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Würzburg
Eine Psychologin erklärt: Diese Probleme belasten Familien in Unterfranken derzeit am meisten
Erst Corona, jetzt Krieg und steigende Preise: Viele Eltern sind ausgebrannt, Kinder verunsichert. Wie es den Familien in der Region geht und wo sie Hilfe finden.
Die Psychiologin Verena Delle Donne ist Leiterin der Erziehungs- und Familienberatung im Sozialdienst katholischer Frauen (SkF) in Würzburg.
Foto: Thomas Obermeier | Die Psychiologin Verena Delle Donne ist Leiterin der Erziehungs- und Familienberatung im Sozialdienst katholischer Frauen (SkF) in Würzburg.
Claudia Kneifel
 |  aktualisiert: 08.02.2024 10:31 Uhr

Die Corona-Pandemie, der Ukraine-Krieg und die steigenden Preise durch die Energiekrise setzen Familien mehr als zuvor unter Druck. Hinzu kommt noch die Unsicherheit, wie es im Herbst mit Corona und der Schule weitergeht. "Viele Eltern sind müde und ausgebrannt", sagt Verena Delle Donne, Leiterin der Erziehungs- und Familienberatung im Sozialdienst katholischer Frauen (SkF) in Würzburg. "Immer mehr Familien suchen Hilfe bei Beratungsstellen", berichtet die Diplom-Psychologin und Familientherapeutin im Interview.

Frage: Welche Themen belasten Familien derzeit am meisten?

Verena Delle Donne: Die Corona-Pandemie mit ihren Risiken, Ängsten und Beschränkungen hat Familien vor große Herausforderungen gestellt und das Familienleben sehr belastet. Viele Eltern berichten, dass ihr Nachwuchs seit Beginn von Corona reizbarer und aggressiver geworden ist und dadurch auch die schulischen Probleme zugenommen hätten. Viele Kinder hatten viel mehr Medienzeit, sie haben sich weniger mit Freunden getroffen und sie haben sich weniger bewegt als vor der Pandemie. Eine sehr große Schwierigkeit war der Wegfall von Betreuungsstrukturen, verbunden mit dem Irrglauben, dass Homeoffice und Homeschooling vereinbar sind.

Haben Familien in Krisenzeiten auch mehr Probleme?

Delle Donne: Wir - und auch alle anderen Beratungsstellen - haben deutlich mehr Anfragen als vor der Pandemie. Und wir haben mehr schwerwiegende Fälle. Mit dem Krieg in der Ukraine, der Energiekrise und der Inflation sind weitere schwere Themen hinzugekommen, die bei vielen Kindern und Eltern Sorgen und Ängste auslösen.

Welche Ängste sind das?

Delle Donne: Wir spüren bei den Familien eine allgemeine Unsicherheit. Die Familien wissen nicht, wie es im Herbst mit der Schule weitergeht, ob Unterricht stattfindet oder ein neuer Lockdown kommt. Hinzu kommen finanzielle Ängste, die belasten. Werde ich meinen Job behalten? Werden wir die Gasrechnung bezahlen können? Die meisten Familien fühlten sich in der Pandemie allein gelassen. Auch gut funktionierende Familien haben nicht die Kraft, einen erneuten Lockdown mitzumachen. Ein weiteres Problem ist, dass Familien keine Lobby haben.

Wie geht es den Kindern in Krisenzeiten?

Delle Donne: Wir bemerken, dass die Schulschließungen etwas mit den Kindern machen. Denn nicht nur durch Corona, sondern auch durch den großen Personalmangel an den Schulen ist vielerorts der Unterricht auch im Sommer immer wieder ausgefallen. Das war früher undenkbar. Schule ist heute nichts mehr Verlässliches. Von heute auf morgen werden Stunden oder sogar  ganze Tag abgesagt. Das setzt sowohl Eltern als auch Kinder unter Druck.

Was könnte die Politik im Herbst besser machen?

Delle Donne: Wir Erwachsene haben immer viel auf die Kinder abgewälzt. Viele Einschränkungen begannen in den Schulen, zum Beispiel die Maskenpflicht oder das tägliche Testen. Meiner Ansicht nach wäre es stimmiger, wenn zuerst die Erwachsenen solche Vorgaben erfüllen, sich selbst täglich testen und eine Maske tragen - und dann die Kinder. Auch für den Online-Unterricht sollte jede Schule bis zum Herbst ein Konzept haben. Einfach Arbeitsblätter an die Kinder zu verteilen, ersetzt nicht den Unterricht.

