"Der Countdown läuft!" Gut zwei Dutzend Personen schauen am Samstagabend im Gemeinschaftsraum der Karlstadter Ditib-Moschee gespannt auf ihr Smartphone. Die App auf dem Display verweist auf 20.15 Uhr, den Zeitpunkt des Sonnenuntergangs. Dann endlich sprechen der Religionslehrer Fahri Kilic und der Imam Efraim Topaloglu das Abendgebet, verkünden das "Fastenbrechen" und wünschen guten Appetit. Noch fünf Tage würde der Fastenmonat Ramadan in diesem Jahr dauern.
Beginn war in diesem Jahr am 23. März und das Ende am 21. April, also eigentlich erst am kommenden Freitag. In diesem Jahr allerdings gibt es eine Besonderheit: Die christliche vorösterliche Fastenzeit überschneidet sich teilweise mit der islamischen. Aus diesem Anlass hatten die Verantwortlichen der Ditib-Moschee am Samstag vor dem Zuckerfest Gäste eingeladen, um gemeinsam mit dem Sonnenuntergang das Fastenbrechen zu feiern. Mit dabei waren die Landrätin Sabine Sitter, Karlstadts Bürgermeister Michael Hombach, Altbürgermeister Karl-Heinz Keller, die Zweite Bürgermeisterin Matha Bolkart-Mühlrath sowie die Dritte Bürgermeisterin Anja Baier. Von der katholischen Pfarrei kam Pastoralreferent Wolfgang Pfeifer.
Außer den Schriften des Koran gelten für einen gläubigen Muslim auch die sogenannten "Fünf Säulen des Islam", die im Hadith des Erzengels Gabriel zusammengefasst sind. Neben dem Glaubensbekenntnis an den einen Gott, die Almosen, die Pilgerfahrt nach Mekka und die fünf Gebete, rückt derzeit der Fastenmonat Ramadan in den Mittelpunkt.
Einen Monat lang gelten jeweils für die Zeit von der Morgendämmerung bis zum Sonnenuntergang eindeutige Verbote: Nicht essen, trinken, rauchen und keinen Sex. Mit dem letzten Sonnenstrahl beginnt das "Fastenbrechen" und man darf all das nachholen – jedenfalls bis zum nächsten Morgengrauen. Der Koran legt jedem erwachsenen Muslim diese Fastenzeit ans Herz, ausgenommen davon sind Kinder, schwangere Frauen oder Menschen mit gesundheitlichen Einschränkungen.
Die Besonderheit des islamischen Kalenders liegt aber im Bezug auf die Mondphasen. Während der abendländische Kalender in festen monatlichen Abständen von 28 bis 31 Tagen festgelegt ist und daher beispielsweise Weihnachten immer am 25. Dezember ist, wechseln die islamischen Monate in der Jahreszeit und damit auch der Fastenmonat. Somit kann der Ramadan einmal im Sommer und einmal im Winter liegen, was dann zur Folge hat, dass die Sonnenstunden zwischen 16 und acht Stunden schwanken können. Entsprechend länger oder kürzer sind dann die "Hungerphasen". Beendet wird die Fastenzeit mit dem fröhlichen Zuckerfest, bei dem die Familien zusammenkommen, gemeinsam feiern und sich beschenken.
Auch wenn der Koran das Fasten den Gläubigen vorschreibt oder es zumindest von ihnen erwartet, liegt die Entscheidung letztendlich doch bei jeder einzelnen Person. Kein anderer hat das Recht, darüber zu urteilen.
Wir haben mit sechs Menschen aus Karlstadt über ihre Einstellung zur Fastenzeit gesprochen.
1. Nuray Karakoyunlu (54) fastet nicht:
"Ich faste nicht und habe noch nie gefastet. Seit 1997 betreibe ich in Karlstadt den Kiosk 76 am Bahnhof und komme so ständig mit türkischen und deutschen Menschen in Kontakt. Früher gab es schon hin und da Leute, die mich kritisch angesprochen haben, das ist heute aber so gut wie vorbei. In meinem Kiosk halte ich mich zurück – man muss ja nicht in der Öffentlichkeit essen und trinken. Auch mein Ehemann fastet nicht, er ist Diabetiker. Allerdings ermutigen wir unsere Kinder zum Fasten."
2. Ihr Sohn Can Karakoyunlu (22) fastet, seit er 17 ist:
"In den ersten Jahren habe ich nur probeweise für jeweils ein paar Tage gefastet, jetzt aber ziehe ich das von Anfang bis Ende durch. Schwierig ist das schon, wenn der Ramadan im Sommer ist und zwischen Sonnenaufgang und -untergang fast 16 Stunden liegen. Doch der Umgang mit dem Hunger ist für mich eine mentale Frage und verlangt Willenskraft. Natürlich sind die ersten Tage schwierig, dann aber haben sich Körper und Geist umgestellt. Mein normaler Tagesablauf, insbesondere an der Uni wird jedoch kaum durch die Fastenzeit belastet, ich gehe sogar regelmäßig zum Sport.
