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Würzburg
Veraltete Software in Gesundheitsämtern: Was das Ministerium sagt
Zettelwirtschaft und Excel-Tabellen in Corona-Zeiten: Die technische Ausstattung vieler Behörden ist für die unterfränkische Grünen-Abgeordnete Kerstin Celina ein "Trauerspiel".
Infektionszahlen melden, Kontaktdaten erfassen, Testergebnisse auswerten: Sind Bayerns Gesundheitsämter technisch gut genug ausgerüstet, um in Zeiten der Corona-Pandemie zu bestehen?
Foto: Symbolbild Peter Kneffel, dpa | Infektionszahlen melden, Kontaktdaten erfassen, Testergebnisse auswerten: Sind Bayerns Gesundheitsämter technisch gut genug ausgerüstet, um in Zeiten der Corona-Pandemie zu bestehen?
Angelika Kleinhenz
 und  Susanne Schmitt
 |  aktualisiert: 15.07.2024 09:38 Uhr

Wenige Monate nach dem bisherigen Höhepunkt der Corona-Krise steht die technische Ausstattung der Gesundheitsämter im Freistaat in der Kritik. "Ich verstehe nicht, warum in Zeiten einer Pandemie-Bekämpfung immer noch mit Zettelwirtschaft und Excel-Tabellen gearbeitet wird und jedes Gesundheitsamt sein eigenes Programm verwendet", sagt Kerstin Celina, sozialpolitische Sprecherin der Grünen und Mitglied im Gesundheitsausschuss des Bayerischen Landtags. Auch der unterfränkische Hygieneexperte Oskar Weinig bemängelte im Gespräch mit dieser Redaktion veraltete Software-Programme und eine Datenerfassung wie "aus der Steinzeit". Wie aber kann das sein?

In Bayern gibt es 76 Gesundheitsämter. Seit Beginn der Corona-Krise arbeiten sie teilweise und immer wieder am Limit. Eine Ursache dafür offenbart die Antwort der Staatsregierung auf eine Anfrage der Landtags-Grünen: Zur Verwaltung der Covid-19-Fälle und der Daten ihrer Kontaktpersonen kamen und kommen in den Ämtern unterschiedliche Programme zum Einsatz. Zwar hat das Gesundheitsministerium im Mai mit der Ausrollung einer neuen Fall-Software namens BaySIM begonnen. Genutzt wird die kostenlose Online-Plattform aber längst noch nicht überall. Bayernweit würden inzwischen 22 Gesundheitsämter mit BaySIM arbeiten. In Unterfranken sind es gerade mal zwei. 33 seien für den Einsatz der Software geschult; in Unterfranken sind es drei, teilt ein Ministeriumssprecher auf Nachfrage mit.

 "Ich verstehe nicht, warum in Zeiten einer Pandemie-Bekämpfung immer noch mit Zettelwirtschaft und Excel-Tabellen gearbeitet wird."
Kerstin Celina, Abgeordnete der Grünen im Bayerischen Landtag

Genau da liegt für Kerstin Celina das Problem: "Ich kann nicht nachvollziehen, warum die Teilnahme an dieser Software freiwillig ist, wenn die Gesundheitsämter phasenweise immer wieder überlastet sind." In Unterfranken kämen an den insgesamt neun Gesundheitsämtern noch immer sechs verschiedene Systeme zum Einsatz, so Celina. Viele verwendeten nach wie vor Excel-Tabellen, kritisiert die Landtagsabgeordnete aus Kürnach (Lkr. Würzburg). Der Nachteil: "An einer Tabelle können keine zwei Mitarbeiter gleichzeitig arbeiten."

Mit ähnlich deutlichen Worten kritisiert auch Oskar Weinig, lange Jahre Vorsitzender des Bundesverbandes der Hygieneinspektoren, die technische Ausstattung des öffentlichen Gesundheitsdienstes. Aus Sicht des Experten aus Höchberg (Lkr. Würzburg) wäre auch die Datenpanne in den Corona-Testzentren an Bayerns Autobahnen mit modernen Software-Lösungen vermeidbar gewesen. 

Die Panne bei den Corona-Tests für Urlaubsrückkehrer an Bayerns Autobahnen wäre aus Sicht des unterfränkischen Hygieneexperten Oskar Weinig vermeidbar gewesen.
Foto: Sven Hoppe, dpa | Die Panne bei den Corona-Tests für Urlaubsrückkehrer an Bayerns Autobahnen wäre aus Sicht des unterfränkischen Hygieneexperten Oskar Weinig vermeidbar gewesen.

