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Würzburg
Wenn ein Heimplatz mindestens 5000 Euro im Monat kostet
Jugendhilfe ist teuer. Das gilt besonders für die Heimunterbringung. Rund 90 Millionen Euro pro Jahr kosten die 1520 Plätze in den unterfränkischen Einrichtungen.
In der Jugendhilfe explodieren bundesweit die Kosten. Besonders die personalintensive Heimunterbringung ist teuer. 
Foto: SymbolMatthias Becker | In der Jugendhilfe explodieren bundesweit die Kosten. Besonders die personalintensive Heimunterbringung ist teuer. 
Gisela Rauch
 |  aktualisiert: 08.02.2024 15:51 Uhr

In der Jugendhilfe explodieren die Fallzahlen – und damit die Kosten. Über eine Million Kinder und Jugendliche brauchen laut einer Mitteilung des Statistischen Bundesamts vom November 2020 erzieherische Hilfen - ein neuer Höchststand. Zwischen 2009 und 2019 sind die Fallzahlen um 22 Prozent gestiegen.

Zu den erzieherischen Hilfen gehören niedrigschwellige Angebote wie Erziehungsberatung, intensivere Hilfen wie Vollzeitpflege in Pflegefamilien und kostenintensive Maßnahmen wie die Unterbringung in einem Heim. Diese Leistung nahmen laut Statistischem Bundesamt im Jahr 2019 deutschlandweit insgesamt 136 000 Kinder und Jugendliche wegen extremer Verhaltensauffälligkeiten in Anspruch. Im Jahr 2009 lag die Zahl noch bei 91 000.

Die Risiken für Verhaltensauffälligkeiten steigen

Wächst ein Kind in Armut oder in abweichenden Familienstrukturen auf, steigt das Risiko, verhaltensauffällig zu werden. Auch die hohe Belastung oder die psychische Erkrankung von Eltern können eine Gefahr darstellen. "Diese Faktoren haben nachweisbar in den letzten Jahren alle zugenommen“, sagen Experten wie der Leiter des therapeutischen Heims St. Josef in Würzburg, Norbert Beck. Entsprechend sei das Risiko für Verhaltensauffälligkeiten bei Kindern gestiegen. Dass auch die Digitalisierung der Kinderwelt und die oft daraus folgende Bewegungsarmut zu Verhaltensauffälligkeiten führt, wird von Experten vermutet.

"Stabile, tragfähige, liebevolle Familien", in denen ein Kind gerade in den ersten Lebensjahren Bindungssicherheit erleben könne, würden dagegen einen Schutz vor Verhaltensauffälligkeiten bieten. "Aber wir haben immer weniger tragfähige Familien“, sagt Beck. 

Die Annahme indes, dass insbesondere verhaltensauffällige unbegleitete minderjährige Flüchtlinge, deren Betreuung ebenfalls der Jugendhilfe obliegt, für den massiven Anstieg der Inanspruchnahme von "Hilfen zur Erziehung" verantwortlich sind, stimmt laut Studien nicht mehr. Demnach sei die Zahl der Geflüchteten in den Heimen zwar in den Jahren 2014, 2015 und 2016 hoch gewesen. Insgesamt ist die Anzahl Geflüchteter in Deutschland jedoch in den vergangenen zwei Jahren gesunken; die Fallzahlen bei Jugendlichen, die Hilfen zur Erziehung brauchen, steigen jedoch weiter.

Zahl der benötigten Erziehungsheimplätze ist in Unterfranken stark gestiegen

Laut der Heimaufsicht der Regierung von Unterfranken belief sich die Zahl der Heimplätze für schwer erziehbare Kinder und Jugendliche nach Paragraf 34 des Sozialgesetzbuchs in Unterfranken im Jahr 2019 auf 1520 Plätze. Im Jahr 2010 waren es noch 1100 Plätze.

Die Kosten für therapeutische Heime sind aufgrund des großen Personalbedarfs sehr hoch. Nach Aussagen unterfränkischer Heimleiter kostet die Unterbringung eines einzigen Jugendlichen dort bis zu 7000 Euro – und zwar pro Monat. Aber selbst wenn man nur den von der Heimaufsicht genannten Durchschnittswert von 5000 Euro für die monatlichen Heimkosten zugrunde legt, fallen für alle 1520 unterfränkischen Erziehungsheimplätze zusammen monatliche Kosten von 7,6 Millionen Euro an. Pro Jahr sind das 91 Millionen Euro. Eine Deckelung der Kosten ist in der Jugendhilfe nicht vorgesehen.

Kommunen und Kreise sind durch  Jugendhilfekosten stark belastet

Das Gesetz sieht vor, dass die Jugendämter der Kommunen und Kreise zur Gänze für die Kosten aufkommen. Staatliche Beihilfen gibt es nicht - außer es handelt sich bei den Heimbewohnern um minderjährige unbegleitete Geflüchtete. Angesichts der exorbitanten Heimkosten schauen Kommunalpolitiker in ganz Unterfranken immer besorgter auf ihren stetig steigenden Jugendhilfe-Etat.