In jedem Fall ist der Ramadan eine spannende Zeit, man findet auch Gelegenheit, sich selbst anders zu beachten, das Essen an sich bekommt eine ganz andere Bedeutung, man schätzt es am Abend nach dem Fastenbrechen deutlich mehr.
Ich benutze aber auch moderne Technologie. Schließlich gilt es, rechtzeitig vor Sonnenaufgang zu frühstücken, um für den Tag gerüstet zu sein und auch das Morgengebet soll vor Tagesanbruch gesprochen sein. Dazu hilft mir eine App auf dem Handy, die die richtige Zeit und die folgenden Termine anzeigt."
3. Nurhayat Tuncer (56 Jahre) ist zurzeit nicht berufstätig und kann sich die Zeit leichter einteilen:
"Das Fastengebot ist Teil unserer Religion, aber deswegen fühle ich mich nicht gezwungen, vielmehr tut diese Zeit meiner Seele gut. Es gab schon Zeiten, in denen ich aus beruflichen Gründen nicht gefastet habe. Natürlich ist die Fastenzeit eine echte Herausforderung, besonders wenn der Ramadan auf den Sommer fällt und die Sonne von vier Uhr morgens bis 22 Uhr abends scheint. Aber Allah hilft uns dabei, wir kriegen von ihm diese Kraft dazu. Außerdem hat man nun auch Gelegenheit, den Blick nach innen zu lenken und kann am Abend dann reichlich tanken. Oft bleibe ich nach dem Fastenbrechen noch lange auf, manchmal bis kurz vor Sonnenaufgang, dann frühstücke ich und lege mich schlafen bis zum Mittag."
4. Ferah Ünaydin (43 Jahre) ist beruflich stark eingebunden und hat sich deshalb gegen das Fasten entschieden:
"Ich bin Betriebswirtin und sitze fast den ganzen Tag am PC. Bei meiner Arbeit muss ich stets hochkonzentriert sein und kann mir keine Fehler leisten. Allerdings nutze ich gezielt die Fastenzeit und schaffe mir Raum, um auf andere Schwerpunkte zu achten. Ich frage mich: Was tust du Gutes für andere, wie gehen wir in unserer Gesellschaft mit unserem Reichtum um – wie können wir nützlich sein mit diesem Reichtum? Vor allem aber überlege ich kritisch, wie ich diese Erkenntnisse auch auf die anderen elf Monate nach dem Ramadan übertragen und fortsetzen kann. Vier Wochen fasten und dann wieder den alten Trott machen, ist wohl auch nicht richtig. Kritisiert wurde ich für meine Entscheidung nie, schließlich gilt im Islam der Grundsatz: Nur Gott richtet!"
5. Ozan Karakoyunlu (31 Jahre) ist Teilzeitfaster:
"Ich bin Immobilienmakler und kriege das Fasten in diesem Beruf nicht richtig gebacken, weil ich keine geregelten Arbeitszeiten habe. Und wenn ich mich ständig konzentrieren muss, bekomme ich oft Kopfschmerzen und kann dann die notwendige Leistung nicht erbringen. Deshalb habe ich mich für eine Zwischenlösung entschieden – ich faste am Wochenende. Aber auch an den Wochentagen, bin ich in diese Zeit eingebunden. Man kommt nach Hause, wartet mit der Familie auf das gemeinsame Fastenbrechen und fühlt sich mit seinen Lieben verbunden.
Die Fastenzeit ist eine spirituelle Zeit und eine wichtige Säule des Islam. Man soll sich selber und sein Leben in der Gemeinschaft bewusster betrachten und erleben. Irgendwie ist man in dieser Zeit barmherziger und freut sich auf das Zuckerfest wie andere auf Weihnachten."
6. Nagi Karakoyunlu (65 Jahre) vereinbart Beruf und Fasten:
"Es ist so in unserer Religion und es fühlt sich für mich auch richtig an. Ich habe mich nie dazu gezwungen betrachtet – es ist kein wirkliches Muss! Wir haben elf Monate im Jahr genügend zu essen, da können wir doch leicht vier Wochen verzichten. Auch körperlich kann die Fastenzeit von Nutzen sein. Alle Organe machen Pause, um sich wieder neu zu richten. Sobald man negative Auswirkungen spürt, hat man immer die Möglichkeit abzubrechen.
Für mich ist das Fasten leicht, es ist eine mentale Sache, die man eben einen Monat durchzieht. Der Körper gewöhnt sich erstaunlicherweise schnell daran und ich verspüre dann eigentlich während des Tages keinen Hunger. Probleme machen allerdings schon die heißen Tage, wenn der Flüssigkeitsverlust groß wird. Dumme Sprüche von Arbeitskollegen habe ich nie erleben müssen, vielmehr übernimmt immer einer von ihnen, wenn ich für wenige Minuten mein Gebet verrichte."