Das bayerische Gesundheitsministerium erklärt zu Weinigs Vorwurf: In allen Gesundheitsämtern würden einheitliche staatliche Programme "vor allem für das Meldewesen" eingesetzt. Als Beispiele nennt eine Sprecherin auch BaySIM. Zudem verfügten alle Ämter "über eine EDV-Ausstattung (Microsoft Office-Paket) für moderne Kommunikation" und seien an das Behördennetz angeschlossen. Für die EDV-Programme seien Updates üblich – "sodass angenommen werden darf, dass diese Programme aktuellem Stand entsprechen", so die Auskunft der Sprecherin.

Hygieneinspektor Weinig sieht das anders. Seiner Meinung nach gibt es vor allem bei der Datenerfassung gravierende Probleme. Immer wieder habe er in den vergangenen Jahren Modernisierungen angemahnt, ebenso eine bessere Vernetzung der einzelnen Gesundheitsämter untereinander sowie zur Regionalregierung und zum Landesamt für Gesundheit und Lebensmittelsicherheit (LGL). Der "Wildwuchs an Software-Lösungen", kritisiert Weinig, habe vor allem finanzielle Gründe.

Ähnlich formuliert es Grünen-Politikerin Kerstin Celina: "Die Gesundheitsämter waren jahrelang der Sparstrumpf. Es ist wenig investiert worden, weder in Software noch in Personal." Jetzt gebe es endlich eine sinnvolle Software - doch die Verwendung sei freiwillig und die Auslieferung viel zu langsam:  "Das ist ein Trauerspiel."

Wie gut wären die Gesundheitsämter auf eine zweite Corona-Welle vorbereitet?

Das Ministerium erklärt, derzeit würden die Kreis- beziehungsweise Stadtverwaltungsbehörden die Kosten für die EDV-Ausstattung tragen. Auf Bundesebene werde allerdings an einer Vereinbarung für den öffentlichen Gesundheitsdienst gearbeitet, "in dem neben mehr Personal auch die IT-Ausstattung" finanziell unterstützt werden soll. Zudem werde zur bundesweit einheitlichen Übermittlung beispielsweise von Corona-Fällen ein elektronisches Meldeverfahren eingeführt.

Bleibt die Frage: Genügt das bei einer möglichen zweiten Welle von Corona-Neuinfektionen? Im Ministerium sieht man sich gut gerüstet. Mit mehr als 4000 Unterstützungskräften sei in den Gesundheitsämtern die erste Welle bewältigt worden, auch für eine zweite stünde Hilfe bereit. Kerstin Celina hingegen ist skeptisch. Sicher seien die Ämter während der Pandemie nicht durchgehend und auch nicht überall überlastet gewesen, so die Grünen-Politikerin. Aber: "Ich würde bei keinem Gesundheitsamt die Hand ins Feuer legen, dass es bei weiter steigenden Fallzahlen alles spielend hinbekommt."

 
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  • M. N.
    Das Problem beim öffentlichen Dienst ist, dass sie die Software schon immer selbst entwickeln wollen. So versuchen die Ämter mit sogenannten eigenen "Expert" die Programme zu entwickeln und jeder kann es besser. Deshalb versucht "jedes Amt" eine eigene Software zu entwickeln. Das kostet Zeit, Geld und viele Fehler. Jetzt während der Coronazeit dies umzustellen auf EDV wäre der Totalausfall.
    Wer die Umstellung jetzt, während der Arbeit am Limit, fordert hat keine Ahnung von der Arbeit mit neuer EDV. Die vielen EDV-Programme bei den Ämtern ist ein allgemeines Problem, dass auf Bundesebene gelöst werden muss.
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  • J. G.
    Die Digitalisierung wurde ganz einfach verschlafen. Das ist auch der Grund, warum veraltete und unterschiedliche Systeme zum Einsatz kommen. Man hat die Behörden diesbezüglich kaputtgespart. Den Schuh muss sich die Politik anziehen. Hinzu kommt natürlich, dass das Personal auch intensiv geschult werden muss. Bei uns ist SAP im Einsatz. Da macht das Arbeiten Spaß und vor allen Dingen ist das System innerhalb mehreren Anwendungen kompatibel. Das wäre sicherlich auch eine Überlegung wert.
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  • A. H.
    Die Grüne will doch mit ihrer von der MP gepamperten Kritik aus der Ecke der (in Baayern!) Bedeutungslosigkeit herauskommen; sie hat scheints immer noch nocht verarbeitet, dass Aiwanger die Grünen von der Regierungsbeteiligung ferngehalten hat.
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  • N. T.
    Die beste Software ist nur so gut, wie der menschliche Bediener. Bei neuer Software sind erst umfangreiche Schulungen erforderlich, sonst funktioniert es nicht. Gerade dafür dürfte in diesen Zeiten im Gesundheitswesen keine Zeit sein. Ach ja: Die 3 Arten, eine Firma/Behörde zu ruinieren:
    1. Die lustige: Che(in) sucht sich eine(n ) sehr viel jüngeren neuen Partner(in)
    2. Die traurige: Buchhalter verfällt der Trunksucht und
    3. Die sichere: Überstürzte Einführung neuer Software ohne an die Mitarbeiter zu denken.
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  • Veraltete Benutzerkennung
    @peterlesbub: Wenn die korrekte Funktion einer SW von den Nutzeraktionen abhängt, dann wurde schlichtweg vergessen, bei der Implementierung der SW unzulässige oder ungültige Nutzeraktionen zu verhindern. Eine nutzerfreundliche SW bedarf auch keiner langen, zeitaufwändigen Schulungen, sondern kommt mit einer wesentlich weniger zeitaufwändigen Einführung zurecht. Ihre Aussagen teile ich definitiv nicht. Es kommt vor allem darauf an, wie gut eine SW implementiert und in die IT-Umgebung eingebettet ist, wie schnell, effektiv und effizient sie eingesetzt werden kann.
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  • N. T.
    Tja, Theorie und Praxis. Ich habe schon viele Firmen erlebt, bei denen sehr , sehr lange Zeit nichts mehr ging, weil die neue Individualsoftware nicht funktionierte, zumindest nicht für die täglichen Anwender. Und wenn das Wort "Update" auftauchte, die Leute erstmal die Krätze bekamen.
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  • P. K.
    Ich empfehle das hochmoderne SAP zur Verwaltung der Datenflut. Das verwenden wir in der Industrie 4.0
    Zunächst werden die Daten auf Zetteln erzeugt, dann werden sie in SAP eingepflegt und danach mit Abfragen in Excel eingelesen um den Überblick zu behalten. Das alles dauert halt.
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  • K. K.
    Wo waren den die Grünen im März?
    Man hat von ihnen nichts gehört und gesehen.

