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Würzburg/Eisenheim
Eisenheim-Prozess: Gutachter sorgt für Überraschung
Der Tod von Theresa Stahl soll restlos aufgeklärt werden, das machte das Gericht zu Beginn des Berufungsverfahrens klar. Die Strategie der Verteidiger erschwerte dies zunächst.
Ronald Stahl (rechts), Vater von Theresa, am Mittwoch neben seinem Anwalt Philipp Schulz-Merkel. Vor ihm sitzt der Hauptangeklagte Niclas H..
Foto: Karl-Josef Hildenbrand, dpa | Ronald Stahl (rechts), Vater von Theresa, am Mittwoch neben seinem Anwalt Philipp Schulz-Merkel. Vor ihm sitzt der Hauptangeklagte Niclas H..
Benjamin Stahl
 |  aktualisiert: 08.02.2024 12:05 Uhr

Am Mittwoch startete die Berufungsverhandlung im sogenannten Eisenheim-Prozess. Was zum Auftakt klar wurde: Das Gericht lässt keinen Zweifel daran, den Tod von Theresa Stahl restlos aufklären zu wollen. Und: Die Staatsanwaltschaft will für den heute 21-jährigen Hauptangeklagten Niclas H. eine Verurteilung zu einer Freiheitsstrafe ohne Bewährung nach Erwachsenenstrafrecht. Für die größte Überraschung sorgte aber am frühen Mittwochabend der psychiatrische Gutachter Dr. Martin Flesch.

Niclas H. soll die 20-jährige Theresa im April 2017 nach einem Weinfestbesuch in Untereisenheim (Lkr. Würzburg) im Alkoholrausch überfahren haben. Seinen drei Mitfahrern wird vorgeworfen, nach dem Unfall keine Hilfe geleistet zu haben. In erster Instanz wurde H. im Oktober 2019 zu einer Geldstrafe über 5000 Euro verurteilt. Auch die drei Mitangeklagten kamen mit einer Geldstrafe davon.

Flesch hatte den Hauptangeklagten H. wegen seines Rausches damals für schuldunfähig erklärt, weshalb der junge Mann nicht wegen fahrlässiger Tötung, sondern wegen fahrlässigen Vollrauschs verurteilt wurde. Nun ruderte Flesch zurück: Nach der Zeugenbefragung während der Verhandlung am Mittwoch sei er zu dem Schluss gekommen, dass eine Schuldunfähigkeit "eher zu verneinen" sei.

Neues Gutachten hält Fahrer für schuldfähig

Als Grund nannte er vor allem die Aussagen des Notarztes, der Niclas H. in der Unfallnacht untersucht hatte und nun erneut vom Gericht befragt wurde. H. war, nachdem er Theresa mit dem Auto erfasst hatte, weiter Richtung Eisenheim gefahren, hatte dort seine drei Kumpels aussteigen lassen und war dann in einem Straßengraben gelandet. Dort fanden ihn Polizei und Rettungskräfte scheinbar bewusstlos vor. Der Notarzt erklärte nun, er habe Zweifel an der Bewusstlosigkeit gehabt. So habe der Unfallfahrer etwa seine Augen aktiv zusammengekniffen, als man versucht hatte, die Reaktion seiner Pupillen zu testen. Der Angeklagte, so die Vermutung des Mediziners, habe "etwas vorgespielt".

Noch deutlicher wird wohl ein weiteres Gutachten, das das Gericht in Auftrag gegeben hatte. Darin wird der heute 21-jährige H. für schuldfähig erklärt, wie der Vorsitzende Richter Reinhold Emmert durchblicken ließ.

