
Die Nachricht kam überraschend: Das Bayerische Rote Kreuz (BRK) schließt seine Beratungsstellen des Sozialpsychiatrischen Dienstes (SpDi) in Würzburg, Ochsenfurt und Kitzingen zum Jahresende. Der Grund? Ein "finanzielles Defizit im mittleren fünfstelligen Bereich", sagt Oliver Pilz, Kreisverbands-Geschäftsführer des BRK.
Im vergangenen Jahr nutzten in Unterfranken insgesamt rund 5000 Menschen das Angebot des Sozialpsychiatrischen Dienstes. Dies ergabe eine Anfrage dieser Redaktion bei den fünf Trägern, die in Unterfranken die sozialpsychiatrischen Beratungsstellen unterhalten: neben dem BRK die Arbeiterwohlfahrt (AWO), das Erthal-Sozialwerk, das Diakonische Werk und die Caritas.
Was die Beratung bedeutet, schildert einer von den vielen, die Unterstützung suchten. Er habe nach einem Verkehrsunfall alles verloren: seine Familie, seinen Job, beinahe auch sein Zuhause. "Ich lag nur noch im Bett", berichtet der Unterfranke, dessen Namen hier aus Schutzgründen nicht genannt wird. Er habe unter Depressionen gelitten - und Hilfe gefunden beim Sozialpsychiatrischen Dienst. "Innerhalb von zwei Wochen hatte ich meinen ersten Termin für ein Beratungsgespräch."
Jetzt stehe er wieder im Leben, sagt er im Gespräch mit der Redaktion. Das Aus für die Beratungsstellen schockiert ihn: "Wo sollen Menschen in Not jetzt hingehen?"
Therapieplätze für Menschen in psychischen Krisen sind in der Region knapp
Diese Frage stellen sich auch andere. Denn Unterstützung für Menschen in seelischen Krisen und mit psychischen Erkrankungen ist rar. Therapieplätze? Schwer zu bekommen. Wartezeiten? Schier endlos.
Eine aktuelle Analyse der Krankenkassen und der Kassenärztlichen Vereinigung Bayerns (KVB) zeigt: Die Wartezeiten für Patientinnen und Patienten stieg in den vergangenen Jahren in fast allen Regionen Bayerns deutlich, gleichzeitig nahm die Zahl der Behandelten zu. Die sozialpsychiatrischen Dienste sind oft die letzte Hoffnung für Betroffene, niedrigschwellig, schnell und kompetent Hilfe zu bekommen.
Sämtliche Träger in Unterfranken berichten von Defiziten bei Beratungsstellen
Die Bezirke fördern die SpDi-Beratungsstellen bayernweit einheitlich mit Personal- und Sachkostenpauschalen. Allerdings nur freiwillig. Daraus ergebe sich "ein strukturelles Defizit", heißt es beim AWO-Bezirksverband Unterfranken. Die Beratungsstellen müssten "als fester Bestandteil der sozialen Daseinsvorsorge abgesichert werden", sagt AWO-Geschäftsführer Martin Ulses.
Auch Svenja Hartmann, Sprecherin des Diakonischen Werks Schweinfurt, nennt den aktuellen Zustand "unhaltbar". Solange die Beratungsstellen keine Pflichtleistungen seien, blieben sie "ständig unterfinanziert und gefährdet".
Die Deckungslücke beim Diakonischen Werk Schweinfurt: 20.000 bis 25.000 Euro pro Jahr. Ähnlich wie beim Caritasverband Haßberge 2024. Das Erthal-Sozialwerk mit Beratungsstellen in Würzburg, Marktheidenfeld und Gemünden (Lkr. Main-Spessart) beziffert das Defizit in 2024 sogar auf rund 82.000 Euro.
Obwohl für sämtliche befragten Träger von SpDi in Unterfranken die Beratungsstellen ein Draufleggeschäft sind, halten sie daran fest - mit Ausnahme des BRK-Kreisverbandes Würzburg. "Wir setzen alles daran, diese Angebote aufrechtzuerhalten, auch wenn sie nicht kostendeckend sind", betont Stefan Wolfshörndl vom Vorstand des AWO-Bezirksverbandes. Beim Erthal-Sozialwerk heißt es: "Wir wollen dieser gesellschaftlichen Aufgabe unbedingt weiter nachkommen - wir müssen dafür aber auch entsprechend ausgestattet werden."
Dominoeffekt befürchtet: Mehr Krisen und höher gesellschaftliche Risiken
Die Träger warnen vor einem Dominoeffekt: Weniger Beratung heißt im Zweifel mehr Krisen. Mehr Krisen bedeuten mehr Klinikeinweisungen. Mehr Einweisungen überlasten das System. Am Ende würden alle leiden: Patienten, Angehörige, das Gesundheitssystem.
Rund 70 Ärztinnen und Ärzte sowie Psychotherapeutinnen und Psychotherapeuten aus der Region haben deshalb Alarm geschlagen. In einem offenen Brief an Würzburgs Landrat Thomas Eberth (CSU) und die Kitzinger Landrätin Tamara Bischof (Freie Wähler) warnten sie vor der Schließung der BRK-Beratungsstellen. Ohne schnelle Hilfe verschlimmerten sich psychische Krisen. Kleine Probleme können groß werden. Aus Depressionen können Suizidgedanken resultieren, Ängste können zu Arbeitsunfähigkeit führen.
"Ohne die Beratung wäre ich heute nicht hier", sagt der Mann, der selbst Hilfe suchte und fand. Er befürchtet, dass viele Menschen in Not bald vor verschlossenen Türen stehen. Und er sagt: "Jeder kann in eine Krise geraten. Wir brauchen ein Netz, das uns auffängt."
Im Ministerium und im Landtag in München kommt der politische Druck an
Gibt es eine Kehrtwende? Dank politischem Druck? Am 9. April sei eine Videokonferenz mit dem Gesundheitsministerium in München geplant, teilt der BRK-Kreisverband Würzburg mit.
Der SPD-Abgeordnete Volkmar Halbleib aus Ochsenfurt, Vorstandsmitglied im BRK-Kreisverband Würzburg, hat das Thema über seine Fraktion im Landtag eingebracht. In ihrem Antrag fordert die SPD die Staatsregierung auf, für eine kurzfristige Sicherung der SpDi-Beratungsstellen zu sorgen - und langfristig eine stabile Finanzierung. Die Bezirke müssten so ausgestattet, die Aufgaben so zugeordnet werden, dass gesetzlich vorgesehene psychiatrische Versorgung sichergestellt werden kann. Und zwar ohne, dass gemeinnützige Träger höhere Beträge zahlen müssen und damit selbst in Schwierigkeiten kommen.
Hier könnte sich der Herr politische Landrat mal stark machen und Leuten "auf die Schulter klopfen", immerhin geht es hier auch um "Arbeitsplätze"....