    Im Fußball gibts beim Nachtreten die rote Karte!
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  • L. W.
    @1958

    Wo waren denn die anderen Oppositionsparteien, alle voran die AfD, im März?

    Das war zunächst die Stunde der Regierung und Administration.

    In dieser Situation handelt eine Oppositionspartei entweder chaotisch wie die AfD oder staatstragend um Unheil von der Bevölkerung abzuwenden.
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  • W. S.
    Und das ganze Trauerspiel, obwohl wir doch so hochkarätige Politiker*innen, wie z. B. Frau Huml und nicht zu vergessen unsere Digitalministerin Frau Bär am Start haben. Wenn man die Berichte in der MP über z. B. GA Bad Neustadt liest, ists eigentlich nur Lobhudelei. Aber als Betroffener kann ich dem nicht zustimmen, gar nicht.
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  • K. S.
    Ich mag die Grünen zwar nicht so besonders aber in diesem Fall kann ich Ihr nur Recht geben. Doch wie wird wieder kleinlich gedacht. Es muss, zumindest, in Deutschland eine einheitlich Software geben damit man auch in den anderen Bundesländern Zugang zu den Daten hat. Was nützt es, jetzt im Coronafall, wenn in Bayern jemand getestet wird und somit registriert und in einem anderen Bundesland lebt (schlimmer noch im europäischen Ausland wohnt). Hier sind wir in Deutschland und Europa der Zeit weit hinten an ! Auch in den Meldeämtern wäre es doch an der Zeit europaweit eine kompatible Software zu verwenden, noch wichtiger in der Verbrechenbekämpfung. Für vieles wird viel Geld ausgegeben, doch für wichtiges "Handwerkszeug" hat man nichts übrig.
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  • U. A.
    Wenn die sogenannten Grünen am Ruder wären
    -Baumtrommeln werden eingeführt (Maultrommeln sind erlaubt)
    -Schriftliche Sachen nur mit Tintenfass und Federkiel
    -Telefon wird abgeschafft
    -zurück ins Mittelalter
    -nur nichtsnutzige Vorschläge
    -die Echten GRÜNEN sind schon gestorben
    -Grüne von nichts Wissen und von dem Viel.
    -unwählbar, der Herr behüte uns.
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  • L. W.
    @ andresu

    Herzlichen Glückwunsch zu Ihrem Vorurteil.

    Sie haben zwar viel Meinung aber sichtbar keine Ahnung.

    In Nürnberg ist das Gesundheitsamt in der Hand einer grünen Referentin und ich weiß aus sicherer Quelle, dass dort die Verfolgung der Corona Infizierten und ihrer Kontaktpersonen mit Hilfe einer guten, von der Stadt N selbst angepassten Datenbank erfolgt.
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  • K. D.
    Das Posting verstößt gegen unsere Netiquette und wurde daher gesperrt.
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