Prozessunterbrechung kurz nach Beginn

Das Vorhaben, alle Fragen zu dem Fall zu klären, startete indes schleppend. Das lag an der Strategie, die die Verteidiger gewählt hatten: Zu Verhandlungsbeginn erklärten sie, dass ihre Mandanten sich nicht mehr äußern wollten und verwiesen auf bisher getätigte Aussagen, insbesondere im ersten Prozess vor einem Jahr. Hans-Jochen Schrepfer, Verteidiger von Niclas H., sowie Peter Auffermann, Verteidiger eines weiteren Angeklagten, sprachen von Beschimpfungen im Internet und einer "medialen Kampagne", der die Angeklagten ausgesetzt gewesen seien. Schrepfer betonte allerdings, sein Mandant streite nicht ab, dass er betrunken am Steuer gesessen habe.

Das Gericht empfahl den Verteidigern, sich ihre "Strategie gut zu überlegen", das mache einen "katastrophalen Eindruck". Theresas Familie als Nebenkläger habe "ein ganz massives Interesse, dass die Sache aufgeklärt wird", so Richter Emmert. Die Angeklagten hätten die Möglichkeit, dabei zu helfen. Emmert unterbrach daraufhin die Verhandlung – nach gerade einmal 45 Minuten.

Erinnerungslücken erschweren Rekonstruktion des Abends

Theresas Vater Ronald Stahl hatte immer wieder geäußert, er wolle "ein Urteil, das ich verstehen kann". Ähnlich hatte sich auch Theresas Mutter geäußert, die zwar weiter als Nebenklägerin auftritt, aber an der Verhandlung nicht teilnimmt. Sie sei dazu "nicht in der Lage", wie ihr Anwalt erklärte.

Als die Verhandlung wieder aufgenommen wurde, äußerten sich zumindest die drei Mitfahrer des Unfallautos. Erinnerungslücken der Angeklagten machten eine lückenlose Rekonstruktion des tragischen Abends jedoch unmöglich. Für Ronald Stahl sei es dennoch "fast wie eine Erleichterung" gewesen, dass die Angeklagten sich doch den Fragen der Kammer stellten, so Stahls Anwalt Philipp Schulz-Merkel.

Zu Falschaussagen abgesprochen

Einig waren sich die Angeklagten immerhin, dass alle vier stark betrunken gewesen seien und Niclas H. letztendlich den Unfallwagen gesteuert habe. Deutlich wurde unterdessen auch, dass sich die drei Mitangeklagten nach dem Unfall abgesprochen hatten, gegenüber der Polizei falsche Aussagen zu machen. Die drei jungen Männer räumten ein, sich verabredet zu haben, den Ermittlern zu erzählen, nicht mit H. gefahren, sondern zu Fuß zu ihrer Übernachtungsgelegenheit gegangen zu sein.

Dieser Aspekt wird wohl am 24. September, wenn der Prozess fortgesetzt wird, noch einmal eine Rolle spielen: Dann soll unter anderem ein Ermittler befragt werden. Im Mittelpunkt dürfte aber das neue Gutachten stehen, das der Psychiater Hans-Ludwig Kröber – ein bekanntes Gesicht etwa aus den Verfahren um die verschwundene Peggy Knobloch oder Justizopfer Gustl Mollath – angefertigt wurde.

Hinweis: Der Autor dieses Textes steht trotz Namensgleichheit mit der Familie des Opfers in keinem verwandtschaftlichen Verhältnis.

