Isoliert und vergessen auf dem Land? So scheinen sich viele Menschen auf dem Land zu fühlen - vor allem, wenn sie kein Auto haben. Gerade ältere Menschen und Personen, die in ihrer Mobilität eingeschränkt sind, stehen vor großen Herausforderungen, wenn der Supermarkt im Dorf plötzlich schließt.
Diese Redaktion hat mit sechs Personen aus verschiedenen Dörfern des Landkreises Würzburg gesprochen. Was bedeutet es, wenn der Supermarkt plötzlich nicht mehr fußläufig zu erreichen ist?
1. Anna Wenzl (67 Jahre) aus Eisingen: "Das Leben auf dem Land ist dadurch weniger schön"
Auch Anna Wenzl aus Eisingen ist frustriert über den Wegfall des Supermarktes. Bis vor wenigen Wochen konnte sie noch zu Fuß zum Einkaufen. "Das fällt jetzt weg". Nun muss sie sich immer auf die Hilfe von einer Bekannten verlassen, denn weil Wenzl nicht mehr gut sieht, kann sie auch kein Auto fahren. Der Bus ist für sie auch nur eine bedingte Alternative, denn: "dann stehe ich eine halbe Stunde an der Haltestelle und muss auf die Rückfahrt warten."
Durch die Schließung des Supermarktes in Eisingen geht für die 67-Jährige auch ein Stück Selbstständigkeit im Alter verloren, sagt sie. "Das Leben auf dem Land ist dadurch weniger schön." Der Dorfsupermarkt hatte eine Frischetheke für Fleisch-, Wurst- und Käsewaren. Das war angenehm für die Rentnerin. Nun muss sie sich entweder von anderen zum Einkaufen fahren lassen, oder die größeren Packungen im Discounter teilweise einfrieren. Sie hat das Gefühl, dass man sich auf dem Land zunehmend abgeschotteter vom Rest der Welt fühle.
2. Marlene Hausschild (74 Jahre) aus Sommerhausen: "Es ist ein Verlust an Lebensqualität"
Seit 2008 wohnt Marlene Hausschild wieder in ihrem Heimatdorf Sommerhausen. Doch obwohl sie dort glücklich ist, macht sie sich nun Sorgen, dass sie bald umziehen muss. Denn dem kleinen Dorfladen in der Gemeinde droht die Schließung, wenn sich keine Nachfolge findet. Für die Rentnerin würde das bedeuten, dass die Einkaufsmöglichkeiten nicht mehr fußläufig zu erreichen sind. "Ich habe eine kleine Rente und kann mir ein Auto nicht leisten", sagt die Sommerhäuserin.
Zwar habe sie eine Freundin mit Auto, die sie zum Einkaufen mitnehmen könnte, doch dann wäre sie immer auf die Hilfe von Dritten angewiesen. "Für mich wäre das ein enormer Verlust an Lebensqualität." Frische Sachen wie Obst und Gemüse wolle die Rentnerin nicht Tage im Voraus kaufen und auch manche alltägliche Sachen müsse sie vor Ort kaufen. Mit Blick auf die Zukunft gibt sie zu: "Da macht mir das älter werden auf dem Land schon angst."
3. Christine Schmitt (75 Jahre) aus Reichenberg: "Ich mache mir Sorgen, was passiert, wenn ich nicht mehr mobil bin."
Als Christine Schmitt vor 47 Jahren nach Reichenberg gezogen ist, war die Versorgungsstruktur in dem kleinen Dorf im Landkreis Würzburg noch gut, sagt sie. Doch seit Ende Februar hat der einzige Supermarkt im Umkreis geschlossen. Seitdem fährt sie immer mit dem Auto nach Heidingsfeld und erledigt dort ihre Wocheneinkäufe. "Vorrätig gekauft habe ich schon immer, aber in Zukunft wird das noch zunehmen", sagt sie. Zufrieden ist sie damit nicht.
"Ich finde die ganze Versorgung in Reichenberg mittlerweile ziemlich ernüchternd." Früher habe es in dem Ort Gaststätten, Metzger und verschiedene Banken gegeben. Heute ist davon fast nichts mehr übrig. "Manchmal frage ich mich schon, was mich auf dem Land noch hält." Einen Umzug in die Stadt schließt sie nicht aus. "Die ältere Generation wie ich, die kann nicht alles online machen und bestellen, wir brauchen das Persönliche."