Über den "Kostenanstieg in der Jugendhilfe“ um 2,4 Millionen Euro auf 20,2 Millionen Euro informierte 2020 etwa der Leiter der Kreisverwaltung Würzburg, Rainer Künzig. Die Zunahme rühre "vor allem von einer vergleichsweise geringen Zahl von Jugendlichen her, die in Heimen untergebracht" seien und einen besonders hohen Betreuungsaufwand hätten, so Künzig. Vergleichbare Aussagen haben in den vergangenen Jahren auch Kommunalpolitiker aus den Kreisen Main-Spessart, Kitzingen, Schweinfurt oder Miltenberg getroffen.

 
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  • B. E.
    ... hm, ich habe meinen Kindern 24h-Rundumversorgung geboten, eine - glaube ich nach dem Ergebnis - gute Erziehung und Hilfe beim Start ins eigene Leben - und bin im "Notdienst" nach wie vor 24/7 für sie da. Wie wohl die meisten Eltern. Ich wäre da auch schon mit, sagen , 2000 pro Kind/Monat recht zufrieden gewesen.
    Im Ernst, auch wenn ich nachvollziehen kann, dass so eine Unterbringung teuer ist, so scheinen mir dies Zahlen eher die Auswirkungen der sich selbstverständigenden Sozialindustrie zu sein. Da die Zahlen vor gar nicht so langer Zeit bei 5.000 pro unbeg. Flüchtling/Monat lagen (lt. Stadt Würzburg, der Betreute selbst bekommt davon ja nur ein Taschengeldchen): Kann es sein, dass jetzt halt die zur Flüchtlingskrise massenhaft geschaffenen Sozpäd-etc-Stellen - ganz dem Parkinsonschem Gesetz folgend - irgendwie finanziert werden müssen? Und solange es Steuerzahler gibt ...
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  • S. T.
    Sicher gibt es hier keine einfach Lösungen , aber eines ist klar: Erst bei den Jugendlichen intensiv anzusetzen ist viel zu spät! Würde dieses Land mehr in Prävention (Familienhebammen, Frühkindliche Hilfe in den Familie, Unterstützung der kompletten Familie etc. pp. investieren, wäre allen geholfen und später nichts so explodieren - auch die Kosten nicht. Andere Länder machen uns da was vor. Gemeinwesenorientiert denken, nicht nur fallbezogen erscheint mir geboten. Und die Jugendhilfe scheint eine Kuh zu sein, die sich gut melken läßt, viel zu viele unqualifizierte Anbieter tummeln sich da - und das hilft den Jugendlichen -also auch uns allen nicht wirklich!
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  • C. L.
    Spannend wäre zu erfahren, welche der Kosten für Wasserkopf der Verwaltung und Chefposten anteilig davon sind.
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  • C. B.
    Durch Corona steigen die Zahlen noch und die Regierung interessiert es nicht. Kinder haben halt keine Lobby und Grafiken um Angst zu machen, so wie das RKI.
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  • B. H.
    Kinder sind so stark wie es ihre Eltern sind. Da müsste man ansetzen. Und diese Coronajamnerleugner sind schon mal in vielerlei Hinsicht sehr schwach.
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  • B. H.
    Bindungsarmut ist doch kein Wunder: Kita mit 10 Monaten gehört doch zum Programm in jeden „modernen“ Lebensentwurf der Eltern. Wir mussten uns fast rechtfertigen, unsere Kinder erst mit 3-4 Jahren in den Kindergarten gegeben zu haben. Das haben manche fast als Kindswohlgefährdung gesehen. Unsere drei Kinder haben es dagegen sehr genossen. Eltern, die zuhause blieben waren Heimchen, nichts wert, weil keine Steuerzahler oder Selbstverwirklicher. 150,- „Herdprämie“ für die Häusliche Betreuung von Kindern bis 3 Jahren hat drei lange Talkshowjahre den Aufschrei vieler grüner Sozialisten hervorgrufen. Das koste 1 Milliarde im Jahr, das sei viiiiel zu teuer, ohne zu sagen, dass die Kinderbetreuung bis 3 Jahre monatlich 2800,- kostet pro Platz, ohne Baukosten. Die in den „Wichtelgruppen“ abgelegten Säuglinge und Kleinkinder weinten oft herzzerreissend oder wirkten lethargisch. Beim Betreuungsschlüssel war mehr als Füttern und Windeln zeitlich nicht drin. Das Ergebnis heute: Bindungsprobleme.
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  • R. D.
    Sehr guter Kommentar. Das beschreibt es sehr gut. Danke.
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  • S. T.
    Das ist aber schon pauschal und sehr schwarz-weiss. Ich mache niemandem Vorhaltungen, wie er sein Kind betreut oder betreuen lässt, aber belegt ist doch eindeutig, dass nicht (liebevolle) Kitabetreuung das Problem ist (auch in den Krippen nicht) , sondern fehlende Bindung zuhause durch zahlreiche eigene Probleme der Eltern. Himmelschreiend finde ich auch die Erkenntnis, dass Armut in Familien häufig zu Problemen auch bei den Kindern und Jugendlichen führt. Das ist doch der Ansatz! Und da gleicht ja oft eine Kita/Krippe durch gute Versorgung eher das Elternhaus aus!
    Also nur pro oder contra Unterbringung im Kindesalter zu diskutieren, ist mir zu kurz gegriffen- die (vielfältigen) Probleme liegen woanders und da muss die Hilfe/Unterstützung hin!
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  • S. K.
    Bitte kommentieren Sie zum Thema des Artikels und nicht zu eventuellen Sperrungen in den Kommentaren. Vielen Dank!
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