Ein richtungsweisender Tag im sogenannten Eisenheim-Prozess: An diesem Donnerstag wird das Berufungsverfahren um den Unfalltod der 20-jährigen Theresa Stahl gegen vier junge Männer fortgesetzt – allerdings unter völlig neuen Vorzeichen. Nach dem Prozessauftakt vor knapp zwei Wochen haben Ermittler aus dem Umfeld der Angeklagten Hinweise erhalten, wonach der stark betrunkene Fahrer Niclas H. – angestiftet von seinem Beifahrer Marius H. – die arglose Fußgängerin im April 2017 gezielt angefahren haben soll. Erhärtet sich der Verdacht, könnte das Verfahren als Mordprozess von vorne beginnen.
Bislang ist Niclas H. wegen fahrlässiger Tötung angeklagt, seine drei Mitfahrer stehen wegen unterlassener Hilfeleistung vor Gericht. Eigentlich sollte an diesem Freitag am Landgericht Würzburg ein neues Urteil fallen. In erster Instanz war Niclas H. im Oktober 2019 wegen fahrlässigen Vollrauschs zu einer Geldstrafe von 5000 Euro und einem Fahrverbot verurteilt worden, gegen Marius H. und die zwei weiteren Mitfahrer wurde ebenfalls eine Geldstrafe verhängt. Das Urteil stieß bundesweit auf Empörung, Staatsanwaltschaft und Nebenklage gingen umgehend in Berufung.
Beifahrer sitzt weiter in Untersuchungshaft
Nun sitzt Beifahrer Marius H., 22, seit Mitte vergangener Woche in Untersuchungshaft – nach Informationen der Redaktion wegen des Verdachts der Anstiftung zum Mord. Auch der Hauptangeklagte Niclas H., 21, wurde zwischenzeitlich festgenommen, der Haftbefehl wegen Mordes wurde aber laut Gerichtssprecher Rainer Volkert "gegen Auflagen" außer Vollzug gesetzt. An dieser Situation habe sich nichts geändert, so Volkert am Mittwoch auf Nachfrage der Redaktion.
Immer wieder hatten Zeugen ausgesagt, Niclas H. habe kurz vor dem Unfall mit seinem Golf "einen Schlenker nach rechts" auf Theresa zu gemacht. Bislang war man davon ausgegangen, dass er im Alkoholrausch Schlangenlinien gefahren war.
Schuldunfähigkeit "eher zu verneinen"
Bereits zum Auftakt des Berufungsprozesses am 9. September hatte es eine erste Wende gegeben: Der psychiatrische Gutachter Dr. Martin Flesch, der Niclas H. in erster Instanz vor einem Jahr noch für schuldunfähig erklärt hatte, kam nun zu dem Schluss, dass eine Schuldunfähigkeit "eher zu verneinen" sei.
Auch ein weiteres Gutachten, das das Gericht nach dem Urteil vom Oktober 2019 in Auftrag gegeben hatte, stuft den Hauptangeklagten als schuldfähig ein, wie der Vorsitzende Richter Reinhold Emmert durchblicken ließ. Allerdings wird die Frage der Schuldfähigkeit am Donnerstag nun wohl keine Rolle mehr spielen.
Was vom Prozesstag zu erwarten ist
Mit einem Auftritt von Psychiater Hans-Ludwig Kröber, Autor des neuen Gutachtens, wird jedenfalls nicht gerechnet. Stattdessen ist als einziger Zeuge ein Ermittler geladen, der Einblicke in die neuesten Erkenntnisse der Polizei geben könnte.
Prozessbeobachter gehen davon aus, dass die Verhandlung am Donnerstag kurz ausfällt und der Berufungsprozess endet: Das Urteil vom vergangenen Herbst könnte aufgrund der jüngsten Entwicklungen aufgehoben und die Sache an ein Schwurgericht verwiesen werden – als Mordfall.
Hinweis: Der Autor dieses Textes steht trotz Namensgleichheit mit der Familie des Opfers in keinem verwandtschaftlichen Verhältnis.