Die Zahl der Wildschweine hat in Bayern extrem zugenommen. Natürlich lassen sich die Tiere nicht zählen; anhand der jährlichen Abschusszahlen kann man aber deren beachtliche Steigerung über die Jahrzehnte ablesen: Während Bayerns Jäger in der Saison 1990/91 rund 16700 Tiere schossen, erlegten sie in der Saison 2010/11 schon 60533 Tiere. Im Jagdjahr 2017/18 brachten Bayerns Jäger rund 95000 Wildschweine zur Strecke - so viele wie nie zuvor. Die Angst vor der Afrikanischen Schweinepest dürfte zur Steigerung der Abschusszahlen beigetragen haben.
Laubwälder in Spessart und Rhön bieten Wildschweinen heuer ein "Schweineparadies"
Im waldreichen Unterfranken hausen besonders viele Wildschweine. "Unterfranken ist Wildschweinland, war es schon immer",sagt der Vizepräsident des Bayerischen Jagdverbands, Enno Piening aus Bad Kissingen. Allein im Kreis Kissingen wurden 2017/18 rund 6000 Wildschweine geschossen; ähnlich viele waren es im Kreis Rhön-Grabfeld, der als eine Art Wildschwein-Sammeltreff gilt. Wer jetzt angesichts der hohen Abschusszahlen annimmt, dass nach der Rekord-Jagdsaison 2017/18 kaum mehr Sauen übriggeblieben wären, der irrt. Glaubt man Gertrud Helm, der Pressereferentin des Bayerischen Jagdverbands, geht es den Schwarzkitteln in diesem Frühjahr besser denn je zuvor. Schuld daran ist der Klimawandel.
Der milde Winter mit wenig Schnee habe in Nordbayern, wo die meisten Wildschweine leben, bewirkt, dass die meisten Frischlinge überlebt hätten, sagt Helm. "Die Sau hat acht Zitzen, kann acht Frischlinge säugen. In strengen Wintern erfrieren die schwächsten. Dieses Jahr aber dürften fast alle durchgekommen sein." Dazu komme, dass das Schwarzwild in diesem Frühjahr "super Futter" habe. Warum? Im extrem heißen Sommer des letzten Jahres, erklärt Helm, hätten die Bäume massenhaft Früchte abgeworfen. "Im Boden sind also Eicheln und Bucheggern satt, die die Wildschweine gern fressen. Das ist praktisch Mastfutter. Ein Schweineparadies."
Das Mastfutter allein reicht den Tieren aber nicht. Helm zufolge brauchen Wildschweine anteilig genauso viel tierisches Protein wie sie Mastfutter aufnehmen. Das heißt, dass die Sauen besonders eifrig nach Würmern, Engerlingen und Mäusen im Boden suchen. "Die Schäden in Wiesen werden heuer besonders groß sein, weil es eben besonders viele Tiere sind und weil sie aufgrund der guten Kost vor Energie nur so sprühen", glaubt Helm.
Landwirte beklagen oft Schäden durch Wildschweine. Ernteausfall droht.
Unter dem Ansturm besonders energiereicher Wildschweine werden besonders Unterfrankens Landwirte zu leiden haben. Ziehe eine Schweinehorde durch Mais- oder Rapsfelder und zertrample dabei einen Teil der Ernte, bedeute das für die Bauern natürlich einen Ertragsausfall, sagt Georg Scheuring, der Geschäftsführer des Bauernverbands im besonders schwarzwildreichen Kreis Bad Kissingen. Zudem besteht Scheuring zufolge die Gefahr, dass etwa die Maispflanzen durch Wildschweinkot verschmutzt werden; und Futterverschmutzung führe zu einer Fehlgärung im Silo. Schließlich sei auch die "Mähbarkeit" der Felder schlechter. Nicht selten, berichtet Scheuring, folge aus dem Durchzug einer Wildschweinhorde auch ein Konflikt zwischen Landwirt und Jagdpächter: beide stritten darüber, wer den Schaden behebe oder bezahle.
Aber natürlich beschränken die Wildschweine ihre Streifzüge nicht auf landwirtschaftliche Flächen - auch Bolzplatz-Erde zum Beispiel strotzt nur so von Würmern oder Engerlingen. Allein in den vergangenen paar Wochen haben Wildschweine Sportplätze etwa in Bad Brückenau, in Burkardroth oder in Obereschenbach (alle Lkr. Bad Kissingen) verwüstet. Und auch die Begegnungsstätte Heiligenhof in Bad Kissingen ist offenbar ein beliebter Schwarzwild-Treffpunkt. "Ständig zerwühlen die Wildschweine meine Plätze; und keiner tut etwas dagegen", hat Begegnungsstätten-Leiter Steffen Hörtler gesagt. Keineswegs beschränken Wildschweine ihre Streifzüge auf waldnahe Gebiete in der Rhön oder im Spesssart. Erst im letzten Herbst verwüsteten Tiere gleich zweimal den Sportplatz des Würzburger TSV 73 an der Frankenwarte. Und natürlich besteht umso mehr die Gefahr von Wildunfällen je mehr Tiere in der Region leben.
Menschenhaare als Abhilfe gegen Wildschweine?
Abhilfe gegen die Schweine? Wie Friseurinnen aus der Region berichten, erbitten Wildschweingeplagte immer mal wieder abgeschnittene Menschenhaare aus Friseursalons; angeblich schreckt der Geruch die Tiere ab. Der Kissinger Bauernverbands-Geschäftsstellenleiter Scheuring kennt als Wildschwein-Gegenmittel außerdem noch Hausschwein-Gülle oder Schwefeldüngung. Hilft das? "Vielleicht, vielleicht auch nicht", sagt Scheuring. Er glaubt, dass es für Unterfranken gar keine andere Möglichkeit gebe als "mit dem Wildschwein zu leben".