
Es ist 18.31 Uhr, als Mustafa Acar sich eine der Datteln aus dem Schälchen vor ihm in den Mund schiebt, das Wasserglas ansetzt und fast in einem Zug leert. Kein Wunder: Mittlerweile sind es über 14 Stunden her, seit er das letzte Mal etwas getrunken und gegessen hat. Neben ihm sitzt sein 13-jährige Bruder Mert, sein Vater Ramazan und seine Mutter Hatice Acar. Sie haben sich im familieneigenen Dönerladen in der Semmelstraße getroffen, um wie jeden Tag seit dem 10. März gemeinsam das Fasten zu brechen.
Nur die 24-jährige Schwester Yagmur fehlt. Sie arbeitet als Pflegekraft im Krankenhaus und kann wegen ihrer Spätschicht an diesem Tag nicht beim "Iftar" dabei sein, sagt Ramazan. "Iftar", das arabische Wort für das Fastenbrechen, meint das tägliche gemeinsame Abendessen während der Fastenzeit, das traditionell mit der Familie und Freunden gemeinsam zelebriert wird.
Kein Wasser, kein Essen, aber auch keine Beleidigungen
Wie rund 1,9 Milliarden Muslime auf der ganzen Welt, begeht die Familie Acar den Ramadan. Während des Fastenmonats üben sich die Gläubigen in Verzicht. Das heißt von der Morgendämmerung bis Sonnenuntergang darf weder gegessen noch getrunken werden. "Nein, nicht mal einen Schluck Wasser", sagt Mustafa Acar grinsend, während seine Mutter schon die Suppe auf den Tisch stellt. Die Frage bekomme er von nicht-muslimischen Menschen immer wieder gestellt, wenn sie hören, dass der 25-Jährige fastet. Aber auch andere Dinge wie Beleidigungen, Schimpfwörter oder der Austausch von Zärtlichkeiten sind während des heiligen Monats verboten.

An Ramadan, so glauben die Muslime, hat Allah den Koran an den Propheten Mohamed überliefert und damit den Grundstein für die Glaubensrichtung gelegt. Seit dem verzichten Muslime weltweit für einen Monat im Jahr auf alle möglichen Genüsse, um sich in der eigenen Willenskraft zu üben, die Seele zu reinigen und die Beziehung zu Gott und den Mitmenschen zu stärken. Denn: Die Gemeinschaft hat einen hohen Stellenwert im Islam.
"Es ist schon eine sehr besondere Zeit für uns, auf die wir uns jedes Jahr freuen", sagt Mustafa Acar, der hauptberuflich bei einem Kitzinger Unternehmen als Sales-Manager arbeitet. Seit er 13 Jahre alt ist, fastet er jährlich und schätzt vor allem das familiäre Zusammenkommen am Abend. "Dadurch, dass wir ab einem bestimmten Zeitpunkt wieder essen dürfen, achten wir auch darauf, dass wir es gemeinsam machen." Im normalen Alltag klappe das häufig nicht, deshalb genießt er die Ramadan-Zeit besonders.
Verzicht auf Essen und Trinken aus religiöser Überzeugung
Während Mustafa Acar noch genüsslich die letzten Löffel der Suppe isst, springt Vater Ramazan plötzlich auf - es ist Kundschaft im Laden. Schnell läuft er hinter die Theke und schneidet mit einem langen Messer die Fleischscheiben von dem Drehspieß. Als er zurückkehrt, hat Mutter Hatice schon die Hauptspeise auf den Tisch gestellt: Mit Hackfleisch gefüllte Aubergine, türkischer Reis und Salat. So läuft das eben, sagt Mustafa mit Blick auf seinen Vater, der hastig einen Bissen nach dem nächsten verdrückt, bevor neue Kundschaft im Laden steht. Eine neugierige Kundin fragt, was es zu feiern gebe. "Ramadan", antwortet ihr der 25-Jährige.

Es komme häufig vor, dass die Kundinnen und Kunden im Laden Fragen stellen würden. Der 25-Jährige freut sich über das Interesse. "Viele wissen schon, was Ramadan ist. Das freut uns natürlich, aber ich beantworte auch gern Fragen." Eine Frage, die häufig gestellt werde: Wie schafft man es so lang auf Essen und Trinken zu verzichten? Mustafa Acar erklärt das so: "Ich mache das aus religiöser Überzeugung, weil Allah es uns befohlen hat." Ihm stelle sich die Frage nicht, ob er es schaffen könne, den ganzen Tag nicht zu essen und zu trinken. "Ich weiß, dass ich es schaffe, denn Allah hätte es uns nicht befohlen, wenn es nicht möglich wäre."
Mustafa erwartet keine Rücksicht von nicht-muslimischen Menschen
Das gelte auch für die heißen Sommermonate, sagt der Würzburger. Die Ramadan-Zeit wird nach dem islamischen Kalender bestimmt, der 354 Tage im Jahr zählt. Deshalb verschiebt sich die Fastenzeit jedes Jahr um zehn Tage nach vorn. So fiel beispielsweise 2016 der Monat Ramadan auf die Zeit zwischen Juni und Juli. "Dann passen wir unseren Alltag natürlich so weit wie möglich an", sagt Acar. So verzichte er während Ramadan beispielsweise auf Sport und die Familie steht noch vor Beginn der Morgendämmerung auf, um gemeinsam zu frühstücken.
Die Frage, ob das Ramadan-Fasten nicht schlecht für die Gesundheit sei, hören Musliminnen und Muslime häufig. "Wir tun unseren Körper damit nichts Schlechtes", betont der 25-Jährige. Der Glaube erlaube es, das Fasten zu beenden, falls es der Körper nicht aushalte. In dem Fall könne man die Fastentage zu einem späteren Zeitpunkt nachholen. Dass Mustafa Acar während des Fastens schwindlig wird oder sein Kreislauf zusammenbrechen würde, habe er in all seinen Fastenjahren noch nie erlebt, sagt er.