Bei welchen Problemen wenden sich Familien an eine Beratungsstelle?

Delle Donne: Viele Familien wollen sich erst mal nicht eingestehen, dass sie ein Problem haben. Das liegt auch an unserer Gesellschaft: Wir müssen offener über Erziehungs- und Familienprobleme und über psychische Erkrankungen sprechen. Jede Familie denkt erst mal, das sie die Einzige ist, die solche Probleme hat. Wir versuchen viel Öffentlichkeitsarbeit zu machen und auch Lehrerinnen und Lehrer zu schulen, dass sie Familien in die Beratungsstellen schicken.

Um welche Probleme geht es dann?

Delle Donne: Wir beraten sehr breit bei allen Themen rund um das Familienleben. Es kann um Streitthemen zwischen den Eltern, Sorgen bezüglich der Entwicklung eines Kindes oder beispielsweise Schwierigkeiten im Kindergarten gehen. Ein komplexes Thema sind unerkannte psychische Erkrankungen, sowohl bei den Kindern als auch bei den Eltern. Es gibt Eltern, die eine psychische Erkrankung haben, aber noch keine Diagnose. Viele kommen mehr oder weniger gut durchs Leben. Erst wenn sie Familie und Kinder haben, bemerken sie, dass etwas nicht stimmt.

Welche Erkrankungen sind das?

Delle Donne: Sehr häufig handelt es sich um eine Depression. Jede vierte Frau in Deutschland hat in ihrem Leben einmal mit einer Depression zu kämpfen. Das wirbelt den Alltag komplett durcheinander und kann für die Kinder zu einer extremen Belastung werden. Eine Mutter mit Depression kann zum Beispiel nicht immer mir ihrer Aufmerksamkeit beim Kind sein. Es kann sein, dass sie es nicht schafft, ein Pausenbrot zu machen. Auch die Emotionalität fehlt dann oft. Aber auch Angst- und Zwangserkrankungen sowie Persönlichkeitsstörungen und Schizophrenie kommen bei Erwachsenen vor.

Welche psychischen Erkrankungen kommen bei Kindern häufig vor?

Delle Donne: Psychische Erkrankungen bei Kindern sind gar nicht so selten. Untersuchungen zufolge sind gut 17 Prozent der Drei- bis 17-Jährigen psychisch auffällig. Jungen sind dabei häufiger betroffen als Mädchen. Die Haupterkrankungen sind ADHS, ADS (Hyperaktivität) Depressionen, Angst- und Essstörungen - und einfach die komplette Palette an psychischen Erkrankungen. Kinder von Eltern mit einer psychischen Erkrankung haben ein erhöhtes Risiko, ebenfalls psychisch krank zu werden oder in anderer Weise psychisch auffällig und sozial benachteiligt zu werden.

Wie erkennen Sie in der Beratung, dass etwas nicht stimmt?

Delle Donne: Oft kommen verschiedene Faktoren zusammen. Es kann auch sein, dass ein Kind in einer schwierigen Situation lebt, zum Beispiel mit psychisch erkrankten Eltern, aber es dem Kind trotzdem gut geht. Es kann aber auch sein, dass sich das Kind immer weiter zurückzieht. Wir schauen in der Beratung breit auf das Leben des Kindes, wir sehen uns alle Facetten an und ermitteln den Hilfebedarf. Dabei werben wir immer wieder auch für die Zusammenarbeit mit dem Jugendamt, das den Zugang zu intensiveren Hilfen hat.

Wie lange dauert eine Beratung?

Delle Donne: Das ist sehr unterschiedlich von Fall zu Fall. Bei manchen Problemen geht es sehr schnell und es genügen ein paar Gespräche. Andere Familien begleiten wir auch über Jahre.