4. Mirjam Wechsung (43 Jahre) aus Reichenberg: "Ich fühle mich von der Außenwelt abgeschnitten."
Für Mirjam Wechsung ist es besonders wichtig, Einkaufsmöglichkeiten im Dorf zu haben. Sie ist seit 13 Jahren schwerbehindert und für längere Strecken auf den Rollstuhl angewiesen. Bis vor kurzem konnte sie die alltäglichen Lebensmittel noch im Supermarkt im Dorf einkaufen. Als die Nachricht von der Supermarktschließung in Reichenberg die Runde machte, geriet die 43-Jährige in Panik.
Inzwischen hat sie bei der Nachbarschaftshilfe Unterstützung gefunden, glücklich über die Situation ist sie aber nicht. "Für mich ist das ein großer Einschnitt ins Leben", sagt sie. Denn nun sei sie immer auf die Hilfe anderer angewiesen und weniger flexibel als früher. Zwar könne sie mit dem Bus zum nächsten Supermarkt beispielsweise in Heidingsfeld fahren, aber einen Wocheneinkauf könne sie allein trotzdem nicht bewerkstelligen. Für die junge Frau ist das besonders traurig: "Ich fühle mich dadurch von der Außenwelt abgeschnitten."
5. Christl Günder (71 Jahre) aus Eisingen: "Es fällt auch der soziale Austausch plötzlich weg."
Auch in Eisingen hat vor kurzem der Supermarkt im Dorf geschlossen. Für Christl Günder, die zwar aufgrund ihrer eingeschränkten Mobilität ohnehin mit dem Auto zum Einkaufen fährt, hat sich dadurch dennoch einiges geändert. "Jetzt muss ich viel mehr Zeit einplanen." Die nächsten Einkaufsmöglichkeiten sind in Kist oder in Höchberg. Für sie war die Nachricht über die Schließung des Supermarktes in Eisingen "ein Schlag ins Gesicht", sagt sie.
Denn für sie falle dadurch auch ein großer Teil des sozialen Austausches weg. "In Eisingen habe ich immer jemanden aus dem Ort getroffen und konnte mal plaudern", sagt sie. Die 71-Jährige hat aus dem Wegfall des Supermarktes bereits Konsequenzen für ihren Alltag gezogen. "Ich werde jetzt seltener einkaufen" und damit auch seltener mit anderen Dorfbewohnerinnen und Dorfbewohnern in den Austausch kommen.
6. Ingrid Scheer (66 Jahre) aus Reichenberg: "Unsere Gemeinde entwickelt sich rückwärts"
Ingrid Scheer macht sich seit der Schließung des Supermarktes "Spiegel" in Reichenberg sorgen. Noch könne ihr Mann Autofahren, doch wenn das gesundheitlich nicht mehr möglich ist, hat das Ehepaar ein Problem. "Dann müssen wir mit dem Taxi zum Einkaufen fahren, aber das muss man sich auch erstmal leisten können", sagt Scheer. Von den Entwicklungen in der Gemeinde ist sie enttäuscht. "Als ich 1979 nach Reichenberg gezogen bin, war es ein florierendes Dorf", sagt sie.
Aktuell fährt die Rentnerin einmal in der Woche mit ihrem Mann nach Kist, Heidingsfeld oder in die Sanderau zum Einkaufen. Der Bus ist keine Alternative, denn schwer tragen kann sie nicht mehr. Neben dem zusätzlichen Weg fällt für die Seniorin auch der soziale Austausch weg. "Man ist ja auch häufiger mal in den Supermarkt gegangen und hat mit den Leuten gequatscht." Sie wünscht sich, dass sich ein neuer Unternehmer im Ort ansiedelt.
Besser geht es ja kaum.
Wir haben nun mal unsere Welt dem Auto angepasst, deswegen werden und wurden Märkte an den Ortsrändern oder auf der grünen Wiese hingestellt. Als Nicht Autofahrer wird man einfach ausgegrenzt.