
Wenn man die Wohnung der Familie Abrahimi (Namen von der Redaktion geändert) in einem Flüchtlingsheim in Ochsenfurt betritt, fällt sofort die karge Einrichtung ins Auge. Im Flur ist eine Kochnische angebracht: Herd, Kühlschrank und eine kleine Arbeitsfläche. Mitten im Raum steht ein Esstisch, an dem vier Personen dicht an dicht sitzen müssen. Hier isst die Familie, hier erledigt die ältere Tochter Kia ihre Hausaufgaben. "Sie muss sich sehr konzentrieren beim Lernen", sagt ihre Mutter Suna Abrahimi. "Die Wände sind dünn. Wir kriegen jedes Telefonat und jeden Streit der Nachbarn mit."
Im Zimmer ihrer beiden Töchter Kia und Sara stehen die kleinen Betten Seite an Seite, kaum mehr als eine Armlänge dazwischen. Der Raum, schätzungsweise zehn Quadratmeter groß, lässt ansonsten nur Platz für einen schmalen Kleiderschrank, in dem die Mädchen ihre Habseligkeiten verstauen. Die beiden zeigen stolz auf eine kleine Ecke im Schrank, wo ihre wenigen Spielzeuge und Kuscheltiere sorgfältig gestapelt liegen. Während sie ihre Schätze präsentieren, erzählt Kia von ihrem größten Wunsch: "Ich hätte gerne viele Farben und Leinwände. Ich will lernen, wie eine richtige Künstlerin zu malen".

Die Eltern wirken bedrückt, als ihre Tochter das erzählt. Auf die Frage, ob sie ihren Kindern Hobbys ermöglichen können, verstummen beide zunächst. Dann sagt Ahmad Abrahimi: "Teure Malutensilien und Malkurse können wir uns einfach nicht leisten." Seit der Einführung der Bezahlkarte seien solche Dinge für sie noch unerreichbarer geworden. Der Familie steht im Monat nur 200 Euro Bargeld zur Verfügung.
Den beiden Kindern fehlt es an Raum zum Spielen
Vor allem, wenn sie Geld für Schulausflüge brauchen, würden bei Suna Abrahimi Sorgen aufkommen. Sie empfinde manchmal auch Scham, wenn Ausgaben anstehen, die nur bar bezahlt werden können. Denn oft bleibe ihnen nichts anderes übrig, als sich bei Bekannten Geld zu leihen – in der Hoffnung, die Schulden eines Tages zurückzahlen zu können.
Die Kinder dagegen wirken unbeschwert. Mit einem schnellen Satz rennt Kia ins Wohnzimmer, lacht, schlägt einen Purzelbaum, bevor sie mit einer geschickten Drehung auf den Füßen landet. Während sie ihre Turnübungen macht, erzählt ihr Vater, dass dieser Raum tagsüber ein Ort zum Spielen sei. Nachts wird es zum Schlafzimmer der Eltern. Eine dünne Decke auf dem kalten Boden ist ihr Bett. An eine Matratze sei hier nicht zu denken. Ein Lächeln zuckt über sein Gesicht, aber die Augen bleiben ernst: "Das würde den ganzen Boden einnehmen, denn Platz zum Verstauen haben wir nicht. Dann könnten unsere Töchter überhaupt nicht mehr spielen."

Der Hof vor dem Heim biete kaum Platz für Kinder, und auch drinnen gebe es keinen Raum für sie. Das Wohnzimmer, so einfach und kahl es ist, sei deshalb sehr wichtig für die Mädchen. Viel mehr als das Nötigste besitze die Familie nicht. Keine Bilder an der Wand, keine Dekoration. Vereinzelt hängen an Türen und Wänden selbstgemalte Bilder der Kinder.
Der 42-Jährige schaut um sich und deutet Richtung Kinderzimmer: "Wir haben uns mit dem bescheidenen Leben arrangiert". Das Schlimmste für sie sei nicht die Enge oder die ständige Angst vor der Abschiebung, sondern die fehlende Beschäftigung: "Bis November 2023 durften wir keinen Sprachkurs besuchen und auch nicht arbeiten. Wir waren zur Untätigkeit verdammt". Seine Frau habe im September eine Ausbildung zur Kinderpflegerin in Ochsenfurt begonnen. Er selbst kämpfe sich durch die Sprachkurse und hofft, bald eine Ausbildung als Busfahrer starten zu können.