Hier finden Familien Hilfe

Erziehungs- und Familienberatungsstellen gibt es in allen Städten und Landkreisen. Eine Familienberatung soll in erster Linie dabei helfen, dass die einzelnen Familienmitglieder wieder zusammenfinden. Dazu findet zunächst ein Erstgespräch statt, in dem die Streitigkeiten und Probleme im Groben angesprochen werden. Daraufhin versuchen die Berater zusammen mit der Familie eine Lösung zu finden. Die Familien erhalten durchschnittlich nach zwei bis vier Wochen einen Termin für ein Erstgespräch. In Krisensituationen werden auch Soforttermine ermöglichst.
Die Beratung ist kostenfrei und vertraulich. Es können sich Eltern, Kinder, Jugendliche und Fachkräfte an die Beratungsstelle wenden.
Kontakt: Erziehungs- und Familienberatung im SkF, Frankfurter Straße 24, 97082 Würzburg, Telefon: 0931/41904-61, E-Mail: eb@skf-wue.de, www.eb.skf-wue.de
Quelle: clk
 
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  • S. K.
    ich kenne Familien, da ist es auch Corona "schwierig" Zuhause..
    da nerven die Kinder nur ...weil sie nicht ausgelastet sind...
    man müsste sich ja um den Nachwuchs kümmern.
    ist auch schwierig wenn man kurz vor der 4 das erste "Wunschkind" bekommt
    und dann keine Nerven für dieses hat..
    das hat die Natur schon so eingerichtet
    das man Kinder in jungen Jahren bekommt...
    mittlerweile frage ich mich..warum manche überhaupt Kinder bekommen!

    so mal schauen..ob ich "nett" genug war
    oder ob ich wieder ne nette mail bekomme grinsen
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  • R. E.
    Aus meiner Sicht wichtig, dieses Thema - psychische Probleme in der Familie, aber auch allgemein - zu präsentieren. Denn: es wird immer wieder von Politikerinnen und Politikern mit symptombezogenen Maßnahmen versucht, den materiellen Schaden in Sachen Energie, Inflation, Pandemie etc. zu begrenzen. Die immateriellen Schäden genießen dort weit weniger Interesse. Das ist ebenso erklärlich (weil schwieriger zu handhaben) wie gefährlich. Denn letztlich fallen uns beide Seiten - Materielle wie Immaterielle - auf die Füße.
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  • M. E.
    "Welche Probleme belasten unterfränkische Familien".... Ich schweife mal etwas ab, was jedoch auch zur großen Belastung hier in Ufr führt: Beim Vergleich der Dieselpreise stellte ich die letzten Tage fest, daß ich in Berlin 20 bis 25 Cent/Liter WENIGER bezahlen muß als hier im Raum SW/WÜ. Mit was ist denn diese Ungerechtigkeit/Unverschämtheit zu begründen!? Offensichtlich machen die Ölmultis in unserer Hauptstadt weniger Umsatz, weil dort sehr sehr viele Menschen ihren Pkw stehen lassen können und nicht tanken müssen! Anders als hier auf dem Land.Auch mit unseren Steuergeldern werden und wurden die Öffentlichen Verkehrsmittel dort in den Zentren superausgebaut, die wir hier nicht haben und niemals haben werden! Das geht hier unseren Leuten/Eltern "auf die Nerven"!! Alles andere kommt ja noch dazu! Vergleich ist möglich über "Clever Tanken". Liebe MP, Haben Sie ne Begründung?
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  • R. E.
    Der hohe Dieselpreis in Unterfranken gegenüber Berlin ist ebenso ärgerlich wie unwahrscheinlich die primäre Grundlage für die Probleme bei Kindern und deren Familien. UND: ich weiß nicht, was die Mainpost-Redakteurinnen und - Redakteure meinen. Ich meine, dass diese Preisunterschiede schlicht dem Oligopolmarkt Benzin/Diesel geschuldet sind. Die Mineralölmultis machen schon lange, was möglich ist - und hier wohl in Berlin weniger (insofern stimmt Ihr Vergleich natürlich).
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  • G. B.
    Man kann Familien, die Schwierigkeiten mit Erziehung oder Psyche haben, Hilfe zu holen. Die Erziehungsberatungsstellen, aber auch einfach mal der Hausarzt (bei Überforderung oä.) sind sicherlich gute und verständnisvolle Ansprechpartner.
    Im Kollegen- und Freundeskreis ist das Thema Überforderung leider immer noch tabu.
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