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Würzburg
Lieferengpässe in Unterfranken: Welche Medikamente schon jetzt wieder Mangelware sind und was dringend zu tun ist
Vor allem Kinder waren im letzten Winter von fehlenden Arzneimitteln betroffen. Würzburger Apotheker und Experten sprechen von Dauerkrise. Das ist der aktuelle Stand.
Eine Apothekerin öffnet ein Schubfach mit Antibiotika-Säften für Kinder. Sie sind schon jetzt, vor der Erkältungs- und Grippesaison, kaum zu bekommen.
Foto: Jan Woitas, dpa | Eine Apothekerin öffnet ein Schubfach mit Antibiotika-Säften für Kinder. Sie sind schon jetzt, vor der Erkältungs- und Grippesaison, kaum zu bekommen.
Andreas Jungbauer
 |  aktualisiert: 15.07.2024 16:15 Uhr

Eltern erinnern sich mit Schrecken an den vergangenen Winter: Nach einer Infektionswelle waren plötzlich Fieber- und Hustensäfte für Kinder nicht mehr verfügbar, auch Antibiotika wurden knapp. Das soll sich nach dem Wunsch von Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) in diesem Jahr nicht wiederholen.

Wie ist die Versorgungssituation bei Arzneimitteln aktuell und wie beurteilen Experten aus Würzburg die Lage? Antworten im Überblick. 

Wie ist im Herbst 2023 die Versorgungslage bei Medikamenten?

"Wir sind besser aufgestellt als im letzten Jahr", sagt Gesundheitsminister Karl Lauterbach nach Beratungen mit Pharmaindustrie, Apothekern und Ärzten. Die Industrie habe die Produktion hochgefahren. Aber "besser" heißt noch lange nicht gut. Teilweise fehlen schon jetzt, noch vor der Erkältungssaison, bestimmte Arzneimittel vor allem für Kinder.

"Antibiotikasäfte, Penicillinsäfte, bestimmte Säfte für Babys – alles Fehlanzeige", klagt Dr. Thomas Richter, Inhaber der Hof-Apotheke in Würzburg. Auch Nasensprays seien derzeit nicht lieferbar. Es gehe zu wie an der Börse, schildert Richter: "Wenn kurzzeitig im Großhandel etwas aufploppt, muss man sofort bestellen." Die Engpässe seien mittlerweile ein Dauerzustand. Zwar gibt es sie schon seit Jahren, bestätigt Dr. Mareike Kunkel, Leiterin der Apotheke der Uniklinik Würzburg. Aber sie stellt fest: "Die Situation spitzt sich zu."

Die Würzburger Uniklinik hat der Chefapothekerin zufolge aktuell bei rund 100 Medikamenten mit Lieferproblemen zu kämpfen. Ein Viertel davon sei problematisch, weil Arzneimittel in einer bestimmten Stärke überhaupt nicht mehr zu bekommen seien, sagt Kunkel. Die Versorgung der Patientinnen und Patienten an der Uniklinik sieht sie allen Lieferschwierigkeiten zum Trotz derzeit aber nicht in Gefahr.

Sind im Herbst und Winter wieder Engpässe zu befürchten?

Der Berufsverband der Kinder- und Jugendärzte hat bereits vor einigen Wochen vor erneuten Lieferengpässen in der kalten Jahreszeit gewarnt. Selbst Karl Lauterbach räumt ein: "Wenn es eine starke Grippe- oder RS-Virus-Welle geben sollte, können wir Engpässe nicht ausschließen."

Leitet seit 2016 die Apotheke des Uniklinikums Würzburg und ist hier für 60 Mitarbeitende verantwortlich:  Mareike Kunkel.
Foto: Daniel Peter, Uniklinikum Würzburg | Leitet seit 2016 die Apotheke des Uniklinikums Würzburg und ist hier für 60 Mitarbeitende verantwortlich:  Mareike Kunkel.

Auch Apotheker Thomas Richter ist besorgt: "Es sieht nicht gut aus für die nächste Zeit." Er gehe nicht davon aus, dass aktuell fehlende Medikamente in den nächsten Wochen in ausreichender Menge aufzutreiben sind. Pharmafirmen würden teilweise ihre Kontingente reduzieren – es werde weniger geliefert als bestellt.

Bei den Fiebersäften für Kinder sehe es derzeit etwas besser aus als im vergangenen Jahr, sagt Richter. Mit Skepsis blickt er aber auf die langen Wintermonate. "Mit einer zusätzlichen starken Infektwelle wird es kritisch." Seine Hoffnung: Dass die allgemeine Immunabwehr im zweiten Winter nach der Corona-Krise stabiler ist und es zu weniger Erkrankungen als 2022 kommt. 

