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Würzburg/Kitzingen
Minusgeschäft und Aus für drei sozialpsychiatrische Beratungsstellen des BRK Würzburg: "Faustschlag ins Gesicht"
Wegen eines hohen Defizits stellt das Rote Kreuz Würzburg Hilfe für Menschen in psychischer Not ein. Wie die Verantwortlichen argumentieren und was Mitarbeitende irritiert. 
Oliver Pilz ist Geschäftsführer des BRK-Kreisverbandes Würzburg und sagt: 'Wenn wir jetzt nicht anfangen, Kosten zu sparen, müssen wir irgendwann noch mehr Dienste einstellen.'
Foto: Daniel Peter | Oliver Pilz ist Geschäftsführer des BRK-Kreisverbandes Würzburg und sagt: "Wenn wir jetzt nicht anfangen, Kosten zu sparen, müssen wir irgendwann noch mehr Dienste einstellen."
Bassel Matar
 und  Natalie Greß
 |  aktualisiert: 01.03.2025 02:49 Uhr

"Eine Katastrophe!!!" So kommentierte eine Nutzerin auf dem Instagram-Kanal dieser Redaktion diese Nachricht: Der Kreisverband Würzburg des Bayerischen Roten Kreuzes (BRK) schließt zum Jahresende seine drei Beratungsstellen des Sozialpsychiatrischen Dienstes (SpDi) in Würzburg, Kitzingen und Ochsenfurt. Der Grund: Sie sind ein Minusgeschäft. 13 Angestellte verlieren wohl ihre Jobs.

"Als Faustschlag ins Gesicht" empfinde sie die Entscheidung, schrieb die Frau, die sich in ihrem Kommentar "Suizid-Hinterbliebene" nennt. Der Dienst habe ihr sehr geholfen: "Ohne diese Hilfe wäre ich vermutlich selbst nicht mehr am Leben!"

Nicht nur Menschen mit psychischen Erkrankungen und in seelischen Krisen erhalten beim Sozialpsychiatrischen Dienstes des BRK niederschwellige Beratung. Auch ihre Angehörigen werden von psychologischen und sozialpädagogischen Fachkräften unterstützt. Im vergangenen Jahr profitierten davon 681 Betroffene sowie 101 Angehörige. 

Kritik am geplanten Aus der drei Beratungsstellen übt auch ein Leser aus Veitshöchheim: "Es wäre geradezu absurd, wenn dies zu einer Zeit passiert, in der deutlich wird, dass wir tatsächlich mehr statt weniger niederschwellige Anlaufstellen brauchen", schreibt er in einem Brief an diese Redaktion. Und verweist auf eine Aussage von Prof. Dominikus Bönsch nach dem Messerangriff in Aschaffenburg. Der Ärztliche Direktor des Bezirkskrankenhauses Lohr hatte gefordert: "Wir bräuchten einen Ausbau der Sozialpsychiatrischen Dienste."

Förderung von Beratungsstellen ist eine freiwillige Leistung des Bezirks 

Die Sozialpsychiatrischen Dienste werden in Bayern von Freien Wohlfahrtsverbänden betrieben. In Unterfranken gibt es insgesamt elf SpDi unterschiedlicher Träger gemeinnütiger sozialer Arbeit. Gefördert werden sie nach einer bayernweit einheitlichen Richtlinie von den Bezirken. Teile der Förderung, wie etwa Betreutes Wohnen und Tageszentren, sind gesetzliche Pflichtleistungen. Die Förderung von Beratungsstellen dagegen ist eine freiwillige Leistung.

Wie wichtig diese seien, hatte der unterfränkische Bezirkstagspräsident Stefan Funk erst bei einem Pressegespräch des Krisennetzwerks Unterfranken im November betont. Gerade der Bedarf an niederschwelligen Hilfsangeboten für Menschen mit psychischen Problemen werde "in Zukunft noch deutlich zunehmen" in dieser "völlig verrückten Welt", prognostizierte Funk. Gleichwohl räumte er damals ein, dass die Finanzierung solcher Angebote immer herausfordernder werde. 

