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Würzburg
Kommentar: Wehe, ihr wollt uns erziehen! Der Würzburger Wurststreit und das Recht auf Unbelehrbarkeit
Ein vegetarischer Hafensommer in der Heimat der Blauen Zipfel? Darüber regen sich viele auf. Warum wollen wir nichts mehr dazulernen, fragt sich unser Autor.
Keine Bratwurst beim Hafensommer? Die gab es vergangenes Jahr schon nicht, interessierte nur damals niemanden. Allerdings: Wenigstens gab es Fisch.
Foto: Patty Varasano/Getty Images /Montage: MP | Keine Bratwurst beim Hafensommer? Die gab es vergangenes Jahr schon nicht, interessierte nur damals niemanden. Allerdings: Wenigstens gab es Fisch.
Mathias Wiedemann
 |  aktualisiert: 02.06.2023 02:30 Uhr

Nix darf man mehr. In Urlaub fliegen, dicke Autos fahren, mit Öl oder Gas heizen, Fleisch essen. Alles strikt verboten. Noch nicht ganz, aber bald. Weil schlecht fürs Klima. Jetzt aber schon als moralisch höchst verwerflich eingestuft.

Wie geht's weiter? Zwangsfußgängerisierung, Zwangsumtausch Auto gegen Lastenfahrrad, Zwangsvegetarisierung von Amts wegen? Glaubt man der Aufregung um das Würzburger Festival Hafensommer, stehen wir kurz davor. Zumindest in der Essensfrage.

Was ist passiert? Auf einer Sitzung des Würzburger Stadtrats Mitte April wird bekanntgegeben, dass das Speisenangebot beim städtischen Festival in diesem Jahr rein vegetarisch sein wird. Nicht nur, aber auch aus Klimaschutzgründen. Ein fleischloses Festival in der Heimat der Bratwurst, der Blauen Zipfel, des Schäufele und des Kesselfleischs? Der Aufschrei ist vorhersehbar, und er kommt.

Christian Schuchardt, Oberbürgermeister der Stadt Würzburg, hat sich im Wurststreit auf die Seite der Fleischforderer gestellt.
Foto: Daniel Peter | Christian Schuchardt, Oberbürgermeister der Stadt Würzburg, hat sich im Wurststreit auf die Seite der Fleischforderer gestellt.

"Eine gewaltige Einschränkung", kritisiert Stadtrat und Alt-Bürgermeister Adolf Bauer, der selbst vermutlich eher nicht zum Zielpublikum des Hafensommers gehört. Aber als gewählter Volksvertreter hat man ja auch die Interessen anderer zu vertreten. Der "gestandenen Männer" etwa, um die sich seine Fraktions-Kollegin Annette Hollerbach sorgt, weil "gestandene Männer" offenbar notwendigerweise Karnivoren sind, die Vegetarisches ablehnen und nun den einen oder anderen Abend hungrig durchstehen müssen.

Würzburg knüpft an die glorreichen Zeiten des "Weinfasses an der Autobahn" an

Aber es gibt Hoffnung: Ein Antrag von CSU, Freien Wählern und FDP/Bürgerforum im Stadtrat soll die "Sortimentsbeschränkung" beim Hafensommer verhindern. Die Beschränkung sei "übergriffig im Hinblick auf die persönliche Lebensführung", heißt es in dem Schreiben, das unter anderem auch Oberbürgermeister Christian Schuchardt unterschrieben hat. Der gebürtige Frankfurter kann damit für sich in Anspruch nehmen, sich endgültig von der – vegetarischen – "Grie Soß" seiner Geburtsstadt emanzipiert zu haben.

Kulturreferent Achim Könneke hat mit einem 'Spiegel'-Interview Öl in die Flammen des Würzburger Bratwurstgrills gegossen.
Foto: Thomas Obermeier | Kulturreferent Achim Könneke hat mit einem "Spiegel"-Interview Öl in die Flammen des Würzburger Bratwurstgrills gegossen.

Inzwischen hat sich der Knatsch ausgeweitet und dank eines etwas schnoddrigen Interviews des Kulturreferenten Achim Könneke im "Spiegel" und weiterer überregionaler Berichterstattung zum "Würzburger Wurststreit" gemausert.

Wer bedauert hatte, dass der bundesweite Nimbus ein wenig verblasst war, den Würzburg einst durch das Label "Das Weinfass an der Autobahn" erlangt hatte, kann jetzt mit neuer Zuversicht in die Zukunft blicken: Würzburg bleibt sich treu, auch und gerade in Zeiten behördlicher Übergriffe.

Das Narrativ des Staates, der seine Bürgerinnen und Bürger angeblich bevormundet

Lassen wir mal alle praktischen Aspekte beiseite. Denn sie zählen nicht. Dass es beim Hafensommer vornehmlich darum geht, Musik zu hören. Dass der Mensch erwiesenermaßen bis zu vier Stunden überleben kann, ohne Fleisch zu sich zu nehmen. Dass jede und jeder vorher und nachher so viel Fleisch essen darf, wie er oder sie will. Dass man, will man sich klimatisch verbessern, irgendwo anfangen muss. Dass es für den Anbieter logistisch einfach praktischer ist, kein Fleisch anzubieten. Dass es schon im vergangenen Jahr kein Fleisch gab, sondern nur Fisch, der aber angeblich nicht  besonders gefragt war.