Auf die Frage, ob er es schlimm finde, wenn andere während seiner Fastenzeit vor ihm essen und trinken, schüttelt Mustafa den Kopf. "Nein, ich lebe in Deutschland und hier ist die mehrheitliche Gesellschaft eben nicht muslimisch, also erwarte ich da auch keine Rücksicht." Dennoch habe er es beispielsweise während seiner Studienzeit häufig anderes erlebt. "Da haben einige nicht-muslimische Mitstudierende dann aus Respekt vor mir ihre Wasserflasche nicht ausgepackt oder in einem anderen Raum etwas getrunken." Dies hätte ihm in gewisser Weise ein Gefühl der Zugehörigkeit gegeben, was er sehr schätzt.
Auch der 13-jährige Mert wird in den Ramadan miteinbezogen
Nach dem "Iftar" fahren Mustafa und seine Mutter gemeinsam in die Moschee, um das Abendgebet und das zusätzliche freiwillige Tarawhi-Gebet zur Ramadan-Zeit zu beten. Dort treffen die beiden viele Freunde und Bekannte. "Wir sitzen dann oft noch zusammen, unterhalten uns und trinken einen Chai", sagt der 25-Jährige. Nicht nur die Familie, sondern auch die muslimische Gemeinschaft fühle zur Ramadan-Zeit eine noch stärkere Zusammengehörigkeit.
Etwas, dass Mustafa Acar mit den Worten "ergreifend" und "einer besonderen Energie" beschreibt. Vater Ramazan geht nicht mit in die Moschee, er verrichtet sein Abendgebet im Dönerladen und auch der 13-jährige Mert bleibt an diesem Tag Zuhause. Schließlich muss er ausgeschlafen für die Schule am nächsten Tag sein. An das Fasten gewöhnt er sich gerade erst. "Ich habe den ersten Tag mit gefastet, aber dann aufgehört, weil ich in der Schule Klausuren schreiben muss", sagt Mert Acar. Ohne Essen und Trinken könne er sich nicht konzentrieren, deshalb fastet er nur am Wochenende und in der Ferienzeit. Und dann geht er auch am Abend mit in die Moschee.

Im Islam sind besondere Personengruppen vom Fasten ausgenommen: ältere Menschen, Personen mit Behinderungen, Schwangere und eben Kinder. Erst mit dem Beginn der Pubertät werden sie in das Fasten einbezogen. Die Eltern entscheiden dann selbst, in welchem Maße die schulpflichtigen Kinder Ramadan mitmachen.
Ende der Fastenzeit stimmt nicht nur glücklich
Am 9. April geht der Fastenmonat zu Ende. Traditionell wird das mit dem dreitägigen Zuckerfest gefeiert - auf Türkisch "Bayram", auf Arabisch "Eid". Familie Acar fährt dann am Morgen gemeinsam in die Moschee zum Gebet, anschließend werden Freunde und Familie besucht und gegenseitig Geschenke ausgetauscht. Eins darf dabei nicht fehlen: "Mamas selbstgemachtes Baklava", sagt Mert stolz.
Und Mustafa? Ist er froh, wenn das diesjährige Fasten vorbei ist? Im Gegenteil: "Ich bin fast immer ein bisschen traurig, wenn die Zeit vorbei ist, weil es immer so etwas Besonderes ist", sagt er. Zu keiner anderen Zeit im Jahr rücke die muslimische Gemeinschaft und auch die Familie so nah zusammen. Und auch seine Verbindung zu Allah spüre er in der Zeit besonders. "Ich bin sehr dankbar, dass ich fasten kann, denn das bedeutet ich bin gesund und das ist ein großes Geschenk", fasst Mustafa zusammen. Dennoch freue er sich auch auf die Zeit nach dem 9. April: Wieder Sport machen, tagsüber essen und trinken.
Die Folgen sieht man dann in der Schule, vor allem im Sportunterricht, wo dann immer wieder Kinder zusammenbrechen.