Den Sozialpsychiatrischen Dienst des BRK-Kreisverbands Würzburg förderte der Bezirk Unterfranken im vergangenen Jahr mit rund 672.000 Euro, für dieses Jahr sind zirka 674.000 Euro vorgesehen.

Mit den Pauschalen seien die Kosten schon jahrzehntelang nicht gedeckt, heißt es beim BRK-Kreisverband. Geschäftsführer Oliver Pilz verweist auf ein "Defizit in mittlerer fünfstelliger Höhe" allein für Personal- und Sachkosten der drei Beratungsstellen. Insgesamt verzeichne man ein Minus "von 400.000 bis 500.000 Euro".   

Vorsitzender Eberth: Eigenfinanzierung der BRK-Dienste wird immer schwieriger

Solche Summen aus Eigenmitteln aufzubringen, werde für einen Kreisverband angesichts schrumpfender Spenden und schwindenden Ehrenamts immer schwieriger, sagt der ehrenamtliche Vorsitzende, Würzburgs Landrat Thomas Eberth (CSU).  

"Wir haben intensiv abgewägt: Welche Leistung ist nicht ganz so schmerzlich streichbar und hat nicht so dramatische Auswirkungen, wie sie beispielsweise die Schließung eines ambulanten Dienstes, der Tagespflege oder eines Seniorenheims hätte?", erklärt der Vorsitzende des Kreisvorstands. Einen solchen Großbereich einzustellen, "würde unserem Defizit zwar guttun, aber dann wäre die Frage: Wie viel Menschlichkeit haben wir dann noch, und wie viel Menschlichkeit können wir als BRK außerhalb unseres Rettungsdienstes noch an den Tag legen?"

Würzburgs Landrat Thomas Eberth ist ehrenamtlicher Vorsitzender des BRK-Kreisvorstands Würzburg.
Foto: Daniel Peter | Würzburgs Landrat Thomas Eberth ist ehrenamtlicher Vorsitzender des BRK-Kreisvorstands Würzburg.

So sei die Schließung der Beratungsstellen "mehr noch im ländlichen Raum von Ochsenfurt und Kitzingen als in der Stadt Würzburg", wo es andere Angebote gebe, "keine schöne Entscheidung, aber finanziell notwendig". BRK-Kreisverbandsgeschäftsführer Oliver Pilz macht klar: "Wenn wir jetzt nicht anfangen, Kosten zu sparen, müssen wir irgendwann noch mehr Dienste einstellen."

Interne Irritationen über neue Dienstautos der Geschäftsführer

Intern sorgt derweil für Gesprächsstoff, dass Pilz und sein Stellvertreter Stefan Dietz trotz des Sparkurses mit neuen Dienstautos fahren und an neuen Schreibtischen arbeiten. Pilz wirkt irritiert auf die Nachfrage: "Ich fahre dienstlich ungefähr 50.000 Kilometer im Jahr. Da braucht's halt auch mal ein neues Auto." Ebenso wie neue Büroausstattung, "wenn der Schreibtisch 30 Jahre alt ist". Man habe darauf geachtet, "sorgsam mit den Kosten umzugehen". So seien beide Dienstwagen geleast.

Pilz räumt ein: "Persönlich kann ich nachvollziehen, dass das nicht gut ankommt", wenn Menschen ihre Jobs verlieren. Er betont aber auch: "Wir leben nicht über unsere Verhältnisse."

Bezirk Unterfranken will neuen Träger für die Beratungen suchen

Während das Aus der Beratungsstellen beim BRK beschlossene Sache ist, hat der Bezirk angekündigt, mit anderen Trägern Gespräche führen zu wollen, "um eine Fortführung beziehungsweise Übernahme der Beratungen im sozialpsychiatrischen Bereich zu erreichen".

