Angst vor Engpässen im Winter und Kritik an der Abhängigkeit von China: Mit klaren Worten hat die Würzburger Pharmazie-Professorin Dr. Ulrike Holzgrabe am Donnerstagabend in der ZDF-Talkshow von Markus Lanz den anhaltenden Medikamentenmangel in Deutschland kritisiert. Viel zu lange sei die Abhängigkeit von China bei der Produktion hingenommen worden, viel zu blauäugig sei der Glauben, die Herstellung lasse sich einfach zurückholen.
"Es ist nicht so einfach, wie Herr Lauterbach das darstellt", sagt Holzgrabe am Tag nach Ausstrahlung im Gespräch mit dieser Redaktion.
Pharmazeutin Holzgrabe: Engpässe bei Medikamenten "hausgemacht"
"Wenn ich in die Apotheke gehe, dann sehe ich lauter leere Regale – bis zu einem Kollegen, der gesagt hat: Ich stelle einfach mal Pappschachteln da auf, dann sieht es nicht so schlimm aus", sagte Holzgrabe in der Sendung. Dabei ist der Mangel aus ihrer Sicht hausgemacht: "Wir produzieren so viel in China und wenn wir es nicht in China produzieren lassen, sondern hier, dann kaufen wir Ausgangsprodukte in China", kritisierte die Seniorprofessorin am Lehrstuhl für Pharmazie und Medizinische Chemie der Uni Würzburg. Man müsse davon wegkommen, dass ein Land so viel Marktmacht ausüben könne.
Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) hatte in der Sendung angekündigt, härter gegen den Medikamentenmangel vorgehen zu wollen. Kurzfristig sollen Hersteller nur noch einen Vertrag mit den Krankenkassen bekommen, wenn sie sechs Monate Lagerhaltung garantieren. Langfristig wolle man die Produktion nach Europa zurückholen, "einschließlich der Wirkstoffe", so Lauterbach.
Am Beispiel Antibiotika erklärte der Gesundheitsminister im ZDF: "Diejenigen, die in Zukunft an die deutschen Krankenkassen Antibiotika verkaufen wollen, müssen garantieren, dass sie 50 Prozent der Produktion in Europa haben".
Pharmazeutin Holzgrabe allerdings sieht genau das skeptisch. Das System der Medikamentenherstellung sei "sehr komplex". Auch Zwischenprodukte müssten hergestellt werden, die dafür nötige Industrie sei "nicht so einfach zurückzuholen". Feinchemikalien beispielsweise ließen sich schon allein aus Umweltschutzgründen "nicht einfach wieder in Europa herstellen", so die Seniorprofessorin. "Der Weg ist weit."
Bundesgesundheitsminister will Pharmastrategie vorstellen
Was aber heißt das für diesen Winter? Bundesgesundheitsminister Lauterbach will noch im November eine "Pharmastrategie" vorstellen und damit den Weg im Kampf gegen den Medikamentenmangel vorgeben. Dass das kurzfristig helfe, bezweifelt Holzgrabe: "Wenn ich nichts habe, kann ich auch nichts auf Lager haben." Und, sagt die Würzburger Professorin: "Mir persönlich macht der Winter Angst, dass wir zu wenig Antibiotika haben." Sollten im Winter wie im vergangenen Jahr Corona- und Grippewellen synchron rollen, drohen somit wohl neue Engpässe.