Mehr als 800 Kriegs-Flüchtlinge aus der Ukraine sind inzwischen in Stadt und Landkreis Würzburg untergekommen. In einem Akt der Solidarität haben viele Würzburgerinnen und Würzburger privaten Wohnraum zur Verfügung gestellt und Geflüchtete unter ihrem Dach aufgenommen. So auch Claudia und Matthias Görde und ihre fünfjährige Tochter Fanny. Seit Dienstag teilen sie und Hündin Ava ihr Heim im Würzburger Stadtteil Heuchelhof mit der 68-jährigen Valentyna und ihrer 46-jährigen Tochter Masha Stepanenko, zwei geflüchteten Frauen aus der ukrainischen Stadt Charkiw.
"Wir wollten nicht gehen", sagt Valentyna Stepanenko, "an keinem Tag wollte ich unser Land verlassen". Die 68-Jährige Ukrainerin sitzt gemeinsam mit Tochter Masha am Esstisch der Familie Görde. Als sie von dem Moment erzählt, in dem sie aus ihrer Heimat Charkiw fliehen mussten, hat sie Tränen in den Augen. Da sie kein Deutsch oder Englisch spricht, übersetzt Tochter Masha die Worte ihrer Mutter.
Über einen Fluchtkorridor verließen sie die Stadt Charkiw
"Es war hart", sagt Masha Stepanenko, "es gab keinen Strom, kein Wasser, man konnte nicht einkaufen". Neun Tage hätten sie den Beschuss ihrer Heimatstadt ausgehalten, als jedoch die Häuser, in denen sie lebten, getroffen wurden, mussten sie fliehen. "Die Wohnung wurde zerstört", sagt die 46-jährige Ukrainerin, "wir hatten keine Fenster mehr. Auch das Auto wurde getroffen".
Durch einen Fluchtkorridor konnten die beiden Frauen schließlich die Stadt verlassen. Zeit, zu packen, blieb ihnen kaum. "Wir hatten 15 Minuten, um etwas einzupacken und zu gehen", erzählt Masha Stepanenko, "wir hatten nur zwei Möglichkeiten: entweder fliehen oder sterben". Auch ihren Papagei Richi mussten sie zurücklassen. Ein Nachbar, der aufgrund seines 90-jährigen Vaters die Stadt nicht verlassen kann, passt nun auf das Tier auf. Valentynas 25-jähriger Sohn und Mashas 22-jährige Tochter blieben ebenfalls in der Ukraine zurück. Es gehe ihnen aber gut, wissen die beiden Frauen erst seit Kurzem.
Über Polen flohen Mutter und Tochter nach Deutschland. In Mönchengladbach kamen sie zunächst in einem Camp für Geflüchtete aus der Ukraine unter, bevor sie erfuhren, dass Claudia und Matthias Görde sie in ihrem Würzburger Zuhause aufnehmen würden.
Nach der Flucht in Würzburg zur Ruhe kommen
"Ich habe mich gleich am Anfang bei der Stadt Würzburg gemeldet, dass wir bereit wären, Menschen aufzunehmen", sagt Claudia Görde. Über Bekannte und die ehrenamtliche Initiative "Simply Help" aus Kitzingen sei dann der Kontakt zu Valentyna und Masha Stepanenko entstanden. "Es ist so schlimm, was in der Ukraine passiert", sagt Görde, "und wenn Menschen fliehen, brauchen sie doch ein Dach über dem Kopf". Die 47-Jährige arbeitet als freiberufliche Texterin (Fritzi und Lulu-Kinderbücher) und kellnert in einem Restaurant in der Würzburger Innenstadt.
Für die beiden Frauen haben sie und ihr Mann das Büro im Untergeschoss des Hauses freigeräumt. In der kleinen Einliegerwohnung mit eigener Küche und Bad leben Valentyna und Masha Stepanenko jetzt mit Blick auf den Garten. Das gefällt besonders Mutter Valentyna. "Meine Mutter liebt Gartenarbeit", sagt Masha Stepanenko. Bei den Gördes fühlen sich die beiden herzlich aufgenommen. "Wir sind so glücklich, dass wir hier bei der Familie sein dürfen", sagt Masha Stepanenko, "wir sind so müde von dem harten Weg. Hier können wir uns endlich ausruhen".
Für ihre Zeit in Deutschland wünschen sich die beiden, dass sie auch hier ihren Berufen nachgehen dürfen. Valentyna Stepanenko arbeitete in der Ukraine als Sportlehrerin, Masha als Tanzlehrerin. "Ich bin schon mein ganzes Leben lang professionelle Tänzerin und habe an vielen Wettbewerben teilgenommen", sagt die 46-Jährige. "Ich hoffe, dass ich auch hier als Tanzlehrerin arbeiten kann."
Gespräche über Politik vermeidet die Familie
Um ihnen diesen Wunsch zu erfüllen, habe Claudia Görde Kontakt mit einem Sportverein am Heuchelhof aufgenommen. Sobald die Zertifikate der beiden Frauen übersetzt und beglaubigt sind, und ihr Status geklärt ist, könnten sie dort möglicherweise Tanzstunden und Sportkurse geben. "Allerdings ist es momentan gar nicht so leicht, einen ukrainischen Übersetzer zu finden, der die Dokumente beglaubigt", sagt Claudia Görde.
Eine weitere Herausforderung sei die finanzielle Lage der beiden Frauen. Zwar besäßen sie Geld in der ukrainischen Währung Hrywnja, allerdings sei aktuell keine Bank bereit, das Geld einzutauschen, meint Görde. "Aber das ist okay, solange finanzieren wir sie einfach mit."
Gespräche über Politik versuche man in der Familie aktuell allerdings zu vermeiden. Es tue den beiden Frauen gut, nicht noch mehr damit konfrontiert zu werden, als ohnehin schon, meint Görde. Besorgt sei sie hingegen über die Abneigung gegenüber ukrainischen Staatsangehörigen, die sie bei einigen Menschen am Heuchelhof wahrnehme. "Die Stimmung ist umgeschlagen", sagt sie, "aber diesen Konflikt will ich nicht hier ins Haus tragen. Damit werden sie noch früh genug konfrontiert, fürchte ich".
Wochen-Tagebuch: Claudia Görde, ihr Mann Matthias mit Tochter Fanny und Hund Ava haben derzeit Valentyna und Masha Stepanenko aus Charkiw zu Gast. Die beiden sind vor dem Krieg in ihrem Heimatland Ukraine geflohen und haben eine vorübergehende Heimat bei den Gördes gefunden. Sie kannten sich vorher nicht. Claudia Görde, Autorin der Kinderbücher "Fritzi und Lulu", wird unseren Leserinnen und Lesern immer samstags berichten, wie es der Familie und ihre Gästen in der Woche ergangen ist.