Eberth wirft bereits einen Blick in die weitere Zukunft: Um das Sozialsystem aufrechterhalten zu können, müssten Träger ihre Leistungen bündeln und sich womöglich spezialisieren. "Das wird ein Riesenthema und gesellschaftlich eine wahnsinnige Herausforderung." Laut einer im Oktober 2024 präsentierten Umfrage der Bundesarbeitsgemeinschaft der Freien Wohlfahrtspflege mussten bereits zwei Drittel der Einrichtungen in Bayern aufgrund finanzieller Schwierigkeiten ihre Angebote einschränken oder einstellen. 

 
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  • Martin Deeg
    Die Kosten, die hier kurzfristig "eingespart" werden, werden durch Folgekosten potenziert auf den Steuerzahler zurückkommen.....

    Man könnte - dem Beispiel hier folgend- nach der gleichen Logik bei der Polizei versuchen, Personalkosten "einzusparen" - die Folge wäre weniger Kriminalität und damit ein deutliches Plus an "Sicherheit"....

    So jedenfalls die "Rechnung" der CSU-Verantwortlichen hier.
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  • Natalie Greß
    Sehr geehrte Frau Engert,

    das Gesamtminus von 400.000 bis 500.000 Euro bezieht sich auf die Summe der Defizite in allen Diensten, Leistungen unf Einrichtungen, die der BRK-Kreisverband Würzburg anbietet. Das Minus im mittleren fünfstelligen Betrag betrifft wie genannt nur die Beratungsstellen des SpDi.

    Mit freundlichen Grüßen,
    Natalie Greß, Redakteurin
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  • Hans-Martin Hoffmann
    Eins ist sicher -

    die Krokodilstränen der politischen Elite angesichts des nächsten Attentates, begangen von einer Person in einer psychischen Ausnahmesituation... blöde Frage: inwieweit hilft "Grenzen dicht!", wenn es sich dabei um "jemanden von uns" handeln sollte?
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  • Georg Ries
    Wer sollte denn das Defizit tragen Herr Hoffmann??? Das DRK ist dazu sicher nicht auf Dauer in der Lage!!
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  • Hans-Martin Hoffmann
    Habe ich auch nicht gemeint - @ Georg Ries -

    dem Artikel habe ich entnommen, dass die Gelder bislang vom Bezirk kamen, der aber "jetzt sparen muss", und wenn man dem weiter nachgehen würde, käme wahrscheinlich wieder eine Schwarze-Peter-Schieberei über zusammengestrichene Landesmittel bis zur Mittelkürzung durch den Bund heraus. Und genau diese "Hohen Herrschaften" stellen sich vmtl. auch beim nächsten Attentat wieder hin und verlautbaren: "jetzt reichts aber!"

    Es ist ja bei der psychotherapeutischen Beratung jetzt schon ein Problem, einen Termin zu bekommen, und dann auch noch die Finanzierung der so genannten niederschwelligen Angebote zu beenden ist mMn end-kontraproduktiv.

    Den Trägern der Beratungsstellen spreche ich meine Anerkennung für die geleistete Arbeit aus und würde mir wünschen, auch die "Große Politik" sähe das so und zöge die notwendigen Konsequenzen!!
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  • Georg Ries
    Besten Dank für Ihre Erklärung 👍
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  • Irmgard Engert
    „Defizit in mittlerer fünfstelliger Höhe" allein für Personal- und Sachkosten der drei Beratungsstellen. Insgesamt verzeichne man ein Minus "von 400.000 bis 500.000 Euro"
    Was jetzt?
    Fünfstellig - dann wären es 40.000-50.000€ - oder die genannten 400.000 bis 500.000 - dann ist es ein mittlerer sechsstelliger Betrag?
    Was stimmt denn nun?
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  • Georg Ries
    In der Tat etwas missverständlich formuliert! Handelt es sich un das Jahresdefizit für alle Leistungen des Kreisverbandes oder kummuliert über die Jahre für den psych. Dienst?
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