Es geht um etwas anderes. Eine Stadt habe nicht "zwanghaft erzieherisch tätig zu sein", heißt es im Gegenantrag. Dies ist nun ein Vorwurf, der schwerer wiegt als manch anderer. Er passt in das Narrativ des Staates, der seine Bürgerinnen und Bürger permanent bevormundet und belehrt.

Die Republikaner in den USA haben dieses Narrativ erfolgreich zu ihrer Hauptideologie gemacht, und auch Bayerns Ministerpräsident Markus Söder leistet es im Wahlkampf ausgezeichnete Dienste. Sofern ihm das Posten von Grilltellern und Wurstplatten auf Instagram die Zeit dazu lässt.

Die Grünen haben sich mit vollen Segeln in die Ecke der Verbotspartei manövriert

Ist ja auch einfach, nachdem die Grünen sich mit vollen Segeln selbst in die Ecke der "Verbotspartei" manövriert haben. (Umso tragischer, dass sie dabei nicht mal ein Tempolimit hinbekommen.)

Auf jeder Lehrlingsfreisprechung, jeder Abiturfeier wird zu "lebenslangem Lernen" aufgerufen. Unwidersprochen, übrigens. Aber wehe, wir sollen gegen unseren Willen belehrt werden. Möglicherweise mit Inhalten, die wir nicht hören wollen. Dann ist umgehend Schluss mit dem Gerede vom "lebenslangen Lernen". Dann verteidigen wir mit Zähnen und Klauen unser Unwissen. Als gäbe es neben dem Recht auf Bratwurst auch ein Recht auf Unbelehrbarkeit.

Aber warum so dünnhäutig? Wir haben es im Ignorieren von wohlmeinenden Belehrungen doch inzwischen zu einiger Meisterschaft gebracht. Da sollte uns der behördlich verordnete temporäre Verzicht auf eine Bratwurst nicht ernsthaft aus dem Konzept bringen. All denen aber, die sich trotz aller Entbehrungen überwinden können, den Hafensommer zu besuchen, sei versichert: Die Pommes dort sind ausgezeichnet.

