Was ist nur mit den Polen los? Seit die nationalkonservative Partei Recht und Gerechtigkeit (PiS) im östlichen Nachbarland mit absoluter Mehrheit regiert und das Verfassungsgericht und die öffentlich-rechtlichen Medien umbaut, hört Marek Mlynarczyk die Frage immer öfter.
Der 63-jährige einstige Mitstreiter der Solidarnosc-Bewegung lebt seit über 30 Jahren in Würzburg und beobachtet von dort mit großem Interesse die Entwicklung in seiner Heimat. Mlynarczyk ist Anhänger von PiS und stellt die Frage lieber anders: „Was ist nur mit den Deutschen los?“
Kritik an Beschlüssen sei arrogant
Die Kritik an den Beschlüssen der demokratisch gewählten Regierung hält er für „arrogant“ und „überzogen“. Mlynarczyk fürchtet um das bislang gute deutsch-polnische Verhältnis. Er appelliert an beide Seiten, Gelassenheit walten zu lassen. Statt sich gegenseitig Vorwürfe zu machen sei „nüchterner Pragmatismus“ gefragt.
In Deutschland sind die Bilder PiS-naher Medien sauer aufgestoßen, die Kanzlerin Angela Merkel und führende EU-Politiker auf Bildmontagen zeigen, die an Hitlers Hauptquartier erinnern. „Nicht okay“, sagt auch Mlynarczyk. Er verweist aber auch auf Karikaturen in deutschen Zeitungen, die weiter das Klischee von den polnischen Autodieben bemühen und selbst Berichte zur derzeit in Polen laufenden Handball–Europameisterschaft mit Hinweisen auf die dortige „gebrochene Demokratie“ garnieren.
Verteidigung der Politik
Jurist Mlynarczyk verteidigt die Politik des ehemaligen Ministerpräsidenten Jaroslaw Kaczynski, der auch ohne aktuelles Amt als der starke Mann bei PiS gilt. Die abgewählte Parlamentsmehrheit unter Führung der liberalen Bürgerplattform (PO) habe „alle staatlichen Institutionen“ mit Parteigängern durchsetzt.
„Das wird nun rückgängig gemacht.“ Die Leute auszutauschen ist das eine, das System zu verändern das andere. So soll das Verfassungsgericht seine Urteile künftig nur noch mit Zwei-Drittel-Mehrheit treffen dürfen, was nach Auffassung vieler Kritiker einer Entmachtung gleichkommt.
Schlimmer noch sind die Eingriffe in die Pressefreiheit. Laut dem neuen Gesetz ernennt künftig die Regierung die Chefs der öffentlich-rechtlichen Radio- und TV-Sender. Die Unabhängigkeit der Medien sei mehr als bedroht, sagt nicht nur EU-Kommissar Günther Oettinger. Tatsächlich ernannte die Regierung umgehend Jacek Kurski, einen Kaczynski-Vertrauten, zum neuen Direktor des Senders TVP. Die ersten Redakteure wurden bereits entlassen. „Das ist die Antwort auf den Missbrauch des Senders durch die PO“, sagt Mlynarczyk.
Bei TVP habe es zuletzt keinen unabhängigen Journalismus mehr gegeben, „nur Meinungsmache“. Dass dies unter der neuen Führung augenscheinlich nicht besser wird, sieht er nicht. Seiner Ansicht nach ist die Pressefreiheit vor allem durch die Vielzahl privater regionaler Medien auch weiter garantiert.
Politiker im Westen sehen Polen schon auf dem Weg in eine sogenannte gelenkte Demokratie a la Russland. EU-Parlamentspräsident Martin Schulz sprach von der „Putinisierung Polens“. Ein Vorwurf, der Russland-Skeptiker wie Mlynarczyk sauer aufstößt.
Interessen der Polen missachtet
Es seien die Deutschen, die mit Putin die Gas-Pipeline Nord Stream über die Ostsee geplant hätten, ohne auf die Interessen Polens Rücksicht zu nehmen. PiS-Politiker würden nun mit viel mehr Nachdruck polnische Interessen vertreten als die PO. Das gefalle den Deutschen eben nicht, so Mlynarczyk.
Die Berichterstattung deutscher Medien, klagt er, sei einseitig gegen die PiS-Regierung gerichtet. Kaum jemand spreche und schreibe über die sozialen Wohltaten. So werde das Renteneintrittsalter wieder abgesenkt, ab dem zweiten Kind gebe es erstmals 500 Zloty (110 Euro) Kindergeld. Das Geld dafür soll unter anderem durch Sondersteuern für Banken und Supermarkt-Ketten erwirtschaftet werden.
Dass viele dieser Unternehmen in deutscher Hand sind, könnte ebenso ein Grund für die Kritik sein, meint der 63-Jährige. Alles nur Verschwörungstheorien? Die Spannungen sind jedenfalls greifbar, auch weil sich Polen strikt weigert, Flüchtlinge aus Syrien aufzunehmen.
Mlynarczyk, der selbst in der Bundesrepublik Asyl erhalten hat, kann die polnische Regierung verstehen. Während der Tschetschenien-Kriege habe man Flüchtlinge aufgenommen, heute lebten über 700 000 Ukrainer im Land. Dass Polen mehr als andere auf seine „nationale Identität“ achte, müsse man mit Blick auf die Geschichte verstehen. Polen war von den Nachbarn, allen voran Deutschland und Russland, mehrfach geteilt und territorial verschoben worden.
Tiefe Risse in der Gesellschaft
Derzeit polarisiert das Land aber nicht nur in Europa, auch innerhalb der Gesellschaft tun sich tiefe Risse auf, angefeuert durch die Protagonisten der liberalen, weltoffenen PO auf der einen und die der nationalkonservativen, erzkatholischen PiS auf der anderen Seite.
Woher kommt diese Rivalität, zumal viele führende Köpfe beider Seiten einst gemeinsam in der Solidarnosc-Bewegung gekämpft haben? Mlynarczyk hat da seine eigene Sicht: Während die heutigen PO-Vertreter nach der Wende 1989/90 versucht hätten, an „runden Tischen“ auch die Vertreter des sozialistischen Polen zu integrieren und dabei „viele Seilschaften“ eingegangen seien, hätten seine Freunde von der PiS konsequent mit den Kommunisten gebrochen.