Wildschweine dürfen ab sofort das ganze Jahr über geschossen werden. Die bisher übliche Schonzeit zwischen Februar und Juni gilt nun auch in Bayern nicht mehr. Das sieht eine neue Verordnung vor, die das Bundeskabinett am Mittwoch verabschiedet hat. Durch das Aussetzen der Schonzeit und den Abschuss möglichst vieler Wildschweine soll verhindert werden, dass sich die Afrikanische Schweinepest aus Osteuropa nach Deutschland ausbreitet.
Aus Osteuropa westwärts?
Im Baltikum und in Polen, in Tschechien und Rumänien ist die Afrikanische Schweinepest bereits verbreitet. Laut dem Friedrich-Löffler-Institut, dem Bundesforschungsinstitut für Tiergesundheit, sind in der Vorwoche allein in Polen über 500 Fälle neu infizierter Tiere gemeldet worden. Bei der Afrikanischen Schweinepest handelt es sich um eine Virusinfektion, an der Wildschweine und auch Hausschweine innerhalb weniger Tag sterben. Menschen erkranken nicht.
Bauern in Angst
Bereits seit Monaten sorgt allein die Möglichkeit, dass die Afrikanische Schweinepest nach Deutschland kommen könnte, bei Deutschlands Bauern für für Aufregung. Der Deutsche Bauernverband hatte schon im Januar gefordert, dass 70 Prozent aller Tiere getötet werden sollten.„Käme die Afrikanische Schweinepest nach Deutschland, hätte dies katastrophale Folgen für die Schweinehalter. Die Märkte würden zusammenbrechen“, hatte Bauernverbandspräsident Joachim Rukwied im Januar betont. Mit Blick auf die Forderungen der Bauern hatten bereits im Januar einige Bundesländer – etwa Baden-Württemberg – die Schonzeit für Schwarzwild ausgesetzt; in Bayern allerdings hielt man an der Schonzeit fest.
Jagdverband will wenigstens Muttertier-Schutz
Weil aber Bundesrecht Landesrecht bricht, gilt auch in Bayern jetzt die Schonzeit nicht mehr. Die Sprecherin des Bayerischen Jagdverbands, Gertrud Helm, freut dies nicht: „Wir sehen die Aussetzung der Schonzeit kritisch“, sagte Helm. Denn die Schonzeit zwischen Februar und Juni habe ja ihren Sinn. In dieser Zeit brächten die weiblichen Wildschweine, Bachen genannt, den Nachwuchs zur Welt. „Wenn jetzt schon Bachen erlegt werden dürfen, dann muss wenigstens der Muttertier-Schutz erhalten bleiben“, forderte Helm. Würden Muttertiere getötet, verendeten auch verwaiste Frischlinge. Helm gesteht allerdings zu, dass der Muttertier-Schutz in der Praxis schwierig umsetzbar ist. „Der Jäger sieht ja nicht auf die Entfernung, ob er einen Keiler oder eine Bache vor sich hat“.
Jagdausbilder warnt vor Abschießen von Leit-Bachen
Auch Michael Hein, der bei der Kreisgruppe Würzburg des Bayerischen Jagdverbands für die Jägerausbildung leitet, hält es nicht für zielführend, die Schonzeit auszusetzen und Bachen zu töten. Jede Wildschwein-Rotte, erklärt Hein, habe eine Leit-Bache, ein besonders erfahrenes und kluges Tier, das die anderen anführe. „Die Leit-Bache – das ist das Tier, das den anderen praktisch das Sozialverhalten beibringt.“ Normalerweise seien die Bachen in den Frühlingsmonaten, wo der Nachwuchs Manieren lerne, durch die Schonzeit vor dem Abschuss geschützt. Jetzt aber nicht mehr. „Wenn die Leit-Bachen sterben, werden die landwirtschaftlichen Schäden größer“, prophezeit Hein. Warum? Weil Hein zufolge die erfahrenen Führungstiere den Nachwuchs von offenen Ackerflächen fernhalten, auf denen sie von Jägern gesehen und potentiell gejagt werden können.
Dreißig Stunden für eine Sau
Der unterfränkische Ausbildungsleiter hält die Maßnahme der Bundesregierung für „bloßen Aktionismus“. Aus Jägersicht ist die massive Steigerung der Abschussquote durch die Abschaffung der Schonzeit auch nicht wirklich realisierbar. „Die Jagd ist kein einfaches Geschäft. Für den Abschuss eines einzigen Tieres rechnet man dreißig Stunden“, sagt Hein. Hein beschreibt, wie er mit einer Gruppe von zehn Jägern eine Woche lang Ende Januar jede Nacht auf Ansitzjagd gezogen ist. „Zehn Jäger haben pro Nacht vier bis fünf Stunden investiert. Insgesamt erlegt haben diese zehn Jäger genau zwei Sauen.“
Welches Handeln schlüge Hein vor, um ein Ausbreiten der Afrikanischen Schweinepest zu verhindern? „Den Menschen muss man kontrollieren, nicht das Schwein“, sagt Hein. Denn Tiere, die sich mit Schweinepest infizierten, brächen bald zusammen und stürben, weit kämen sie nicht, über Landesgrenzen trügen also infizierte Tiere den Virus kaum.
Hein: „Das wahrscheinlichste Szenario für die Übertragung sieht so aus: Ein polnischer Lkw-Fahrer kauft sich in Polen ein Wurstbrötchen mit Rohwurst aus infiziertem Fleisch, isst das Brötchen aber nicht, sondern schmeißt es in Deutschland auf einem Rastplatz weg, von wo Spuren dann weiterverbreitet werden.“
Dass insbesondere nicht ordnungsgemäß entsorgte Speiseabfälle aus nicht gegarten Schweineprodukten wie Salami und Schinken eine mögliche Infektionsquelle darstellen, hat auch Bayerns Umweltministerin Ulrike Scharf (CSU) bestätigt. Laut Scharf sollen Hinweise für Reisende an den Raststätten entlang der Autobahnen und an den Flughäfen verhindern, dass nicht ordnungsgemäß entsorgte Essensreste die Schweinepest weitertragen. Es seien Informationsmaterialien für die Öffentlichkeit und die Kreisverwaltungsbehörden erstellt worden. Scharf zufolge hat Bayern auch schon das Monitoring intensiviert. Verendet aufgefundene Wildschweine werden auf Erreger der Tierseuche untersucht.