 
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  • G. S.
    Sehr gut und treffend geschriebener Artikel. Offenbar wollen viele Kommentatoren den humorvoll verpackten Sachinhalt im Artikel nicht wahrnehmen. Es macht einfach zu viel Spaß sich im besagten Narrativ aufzuregen.
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  • G. K.
    Einer Europastadt- in keiner Weise würdig!!
    Einfach eine Provinzposse und nach Kurt Tucholsky.. "viel Lärm um NICHTS"
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  • T. W.
    Würzburg war für mich immer eine tolle Stadt in die ich gerne gefahren bin und mit der ich mich gut als Franke identifizieren konnte. Mittlerweile wandelt sich diese Zuneigung immer mehr in Fremdschämen und Ablehnung. Ich lass mir vom Stadtrat nicht vorschreiben was ich zu essen habe! Natürlich muss es in Sachen Klima und Umwelt sich einiges ändern, aber nicht so. Es gibt nicht nur schwarz und weiß, sonder auch immer Mittelwege und Kompromisse. Es gilt Alle mitzunehmen und den Menschen ihre freie Entscheidung zu belassen. Ich werde nicht zu Veranstaltungen nach Würzburg fahren, an denen ich belehrt und bevormundet werde. Dies gilt auch für Liedgut, welches für mich ausgesucht wird.Da gebe ich meine Euros lieber wo anders aus.
    "Würzburg macht Spaß" ........immer weniger!
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  • A. A.
    Noch ein Unbelehrbarer, der den Artikel nicht verstanden hat! Keiner wird bevormundet, nur weil es keine Bratwurst zur Musik gibt! Das angebliche Bevormunden findet nur in Ihrem Kopf statt!
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  • R. D.
    Eines verstehe ich irgendwie überhaupt nicht: Wenn doch die Vegetarier und Veganer Wurst- und Fleischwaren ablehnen, warum muss dann der vegetarische oder vegane Ersatz immer aussehen wie Wurst oder Fleisch? Warum gibt es dann vegane Bratwürste, vegane Wurstscheiben, vegane Burger-Pattys,...? Warum wird das vegane Ersatzprodukt nicht einfach als quadratischer Würfel angeboten und gekauft?
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  • J. B.
    Niemand wird sich daran stören, wenn der Wirt sich auf ein bestimmtes Speiseangebot festlegt, das auf seinen Erfahrungen und wirtschaftlichen Erfordernissen beruht. Er oder sie trägt auch das wirtschaftliche Risiko. Das Wesentliche ist in diesem Fall das musikalische Angebot.
    Was aber zutiefst stört und verärgert, ist die moralische Überhöhung dieser Entscheidung durch den Stadtrat, die letztlich zu den entsprechenden Reaktionen geführt hat. Das hat nichts mit Lernfähigkeit zu tun.
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    Die Stadt Würzburg kann als Veranstalter das Speisenangebot natürlich bestimmen und, wie in diesem Fall, an der Masse der Bevölkerung vorbei entscheiden. Dem potentiellen Gast bleibt es ja frei, ob er dort etwas konsumieren möchte und spätestens, wenn der Umsatz nicht stimmt, wird sich wohl etwas ändern! Für mich ist es nicht nachvollziehbar, warum man das vegetarische Angebot nicht vergrößert, für Fleisch- und Wurstliebhaber aber trotzdem ein begrenztes Angebot schafft?! Ob die Ökobilanz vegetarischer Lebensmittel, bei denen es sich oftmals um reine Industrieprodukte aus dem Labor handelt, so viel besser ist, wage ich stark zu bezweifeln. Wenn man sich zudem die Zutatenliste vegetarischer Würstchen und Burger anschaut, dann ist der gesundheitliche Aspekt auch sehr schnell beim Teufel!
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  • H. H.
    Die geschulten Aufschreiproduzenten haben wieder ganze Arbeit geleistet. Was will Würzburg denn sein? Wurststadt Würschtburg? Hat diese kulturell so einmalige Stadt nichts anderes zu bieten?
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  • T. F.
    Nachdem wir uns in der gesamten "Republik" zum Affen gemacht haben, könnten wir jetzt hoffentlich zur Tagesordnung zurückkehren.
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  • W. R.
    Ich hätte keine Probleme mit rein vegetarischer Verpflegung.
    Schade, dass man das jetzt verbieten will.
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  • J. H.
    Gehts noch? Keiner will vegetarisches Essen verbieten. Aber ich will selber entscheiden wie ich mich auf einem Event ernähre.
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  • D. E.
    Nein, der Veranstalter entscheidet, was er anbietet. Sonst müsste es eine meterlange Speisekarte geben, um auch noch den letzten Nischengeschmack zu bedienen.
    Gehen Sie doch auf Nummer Sicher und bringen zu dem Konzert, das Sie besuchen, z.B. ein Schnitzel mit Hackfleisch-Sauce im Tupper mit. Dann wird's bestimmt ein gelungener Abend. Dass die Musik inzwischen völlig in den Hintergrund getreten ist, ist den meisten offenbar egal. Vor lauter Schmatzen und Lippenlecken wird man eh nichts mehr hören...
    Lasst doch die Veranstaltungsreihe umbenennen in "Bratensommer" !
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  • M. F.
    Darüber kann ich (seit 20 Jahren Vegetarierin) nur lachen. Gehen sie mal gut Bürgerlich essen als Vegetarier (Von Veganern will ich gar nicht anfangen). Da bleiben einem nur die Kässpätzle, die so vor Fett triefen, dass einem nach zwei Bissen schlecht wird. Als wären schon immer „für alle“ Gerichte angeboten worden. Wie oft bin ich schon hungrig aus nem Restaurant raus bzw. in manches gar nicht rein gegangen. Nur heul ich deswegen nicht rum.
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  • R. A.
    Tja, wenn frau dabei sein will, muss frau Abstriche machen. Meine vegane Bekannte geht zwar immer mit, sie isst aber vorher und trinkt dann nur noch ihr Getränk.
    Das könnte auch für andere eine Lösung sein, um die Gemeinschaft nicht sterben zu lassen und zu vereinsamen. Unsere Clique findet das ok. sie entscheidet selbstständig und wird auch so akzeptiert, auch von den gastgebenden Wirtsleuten.
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  • M. F.
    Das ist ja der Punkt. Wir nicht Fleischesser gehen schon seit jeher Kompromisse ein. Definitiv ist uns das soziale Miteinander wichtiger, als das Essen. Würde ich jedes Mal so ein Fass aufmachen, wenn es mal „nur“ Pommes gibt, hätte ich (zurecht) in jedem Lokal Hausverbot. Wir kleben uns halt nicht am Biertresen fest, um fleischlose Kost zu erzwingen. #Fleischkleber
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  • S. S.
    Ihr bekommt doch fleischlose Kost, man hat versucht den Fleischesser auszugrenzen. Minderheiten alle Rechte, die Mehrheit wird bevormundet, so geht das nicht
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  • F. K.
    Wie sexistisch bitte ist eigentlich Ihr Kommentar? „Wenn Frau dabei sein will…“
    Sie fordern von Vegetariern, sich gefälligst vorher satt zu essen, aber fordert man das gleiche von Fleischessern, dann geifern Sie rum.
    P.S.: Ich esse selber gerne Fleisch. Ich kann diese künstliche Empörerei langsam echt nicht mehr hören. Das ging schon letztes Jahr die ganze Zeit, als man meinte, „Man wird ja wohl noch ein sexistisches, frauenfeindliches Lied mitgrölen dürfen!“
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  • F. K.
    Sehen Sie, uns genauso wenig will irgend jemand Ihnen Fleisch und Wurst verbieten. Aber der Veranstalter soll gefälligst selber entscheiden dürfen, was er bei seiner Veranstaltung anbietet. Punkt.
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