
Im Haus von Familie U. im Landkreis Würzburg geht es lebendig zu. Das halbe Wohnzimmer wird von einer farbenfrohen Spielecke eingenommen. Die Kinder setzen bunte Bauklötze aufeinander, ein Spielzeuglastwagen spielt Musik, eines der Mädchen greift nach der Puppe. Wenn es an der Tür klingelt, springt der Hund auf, die Katze liegt gemütlich auf dem Sofa. Die Spielecke baut Familie U. seit über 15 Jahren immer wieder auf. Seitdem engagiert sich die heute 43-jährige Mutter zweier leiblicher Kinder in der sogenannten Bereitschaftspflege.
Wie viele Kinder eine Pflegefamilie brauchen, ist unklar
Pflegefamilien wie diese fehlen in ganz Bayern. Auch in Unterfranken suchen die Jugendämter händeringend nach Eltern, die Pflegekinder für kurze oder längere Zeit aufnehmen können. "Es mangelt an Pflegebewerbern, die bereit sind, sich dieser verantwortungsvollen Aufgabe zu stellen", bestätigt etwa Claudia Lother, Pressesprecherin der Stadt Würzburg. Der Pflegekinderdienst der Stadt betreut aktuell 71 Kinder, Jugendliche und junge Volljährige in 54 Pflegefamilien. Im ganzen Bezirk Unterfranken lebten Ende 2022 laut Bayerischem Landesamt für Statistik 709 Kinder und Jugendliche in Pflegefamilien.
Wie viele Kinder noch auf eine Pflegefamilie warten, lässt sich nicht beziffern. Aber: "Grundsätzlich ist festzustellen, dass es sehr viel mehr Anfragen als freie Plätze in Pflegefamilien gibt", sagt Lother. Besonders schwierig sei es, einen Platz für ältere Kinder oder Kinder mit einem erhöhten Förderbedarf zu finden.
Schön, wieder einen Säugling im Haus zu haben
Bei unserem Besuch leben bei Pflegefamilie U. gerade zwei Pflegekinder. 2009 hat die Familie zum ersten Mal ein Kind bei sich aufgenommen. Damals hatte der Mutter eine Bekannte von ihrer Tätigkeit als Pflegemutter erzählt. U. war zu der Zeit Hausfrau, die eigenen Kinder waren gerade sieben und vier Jahre alt. "Da dachte ich mir, ich bin ja sowieso zu Hause, und habe mich beim Jugendamt in Würzburg vorgestellt", erzählt sie.
Sie nahm an Schulungen teil, reichte Führungszeugnisse, ärztliche Atteste, Nachweise über ihre finanzielle Absicherung und weitere Dokumente ein, wurde vom Jugendamt besucht – und schließlich passte alles. Sie kam auf die Warteliste des Pflegekinderdienstes und erhielt bald darauf einen Anruf für das erste Pflegekind. Das zweite Kind kam frisch nach seiner Geburt zu ihr. "Es war so schön, wieder einen Säugling im Haus zu haben", erzählt U. "Da habe ich gemerkt, dass ich das weitermachen will."
Tätigkeit als Pflegemutter ist eine Berufung
Sie holt ein Fotoalbum hervor. Jedes Kind, das die Familie bislang aufgenommen hat, hat hier eine eigene Seite. Ein paar Fotos, vermerkt mit dem Zeitraum, den das Kind bei Familie U. verbracht hat. 29 Pflegekinder haben seit 2009 schon in der Familie gewohnt. Manche bleiben nur ein paar Tage, manche einige Monate. Und jedes bringt seine eigene Geschichte mit.
Es kommen Säuglinge, die die Eltern zur Adoption freigeben möchten. Kinder, deren Mutter plötzlich ins Krankenhaus musste, deren Eltern überfordert oder drogenabhängig waren. Bei Familie U. bleiben sie, bis sie wieder zurück in ihre Herkunftsfamilie können oder eine Familie gefunden wurde, die sie in Dauerpflege aufnimmt. Manchmal können die Kinder auch bei Verwandten unterkommen.
Für U. ist ihre Tätigkeit als Pflegemutter eine Berufung. "Ich muss das Kind ja rund um die Uhr betreuen und überallhin mitnehmen. Zum Arzt, zu meinen Terminen, in den Urlaub. Das kann man nicht machen, wenn man es nicht gerne macht", sagt sie. Sie spornt an, die Entwicklung der Kinder zu sehen. "Manche sind vernachlässigt oder traumatisiert, wenn sie kommen, blühen dann aber richtig auf. Mich macht es glücklich, das zu sehen", erzählt die Mutter.
Was potenzielle Pflegefamilien verunsichert
In die Berufung ist die ganze Familie hineingewachsen. "Ohne Kinder wäre es jetzt auch komisch", sagt der älteste Sohn Patrick. Er und seine Schwester Vanessa finden es toll, immer wieder neue kleine Geschwister zu haben. Der Mutter wachsen die Pflegekinder schnell ans Herz. "Besonders bei einem Baby baut man schnell Nähe auf", sagt sie. Mit der Zeit falle es ihr auch immer schwerer, die Kinder wieder abzugeben.
Dass es immer weniger Pflegeeltern gibt, hat auch U. registriert. In den letzten Jahren nahm sie immer häufiger zwei Kinder zur gleichen Zeit auf. Die Gründe dafür sind laut Stadtsprecherin Lother vielfältig. "Die Aufnahme eines Pflegekindes kann als Lebensaufgabe bezeichnet werden", sagt sie. Dafür seien immer weniger Familien bereit. Die unklare Verbleibdauer der Kinder könne Eltern verunsichern, erklärt sie.
"Besonders zu Beginn eines Pflegeverhältnisses ist immer eine Rückführungsoption des Kindes zur Herkunftsfamilie ausgearbeitet und damit der Verbleib in der Pflegefamilie unklar", so Lother weiter. Außerdem müsse sich eine Familie die Aufnahme eines Pflegekindes auch finanziell und zeitlich leisten können. Häufig müssten Pflegeeltern ihre Berufstätigkeit einschränken.
Von der Pflegemutter zu einer Art Tante
Dabei seien Pflegefamilien ein unverzichtbarer Teil unserer Gesellschaft. "Die Pflegefamilie bietet dem jungen Menschen, der möglicherweise sogar traumatisiert ist, einen Ort, an dem er neue Entwicklungschancen erhält", sagt Lother. Der Pflegekinderdienst der Stadt Würzburg nennt die Pflegeeltern auch "Helden des Alltags" und betont: Die Pflegeeltern werden mit den Herausforderungen nicht allein gelassen, sondern erhalten umfassende Unterstützung.
U. erinnert sich an jedes ihrer 29 Pflegekinder. Zu manchen besteht auch heute noch Kontakt, so wie zu einem Kind, das sie 2015 als Frühchen aufgenommen hat. "Er kam drei Monate zu früh und hatte eine Hirnblutung. Die Mutter konnte sich nicht um das Kind kümmern, daher war er in der Klinik und kam dann zu mir", erzählt sie. "Die erste Zeit hat er keine Fortschritte gemacht, aber dann ganz plötzlich kamen große Entwicklungsschritte." Nach etwa einem Jahr kam der Junge in eine Dauerpflegefamilie. "Heute bin ich wie eine Tante für ihn", erzählt sie. "Wir treffen uns hin und wieder und es ist wirklich der Wahnsinn, was aus ihm geworden ist."