 
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  • H. B.
    Erschreckend, wie Gutachter das Strafmaß beeinflussen können!
    Ich finde Streichhölzer ziehen oder Würfeln fairer.......
    Erst nicht schuldfähig, dann doch ?! Das nenn ich gründliche Ermittlungsarbeit....... wie ein Fähnchen im Wind..
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  • E. V.
    Genauso wie neuerdings bei illegalem Autorennen, sollten Trunkenheitsfahrten mit Todesfolge ebenso als Mord gewertet werden können. Denn wo ist da der Unterschied? Jeder Autofahrer weiß, dass man nicht betrunken fahren darf, weil Schlimmes passieren kann, ebenso wie wenn man mit 120 durch die Stadt brettert. Man nimmt es billigend in Kauf, dass jemand drauf geht. Und die Mitfahrer gehören wegen Beihillfe angeklagt, weil keiner den Mumm hatte, ihren Kumpel nicht fahren zu lassen. War ja auch bequemer und billiger als Taxi (Bus war wahrscheinlich keine Option).
    Unsere Gesetzte sind leider in der Hinsicht viel zu lasch, daher solche haarsträubenden Urteile wie 5000 Euro Strafe für ein ausgelöschtes Menschenleben. Oder auch 10 Monate Bewährung und 3 Monate Fahrverbot für die überrollte Schülerin durch eine überforderte SUV Fahrerin.
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  • G. B.
    So ganz neutral scheint mir das Gericht aber nicht zu sein....dss klingt alles nach einer Vorverurteilung .
    Gerechte Strafe soll auf jeden Fall sein.
    Aber wie man sich verteidigt, sollte nicht der neutrale Richter anraten.
    Ist er etwa aufgrund des öffentlichen Drucks voreingenommen?
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  • B. S.
    Hallo Gert-raud,
    hier muss ich als Prozessbeobachter eine Lanze für das Gericht brechen. Die Richter haben auf mich den Eindruck gemacht, dass sie an der Wahrheitsfindung interessiert sind und haben dementsprechend die Zeugen in alle Richtungen, also auch nach möglicherweise entlastenden Indizien befragt.
    Viele Grüße,
    Benjamin Stahl, Regionalredaktion
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  • S. K.
    Die Macht der Gutachter....
    Allerdings geht es - bei allem Verständnis und Mitleid mit den Hinterbliebenen - in einem Strafverfahren nicht darum, den Sachverhalt lückenlos aufzuklären, auch wenn dies im Sinne der Nebenkläger wäre, sondern darum, dem Angeklagten die Tat, derer er beschuldigt wird, nachzuweisen. Ob er schuldfähig war oder nicht ,ist dabei ganz entscheidend. Der Angeklagte hat im übrigen das Recht zu schweigen, dies darf ihm auch nicht nachteilig ausgelegt werden. Das ist die rechtliche Seite um die es im Strafprozess alleine geht, die moralische Seite steht auf einem anderen Blatt, ist aber insoweit nicht relevant.
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  • Veraltete Benutzerkennung
    Ich frage mich ernsthaft, wieso man Gutachten braucht! Der Fahrer hat sich selbst in die Situation gebracht, die ursächlich für den schrecklichen Unfall war. Jetzt muß er vollumfänglich dafür gerade stehen. Da kann doch Alkohol keine Strafmilderung rechtfertigen! Das sollte ein guter Richter entscheiden können und dürfen!
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  • M. S.
    Diese Person gehört meiner bescheidenen "Amateurmeinung" nach jahrelang hinter Gitter gesteckt! Weiterhin frage ich mich weshalb bei solchen Tagen kein LEBENSLANGER Führerscheinentzug folgt? Das wäre eine zusätzliche Strafe mit der der Angeklagte leben kann, die ihn aber zumindest täglich an sein Versagen erinnert.

    Bei dem charakterlosen Nachtatverhalten hab ich meine Zweifel ob die Tat selbst bei einer Gefängnisstrafe für den Angeklagten nachwirkt? Geräde eine Bewährungsstrafe mit Geldauflage wird doch bei solch einfach gestrickten Menschen eher als Freispruch bewertet.

    Es ist zwar weit hergeholt aber es gibt für Laien Urteile die kaum bzw. nicht verständlich sind. Da braucht sich im Anschluss auch niemand zu beschweren, dass es immer mehr Menschen gibt die sich vom Staat abwenden. Bezeichnend ist ja auch, dass es bisher niemanden gelang das sehr milde Urteil auch nur ansatzweise verständlich zu machen!
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  • L. B.
    Was erhoffen Sie sich davon, den Fahrer jahrelang hinter Gitter zu stecken, wenn sie daran zweifeln, dass die Strafe nachwirkt bei ihm? Ein lebenslanger Führerscheinentzug: Warum fordern Sie dies? Wie ist das mit dem einfach gestrickten Menschen, wie ist ihre Kompetenz?
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