Im Iran, sagt Suna Abrahimi, lebten sie in einem großen, geräumigen Apartment. Ihr Mann führte ein Restaurant, sie arbeitete als Sekretärin. Es sei ein ruhiges, selbstbestimmtes Leben gewesen – bis ihr Mann an einer regierungskritischen Demonstration teilnahm und der Familie daraufhin schwere Repressalien drohten. Zusammen mit ihrer damals vierjährigen Tochter Kia verließen sie umgehend das Land und landeten im April 2020 in Deutschland. "Wir sind mit zwei Koffern gekommen. Und viel mehr besitzen wir auch heute nicht", sagt die 38-Jährige.
Die Abrahimis wissen nie, ob sie nicht bald abgeschoben werden
Die Familie sei mit einem Visum für Italien nach Deutschland geflogen. Nach dem sogenannten Dublin-Abkommen hätten sie in Deutschland kein Asyl beantragen dürfen. Asylsuchende müssen laut dem Abkommen in dem EU-Land bleiben, in das sie zuerst eingereist sind oder für das sie ein Visum haben. Nach sechs Monaten ohne Abschiebung jedoch konnte die Familie ein Verfahren in Deutschland beantragen. Einen Monat später, im November 2020, seien die Abrahimis aus Nürnberg nach Ochsenfurt verlegt worden. Einmal im Jahr müssen sie seitdem ihre Aufenthaltserlaubnis erneuern. Sie würden dabei nie wissen, ob sie nicht doch noch abgeschoben werden.

Ein weiterer belastender Faktor sei die gesundheitliche Situation der älteren Tochter. Sie leide an einer schweren Allergie gegen verschiedene Stoffe, darunter auch jene, die vom nahegelegenen Industrieunternehmen in die Luft abgegeben werden. Trotz mehrfacher Anfragen an die zuständigen Stellen habe die Familie bisher keine andere Unterkunft zugewiesen bekommen. Sie habe in der 40-Quadratmeter-Wohnung bereits alles entfernt, was die Allergien der Tochter verschlimmern könnte.
Die Eltern verzichten auf Vieles, um Bargeld zu sparen
Für die Eltern selbst sei der Alltag schwer erträglich. Es gebe nur drei funktionierende Waschmaschinen im Keller des Flüchtlingsheims, die von den rund 100 Bewohnern geteilt werden müssen. Um das knappe Bargeld, das sie haben, zu sparen, würden die Eltern auf nahezu alles verzichten. Kleidung und Schuhe werden nur in äußersten Notfällen angeschafft. "Hätte uns die Regierung gleich erlaubt, die Sprache zu lernen, hätten wir längst Arbeit und unser eigenes Geld", sagt der zweifache Vater.
Vor ihrer Ankunft in Deutschland hätten sie nicht damit gerechnet, dass sich ihr Asylprozess so lange hinziehen würde. "Bis wir keine Entscheidung bekommen, haben wir keine Zukunft". Auch schmerze es die Eltern, dass ihre beiden Kinder keinen Urlaub, keine Ausflüge oder Restaurantbesuche kennen: "Und sie können nur selten ihre Schul- oder Kindergartenfreunde treffen. Wir sind hier isoliert, und durch die fehlenden Sprachkenntnisse ist es nahezu unmöglich, uns zu integrieren oder deutsche Freunde zu finden."
Anmerkung der Redaktion: Eine Woche nach dem Besuch bekam die Familie vom Gericht eine langfristige Aufenthaltserlaubnis und damit eine Bleibeperspektive.
Zeit scheint ja vorhanden, damit ist die erste Voraussetzung gegeben. Dazu der Wille und die Erkenntnis, das die Sprache der Schlüssel zu allem ist. Sonst funktioniert auch kein noch so umfangreicher Sprachkurs.