu großen Schaden – etwa bei legitimen Aktienanlagen, bei denen man Verluste einfährt. Auch dort gibt es die Tendenz, die Investition nicht abzuschreiben, vielmehr nachzukaufen – mit dem Gedanken: Wenn die Aktie wieder steigt, dann habe ich meine Verluste wieder kompensiert. Dieses Prinzip wird bei betrügerischen Investitionen ausgenutzt.

Bestimmt also nicht die Gier, sondern die Hoffnung das Handeln?

Deutsch: In diesem fortgeschrittenem Stadium ist es Hoffnung. Zu Beginn des Prozesses spielt Gier eine große Rolle. Betrügerische Anlagen versprechen überproportionale Renditen, vermeintlich begründet durch einen besonderen und nicht allgemeinen bekannten Investment-Trick. Und der Anbieter gibt vor so nett zu sein, dass er andere mit an Bord nimmt.

Die Tatsache, dass sehr hohe Renditen eher die Ausnahme sind und nicht die Regel, wird ignoriert?

Deutsch: Das ist so: Und an diesem Punkt kann man ansetzen mit öffentlicher Aufklärungsarbeit, um das zu verhindern. Es genügt nicht nur vor Betrügereien zu warnen. Schutz bietet, wenn man weiß: In Finanzsystemen ist es eigentlich nicht möglich, plan- und berechenbar extreme Renditen einzufahren. Das kann durch Zufall passieren, wenn man also durch Glück in die eine überdurchschnittlich laufende Aktie oder in die eine überdurchschnittlich laufende Unternehmensanleihe investiert hat. Dauerhaft deutlich überdurchschnittliche Renditen einzufahren, ist aber selbst für Aktienfond-Manager eine große Herausforderung.

Was schützt noch vor Betrügereien?

Deutsch: Jeder, der Geld investieren möchte, sollte hinterfragen: Ist es die Anbieterin oder der Anbieter, die mich überzeugt? Würde ich auch bei einer anderen Person das Angebot annehmen? Verstehe ich das Angebot? Oder reagiere ich nur auf die Ausstrahlung der anbietenden Person und auf deren Schmeichelei? Vorsicht ist auch geboten, wenn es anfangs Geschenke und viele Komplimente verteilt werden.

"Vorsicht ist geboten, wenn es anfangs Geldgeschenke oder viele Komplimente verteilt werden."
Prof. Roland Deutsch, Sozialpsychologe an der Universität Würzburg
Weshalb?

Deutsch: In allen Kulturen weltweit gibt es die unausgesprochene Regel: Wenn mir jemand etwas Gutes tut, dann habe ich die Verpflichtung, etwas zurückzugeben. Das beruht auf Reziprozität, auf Wechselseitigkeit. Dieses Prinzip wird häufig ausgenutzt, um Menschen zu manipulieren. Auch in harmlosen Kontexten. Bei Anlagebetrug könnte es beispielsweise einen Vorabbonus geben oder auch nur eine sehr luxuriös gestalte "Informationsveranstaltung". Das kann zu einem Verpflichtungsgefühl gegenüber dem Anbieter führen, und damit steigt die Wahrscheinlichkeit, dass Menschen das Investment kaufen. Schützen kann ich mich, indem ich hinterfrage: Warum erhalten ich Geschenke und Komplimente? So baut man eine größere Distanz auf.

Sind Zweitmeinungen sinnvoll?

Deutsch: Ein Universal-Rat ist: Sobald es sich um nennenswerte Investment-Summen handelt, die über ein Monatsgehalt hinausgehen, sollten sich Anleger eine zweite oder dritte Meinung von unabhängigen Beratungsstellen oder Bekannten einholen, von denen man weiß, dass sie sich gut auskennen.

Im aktuellen Fall aus Würzburg zeigte die 61-jährige Betroffene von sich aus Interesse an einer betrügerischen Anlage mit Krypto-Währung. War sie deshalb ein leichtes Opfer?

Deutsch: Durchaus, denn er erste Schritt ist schon gelungen. Das Interesse ist da. Die Person ist von sich aus gesprächsbereit. Zudem zeigt sich an diesem Fall, dass jede Geschichte einen plausiblen Kern braucht. Kryptowährung war in den vergangenen Jahren ein heißes Thema, bei denen einige tatsächlich unglaublich hohe Renditen eingefahren haben. Betrüger springen gerne auf den fahrenden Zug auf.

 
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Kommentare
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  • P. K.
    Es ist eigentlich ganz einfach auf Nummer sicher zu gehen, wesentlich höhere Zinsen als für das Sparbuch gibt es nicht ohne Risiko.
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  • F. K.
    Vielleicht muss man nur folgende Faustformel beherzigen: Niemand hat etwas zu verschenken.
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  • G. K.
    Gier frisst Hirn...
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  • P. S.
    Der beste Schutz ist und bleibt immer noch die Bildung der Bevölkerung in Anlage-und Finanzdingen. Aber das ist vielleicht nicht gewollt....
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  • H. M.
    gerade da liegt das Misstrauen der meisten, so dass die Betrüger leichteres Spiel haben.
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  • M. D.
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