
Vor fünf Jahren sorgte die so genannte Verwandtenaffäre im Bayerischen Landtag für Aufsehen: Über viele Jahre hatten Politiker in ihren Büros Familienangehörige angestellt – finanziert über die Abgeordnetenpauschalen auf Kosten der Steuerzahler. CSU-Fraktionschef Georg Schmid musste zurücktreten. Landtagspräsidentin Barbara Stamm verweigerte die Auskunft, wieviel an beschäftigte Ehegatten oder Verwandte bezahlt wurde. Im konkreten Fall des Bayreuther CSU-Abgeordneten Walter Nadler klagte der damalige Chefredakteur des Nordbayerischen Kuriers Joachim Braun auf Herausgabe der Daten. Nun bekam er in dritter Instanz vor dem Bundesverwaltungsgericht Recht. Wir sprachen mit Braun (52), ab 1. November Chefredakteur der Ostfriesen-Zeitung.
Frage: Herr Braun, Sie haben sich durch drei Instanzen gekämpft. Wie groß ist Ihre Genugtuung nach diesem Erfolg?
Joachim Braun: Genugtuung ist das falsche Wort. Ich wollte einfach ausloten, wie weit das Auskunftsrecht der Presse tatsächlich geht. Wobei ich überzeugt war, dass die Bürger ein Recht haben zu erfahren, wieviel Abgeordnete ihren eigenen Verwandten bezahlt haben – was zwar nicht illegal war, aber auf jeden Fall moralisch anrüchig.
Haben Sie die eingeklagten Informationen mittlerweile erhalten bzw. eingesehen?
Braun: Am Tag nach der Landtagswahl ging das Schreiben bei unseren Anwalt Dr. Weberling ein. Es ist eine Liste mit den Jahresbruttogehältern der letzten 13 Jahre – so, wie wir es angefragt hatten.
Und wieviel hat im konkreten Fall der Abgeordnete Nadler seiner Ehefrau aus Steuergeldern bezahlt?
Braun: Zwischen 15 000 und 30 000 Euro im Jahr – im kompletten angefragten Zeitraum waren es 310 000 Euro.
War das ein besonders gravierender Fall innerhalb der Verwandtenaffäre oder einer von vielen?
Braun: Ich denke, es ist einer von etlichen vergleichbaren Fällen. Aber zu beurteilen ist das nur, wenn man auch die Zahlen weiß. Wir hätten uns den ganzen Gerichtsstress ersparen können, wenn der Abgeordnete Nadler unserem Auskunftsersuchen einfach nachgekommen wäre. Für wirklich moralisch anrüchig halte ich diese Summen nicht – auch wenn der Gesamtbetrag relativ hoch ist. Was die Ehefrau dafür tatsächlich geleistet hat, ist sowieso nicht zu klären.
Geht es also beim Auskunftsanspruch für Journalisten um die Recherche, um das Bewerten – und erst im zweiten Schritt um die Veröffentlichung?
Braun: Das ist genau die Abfolge. Wir Journalisten sind nur die Mittler. Deshalb haben wir den bestätigten Anspruch, solche Zahlen zu bekommen und darüber zu berichten. Mir hat sich nicht erschlossen, warum ich von jedem Schalterangestellten im Landratsamt – über den jährlichen Stellenplan – oder selbst vom Sparkassenvorstand die Jahresgehälter erfahren kann, hier aber nicht. Es geht nicht um voyeuristische Neugier von Journalisten. Diese Zahlen haben öffentlich zu sein, weil es sich um Steuergelder handelt.
Hat das Bundesverwaltungsgericht also dem Auskunftsanspruch der Presse Vorrang vor dem vermeintlichen Persönlichkeitsschutz gegeben?
Braun: Es ging juristisch um die Frage: Wiegt unser Auskunftsanspruch mehr als die Freiheit des Abgeordnetenmandats? Ein Abgeordneter darf mit dem ihm zur Verfügung gestellten Mitteln grundsätzlich machen, was er möchte. Er soll unabhängig sein und darf nicht kontrolliert werden. Der Bayerische Verwaltungsgerichtshof hat gesagt: Der Abgeordnete ist wichtiger. Doch dieses Urteil hat jetzt das Bundesverwaltungsgericht aufgehoben.
Konnten Sie die Bedenken von Landtagspräsidentin Stamm aus deren Sicht nachvollziehen?
Braun: Nein, überhaupt nicht. Das Ganze hatte damals auch eine politische Dimension. Selbst der Rechnungshof hatte die Beschäftigungspraxis scharf kritisiert.
Sehen Sie generell Nachholbedarf in Politik und Behörden, was Auskunftspflicht und Transparenz angeht?
Braun: Es gibt in Teilen der Behörden noch ein hoheitliches Denken. Und Journalisten, die nachfragen, werden grundsätzlich als Störenfriede empfunden. Dass die Auskunftspflicht bei der Verwendung von Steuergeldern relativ weitgehend ist – dieses Wissen ist nicht so weit verbreitet.
Gilt das auch für Journalisten?
Braun: Journalisten geben sich leider häufig damit zufrieden, wenn ihnen Informationen verweigert werden. Ich glaube, das ist das größte Problem. Kollegen pochen nicht genug auf ihr Recht, was ja auch mühsam ist. Es muss auch der eigene Verlag dahinterstehen und bereit sein, vor Gericht zu ziehen und zu riskieren, dass Politiker sauer sind. Wenn das dann aber so sein sollte, hat man es richtig gemacht.
Steckt hinter dem „Mauern“ von Politik oder Behörden mehr Vorsatz oder Unkenntnis der Rechtslage?
Braun: Ich glaube eher Letzteres. Manche Behördensprecher haben auch Angst vor Prügeln aus der Politik, wenn sie zu viel herausgeben.
Wie wichtig ist dieser Auskunftsanspruch für die Freiheit der Presse und ihre Kontrollfunktion?
Braun: Er ist elementar. Wir können nur fundiert berichten und kommentieren, wenn wir genügend Informationen haben. Nicht selten geraten Journalisten ins Spekulieren, weil sie ihnen Informationen vorenthalten werden.
Ist dieses Informationsrecht ein Baustein funktionierender Demokratie?
Braun: Die Grundlagen für das aktuelle Urteil wurden 1948 geschaffen: Schon die Autoren des Grundgesetzes wussten also, wie wichtig Meinungsfreiheit und Auskunftsrechte sind. Für die Demokratie ist das fundamental.
Kann dieses Urteil Signalcharakter für andere Gerichte und Streitfälle haben?
Braun: Ich weiß, dass dieses Verfahren beim Anlaufen für ziemlich viel Unruhe im Landtag und in der Landtagsverwaltung gesorgt hat. Insofern könnte das die wesentlichste Folge des Urteils sein: Landtagsverwaltung und Abgeordnete wissen nun, dass sie sich der Kontrolle durch die Medien nicht entziehen können. Als Urteil eines Bundesgerichts dürfte es auch Anwendung auf andere Landtage und den Bundestag finden.
Und auch auf öffentliche Behörden, die der Auskunftspflicht unterliegen?
Braun: Die werden sich darauf zurückziehen, dass dies ein Sonderfall war. Ich glaube, wir brauchen noch viele andere Verfahren, damit dauerhaft eine andere Haltung entsteht.
Pikant wird die Angelegenheit allerdings, wenn z.B. das Bauamt, dessen Chef Herr Nuß ist, mit Immobilienprojekten der Sparkasse befasst ist. Andernorts wäre von Interessenkonflikten die Rede. Oder es würde der Verdacht auf "Landschaftspflege" entstehen. An verdeckte Korruption denkt natürlich niemand.