Die politische Aufmerksamkeit war groß in den ersten Septembertagen des vergangenen Jahres: Als Linken-Frontfrau Sahra Wagenknecht die neue linke, überparteiliche Sammlungsbewegung vorstellt, da schlagen ihr Zustimmung und Skepsis gleichermaßen entgegen. "Aufstehen" mahnt zum sozialen Umbau im Land. Und hierfür, so das Credo der Initiatoren, brauche es einen Aufschrei und einen Aufbruch. Nicht als Ersatz für die Parteien, aber als Druck von der Straße, als Druck zur Veränderung.
Anhänger von SPD, Grünen und Linken sollen in der neuen Bewegung mitmachen – und vor allem jene, die sich abgehängt und von den etablierten Parteien nicht mehr repräsentiert fühlen. Kein Wunder, dass die angesprochenen Parteien abwehrend reagierten, auch Wagenknechts eigene Linke. Man wolle die Bürger politisch aktivieren und die Demokratie stärken, sagen die Gründer. Und: Sie wollen die Wanderung der Enttäuschten zur AfD stoppen.
Druck der Straße: Gelbwesten oder "Aufstehen"?
Gut fünf Monate nach ihrer Gründung ist von den "Aufstehenden" im Land nicht viel zu sehen. Nur vereinzelt gab es Kundgebungen. Von einer "Bewegung", wie sie Emmanuel Macron mit seiner "En Marche" entfacht hat, ist man weit entfernt. Geht dem Projekt die Luft aus, bevor es richtig atmet? Die kommenden Wochen könnten entscheidend sein.
Was Unzufriedenheit und soziale Spaltung anrichten können, zeigen in Frankreich die radikalen, teils gewalttätigen Gelbwesten-Proteste. Die Frage hierzulande ist: Trägt der Unmut gelbe Westen in neorechter Pegida-Manier? Oder tritt von linker Seite "Aufstehen" eine soziale Protestwelle los? Oder alles zusammen?
"Aufstehen" fordert sozialen Umbau im Land
Auch in Deutschland haben sich erste Gelbwesten organisiert. Was als Ausgangspunkt in Frankreich die Benzinpreiserhöhung, das sind bei den deutschen Pendants die Dieselfahrverbote. Wagenknecht und ihren Aufstehenden indes geht es um mehr. Sie wollen antreten für eine solidarische Gesellschaft und gegen Auswüchse des Neoliberalismus, wollen streiten für höhere Löhne, gegen Kinder- und Altersarmut, für Umweltschutz, Abrüstung, bezahlbare Mieten, gegen Fremdenhass und für mehr direkte Demokratie. So viel hat man in den Gründungsaufruf gepackt, dass manche ein sozialromantisches Wunschkonzert zu hören meinen.
Was die Aufstehenden eint, ist die Ablehnung der AfD. Sollten sich an diesem Samstag unter die erste "Aufstehen"-Demo in Würzburg Rechtspopulisten mit rassistischen oder ausländerfeindlichen Sprüchen mischen, werde man eingreifen, verspricht Frank Ludwig. Der 59-Jährige ist parteilos und hat sich der Würzburger Aufstehen-Gruppe angeschlossen, eine von rund 200 Regionalgruppen in Deutschland und drei in Unterfranken, neben Aschaffenburg und Schweinfurt.
Demonstration der "Buntwesten" am Samstag in Würzburg
Auch dort – als eine kleine und sehr bunte Aufstehen-Truppe – hat man zur Aktion "Bunte Westen" am Samstag in Würzburg aufgerufen. Ab 11.45 Uhr will man vom Hauptbahnhof in die Innenstadt ziehen. Zur gleichen Zeit sollen deutschlandweit in den Landeshauptstädten ähnliche Proteste "für Gerechtigkeit, Demokratie und Frieden" stattfinden.
Bunte statt gelbe Westen – das ist Abgrenzung und Solidarisierung zugleich. Eine Aufstehen-Regionalgruppe in Mecklenburg-Vorpommern hatte die Initiative dazu ergriffen. Ansonsten ist die "Bewegung" bisher vor allem mit sich selbst beschäftigt. Auch in Würzburg.
Parteien sollen Veränderungsdruck spüren
Hier hatte sich im Oktober eine Handvoll Leute zusammengefunden. Beim ersten größeren Aufstehen-Treffen Anfang Dezember habe man dann über 40 Leute gezählt, die allermeisten davon parteilos, berichtet Günther Hauk. Einen ersten inhaltlichen Akzent setzte man mit der Unterstützung des Artenschutz-Volksbegehrens.
Hauk, 34-jähriger Krankenpfleger, war im Zuge der umstrittenen GroKo-Entscheidung in die SPD eingetreten und hofft, dass sich die Partei möglichst viele Aufstehen-Forderungen zu eigen macht. Das neue Sozialstaatsprogramm könnte ein Anfang sein – oder bleibt es ein taktisches Manöver mit Blick auf anstehende Landtagswahlen? Rein "kosmetische Veränderungen" befürchtet Marek Mlynarczyk, der dieser Tage in Würzburg Flugblätter verteilt und für die Demonstration am Samstag wirbt.
Weitere Protestaktionen sollen folgen
Der Pole kennt sich mit Widerstand aus, mischte in den 80er Jahren in der Solidarnosc-Bewegung mit, später – nach seiner Flucht nach Deutschland im Jahr 1981 – sympathisierte er mit den Nationalkonservativen und beriet unter anderem Staatspräsidenten Lech Kaczynski. Dass sich die Regierungsparteien aktuell stärker um ihr Profil und Stimmung der Basis kümmern, darin sieht Mlynarczyk schon einen ersten Erfolg von "Aufstehen", bei der SPD gar eine "Flucht nach vorn".
Die Politik habe Angst vor einer Massenbewegung wie in Frankreich, ist der 66-Jährige überzeugt. Legt man die Zahl von bundesweit rund 170 000 Online-Unterstützern des Gründungsaufrufes zugrunde, könnte die neue Bewegung in Unterfranken geschätzte 2000 bis 3000 Anhänger haben. Wie viele dann am Samstag wirklich auf die Straße gehen, bleibt abzuwarten. Angemeldet wurde die Demo für 50 Personen. "Es ist nur der Anfang", sagt Frank Ludwig, weitere Proteste sollen folgen. Noch ist man bescheiden.