Welche Medikamente und Arzneimittel sind besonders betroffen?

Das Bundesamt für Arzneimittel und Medizinprodukte veröffentlicht eine Liste mit Lieferengpässen. 504 Präparate sind dort aktuell aufgeführt. Nach Einschätzung des Apothekerverbands Nordrhein sind derzeit rund 1,5 Millionen Menschen in Deutschland betroffen. Hautproblem sind Generika, also Medikamente, deren Patent abgelaufen ist. Sie machen 80 Prozent des Marktes aus.

Besonders angespannt ist die Lage bei Antibiotika: "Für Kinder sind sie kaum zu bekommen", sagt Uniklinik-Apothekerin Kunkel. Ansonsten fehlten im Moment Augentropfen, zuletzt waren es Entwässerungsampullen - "das ändert sich ständig". Antibiotika für Erwachsene sind laut Apotheker Thomas Richter zwar verlässlicher zu bekommen als für Kinder. "Aber auch hier wird es manchmal schwierig." 

Was passiert, wenn ein verschriebenes Medikament nicht zur Verfügung steht?

Ist ein Präparat nicht lieferbar, versuchen Apotheken den Wirkstoff in gleicher Dosierung über alternative Hersteller zu bekommen. Gelingt dies nicht, kann die Packungsgröße oder nach Rücksprache mit Ärzten die Art der Einnahme – zum Beispiel flüssig oder in Tablettenform – abgeändert werden. Hier sollen Apotheken künftig mehr Spielraum bekommen.

Zur Not bleibt das Ausweichen auf einen anderen Wirkstoff oder eine andere Stärke – was nur in Absprache mit den Ärzten erfolgen sollte. Teilweise stellen Apotheken die Medikamente auch selbst her oder machen aus Tabletten Säfte. Ein Schwerpunkt seien Rezepturen zur Behandlung von Hautausschlägen, so Apotheker Thomas Richter.

In der riesigen Apotheke des Würzburger Uniklinikums gehört die eigene Herstellung zum täglichen Geschäft. Bei Schmerzmitteln weiche man darauf aus, Säfte und auch Zäpfchen habe man dieses Jahr schon wegen Lieferengpässen produziert, berichtet Leiterin Mareike Kunkel. Auch Importe aus dem Ausland spielen eine immer größere Rolle, die Bundesregierung hat hier die Vorschriften bereits gelockert. Lauterbach will bei Bedarf weitere Einfuhren ermöglichen.

Was können Patienten und Eltern selbst tun?

Im vergangenen Winter sind Eltern teilweise nach Holland gefahren um sich dort mit Fiebersäften einzudecken. Eine Lösung ist das natürlich nicht. Patienten und Eltern sollten bei Lieferproblemen gemeinsam mit Ärzten und Apotheken nach Alternativen suchen, raten deren Verbände. Präventiv einen kleinen Vorrat in der Hausapotheke zu haben, hält der Bundesgesundheitsminister für sinnvoll. Er warnt allerdings vor Panikkäufen.

Immer häufiger gelangen Apotheker wie der Würzburger Dr. Thomas Richter nicht an ein verschriebenes Präparat und müssen – soweit möglich – auf alternative Hersteller ausweichen.
Foto: Thomas Obermeier | Immer häufiger gelangen Apotheker wie der Würzburger Dr. Thomas Richter nicht an ein verschriebenes Präparat und müssen – soweit möglich – auf alternative Hersteller ausweichen.

Hamstern und horten würde die Lage erst richtig verschärfen, befürchtet auch Thomas Richter. Ebenso rät der Würzburger Apotheker von privaten "Medikamenten-Flohmärkten" über das Internet dringend ab: "Das geht gar nicht." Die Gefahr sei groß, die falschen oder abgelaufene Medikamente zu erwischen.

Wie könnten Lieferengpässe in Zukunft verhindert werden?

Mit dem im Juli beschlossenen Lieferengpassgesetz will die Bundesregierung Abhilfe schaffen, unter anderem mit einer erleichterten Abgabe von Arzneien, einer größeren Zahl an Herstellern und einer stärkeren Bevorratung von Medikamenten.

Doch allein die Umsetzung sei quasi unmöglich, kritisiert Ulrike Holzgrabe, Seniorprofessorin für pharmazeutische und medizinische Chemie an der Uni Würzburg: "Wo sollen die Antibiotika und Schmerz- und Fiebermittel herkommen, die in die Lager gelegt werden sollen?" Die Produktion sei weltweit am Anschlag. Lauterbach werde  von Panik getrieben, sagt Holzgrabe.

Ulrike Holzgrabe, Seniorprofessorin für Pharmazie und Chemie, hat an der Uni Würzburg zusammen mit Kolleginnen aus der Ökonomie ein Projekt zu Medikamenten-Engpässen ins Leben gerufen. Sie übt scharfe Kritik an der Politik.  
Foto: Daniel Peter | Ulrike Holzgrabe, Seniorprofessorin für Pharmazie und Chemie, hat an der Uni Würzburg zusammen mit Kolleginnen aus der Ökonomie ein Projekt zu Medikamenten-Engpässen ins Leben gerufen.

Statt mit hohen Preisen einen globalen Verteilungskampf zu führen und den Markt "leerzukaufen", müssten wieder mehr Produktionsstätten aufgebaut werden, vor allem in Europa – selbst wenn die Herstellungskosten hier höher sind. Eine kurzfristige Lösung hält die Pharmazeutin für schwierig: "Ehrlich gesagt weiß ich nicht, wie wir die Situation in den Griff bekommen sollen."

Veranstaltungstipp: Uniklinik-Chefapothekerin Dr. Mareike Kunkel und Apotheker Dr. Thomas Richter sind am Mittwoch, 27. September, Teilnehmer des nächsten öffentlichen "Gesundheitstalks" der Würzburger Uniklinik. Das Thema:  Lieferengpässe bei Arzneimitteln. Die Gesprächsrunde beginnt um 18 Uhr im Hörsaal der Würzburger Uni-Kinderklinik (Josef-Schneider-Str. 2). Ebenfalls dabei: Prof. Christoph Härtel, Direktor der Kinderklinik, und der Internist und Onkologe Martin Kortüm. Es moderiert Main-Post-Redakteur Andreas Jungbauer. Anmeldung zu der kostenlosen Veranstaltung per Mail: selbsthilfe@ukw.de

 
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Kommentare
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  • Christa Bullmann
    Sind das wirklich Lieferengpässe? Oder sind diese hausgemacht, um die Kosten in die Höhe zu treiben und mehr Profit ein zu fahren?

    Bei der Pharmaindustrie würde ich mich da nicht wundern.

    Mit freundlichen Grüßen

    Johannes Bullmann, MPA
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  • Harald Bach
    Unser Gesundheitssystem wird den Bach runter gehen, wie die Rentenkasse auch ! Grund: Ausgebeutet durch zuviele Leistungsbezieher , die selbst nie einen Cent in die beiden Systeme eingezahlt haben! Sehr bedenklich!
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  • Matthias Kemmer
    Gut, zugegeben: Herr Lauterbach war lange und sehr intensiv wegen Corona eingebunden, das mag ihn bis zu einem gewissen Grad entschuldigen.
    Dass wir aber jetzt mangels eigener Produktionsstandorte v.a. von asiatischen Produzenten abhängig sind, das ist eine Entwicklung, die voraussehbar war und sehenden Auges in Kauf genommen wurde.
    Auch die Krankenkassen haben (angeblich im Namen ihrer Beitragzahler) jahrzehntelang gedrängt, das günstigste Präparat einzukaufen. Die werte Leserschaft möge in ihre Wahlentscheidung einfließen lassen, welche Partei das ändern wird. Die Partei von Herrn Lauterbach schonmal nicht. Und die CDU/CSU wird diesen neokapitalistische Fehlentwicklung auch nicht korrigieren. Die möchte nur eigene Atomkraftwerke, deren Brennstäbe von außen (sic!) zugekauft werden müssen. Was also ist aus der breiten politischen Mitte geworden, deren Vertreter in den Parlamenten doch alle geschworen haben, Schaden vom deutschen Volk abzuwenden? Es ist zum Heulen - nur die AfD lacht.
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  • Gerhard Duczek
    Leider verstößt Ihr Kommentar gegen die Kommentarregeln auf mainpost.de. Wir haben den Kommentar deshalb gesperrt.
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  • Stefan Flessa
    Unser Gesundheitssystem: funktioniert!

    Ist nur ein bisschen auf Gewinn optimiert, aber hey für die Rendite von ein paar Unternehmen, die in Form von Dividende die Tasche der Shareholder fließt: funktioniert!

    Und alle anderen die immer noch so blöd sind und warnen, wenn Arztpraxen oder dergleichen von Finanzinvestoren aufgekauft werden, die haben einfach noch nicht verstanden, wofür das Gesundheitssystem zuständig ist: Geld erwirtschaften.

    Für die, welche die Gesundheit der Patienten im Vordergrund sehen: ihr seid outdated. So denkt man heute nicht mehr!

    Achtung: kann Ironie und Satire enthalten
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