Kitas haben einen Bildungs- und Förderauftrag. Hier sollen die Kleinsten zu "selbstbestimmten, eigenverantwortlichen und gemeinschaftsfähigen Persönlichkeiten" werden, so steht es im Sozialgesetzbuch. Gleichzeitig stecken Deutschlands Kitas in der Krise, Personal fehlt an allen Ecken, oft fällt die Betreuung ganz aus. Was bedeutet das für die betreuten Kinder? Verena Delle Donne, Psychologin und Leiterin der Erziehungs- und Familienberatung beim Sozialdienst katholischer Frauen e. V. (SkF) in Würzburg erklärt, welche Folgen der Personalmangel haben kann.
Verena Delle Donne: Eigentlich ist die Kita ein Ort, an dem es vor allem ums soziale Lernen geht. Nach unseren Erfahrungen und den Rückmeldungen der Eltern könnte es jedoch wesentlich besser sein. Auch wenn es natürlich Länder gibt - vor allem außerhalb Europas - in denen die Zustände noch weitaus schlechter sind. Ich glaube aber schon, dass der Bildungsauftrag an manchen Stellen bedingt durch den Fachkräftemangel gerade nicht ausreichend umgesetzt werden kann.
Delle Donne: Wichtig ist zu verstehen, dass wir Menschen im Prinzip als soziale Tiere in Gruppen lernen. Jeden Entwicklungsschritt gehen Kinder in einer Gruppe mit anderen Kindern - aber eben begleitet von Erwachsenen. Früher war das die Großfamilie, in der viele Kinder gemeinsam mit vielen Erwachsenen lebten. In Gruppen findet "soziales Lernen" statt, was übrigens auch in der Schule der wichtigere Aspekt ist als die reine Vermittlung der Inhalte. Es geht etwa darum, Probleme zu lösen, Frustration auszuhalten oder Kompromisse zu finden, ohne sich die Köpfe einzuschlagen. Und das lernen Kinder, wenn Erwachsene diesen Weg mit ihnen gehen, ihnen zur Seite stehen, sie begleiten - und zwar in familienähnlichen Strukturen. Heute bilden Kitas im Idealfall diese Familienverbände ab. Um als Bildungseinrichtung zu funktionieren, braucht es also kleine Gruppen mit ausreichend Bezugspersonen, die konstant da sind.
Delle Donne: Das bekommen wir auch im Rahmen unserer Beratungstätigkeiten mit. Es läuft an vielen Stellen nur noch eine Minimalversorgung: Wenn eine Person alleine mit 25 Kindern ist, kann sie nicht pädagogisch arbeiten, sondern nur noch aufpassen, dass sich keiner verletzt. Das ist noch nicht flächendeckend so - aber es hat zugenommen. Ich spreche immer öfter mit Leitungen, die nicht mehr wissen, wie sie den Betrieb noch aufrecht halten sollen.
Delle Donne: Das kann schon bei der Eingewöhnung im Krippenalter losgehen. Wenn die wegen Personalmangel zu schnell gehen muss, kann es sein, dass das Kind kein richtiges Vertrauen fasst. Statt "Ich bin hier sicher" verankert sich "Betreuung durch andere ist für mich etwas Negatives". Später ist es auch für größere Kinder schwer, wenn die Bezugsperson zu oft wechselt. Leider ist das gerade bei wenig Personal, vielen Krankheitsausfällen und häufigen Arbeitsplatzwechseln der Fachkräfte an der Tagesordnung. Es kann auch sein, dass Kinder in einer Gruppe sind, in der das Personal so überarbeitet ist, dass der Umgangston zu ruppig wird oder pädagogische Methoden zu Tage kommen, die nicht mehr zeitgemäß sind.
Delle Donne: Ja. Das passiert zwar nicht flächendeckend und ist nie die böse Absicht einer Fachkraft, aber es kommt vor.
Delle Donne: Kinderschutz heißt, dass wir genug Augen und Hände haben. Augen, um hinzusehen, wenn uns das Verhalten eines Kindes, von Eltern oder eben von Kollegen irritiert. Und Hände, um die Arbeit stemmen zu können und uns zu unterstützen - auch, wenn ein Kollege, eine Kollegin so überarbeitet ist, dass er oder sie nicht mehr kann. Wenn wir aber nur noch eine Minimalversorgung haben, ist genau das nicht mehr gewährleistet. Das Thema Kinderschutz ist ohnehin kein leichtes und oft mit Ängsten verbunden, wenn man etwa den Verdacht hegt, dass sich jemand aus dem Team nicht einwandfrei verhält. Wenn die Arbeitsbelastung zu hoch ist, kann es sein, dass so ein Verhalten länger nicht auffällt oder ein so unangenehmen Thema erst einmal weggeschoben wird, damit der Rest der Arbeit irgendwie zu schaffen ist.
Delle Donne: Erzieher und Erzieherinnen haben schon von Haus aus einen sehr anstrengenden Job. Gerade während der Corona-Zeit haben sie wahnsinnig viel geleistet. Während die meisten sich schützen konnten, hatten sie die Jüngsten auf dem Arm und haben einfach weiter gearbeitet. Der Beruf erfährt viel zu wenig Anerkennung, gleichzeitig ist der Druck hoch. Jede Erzieherin weiß, dass der Laden zusammenbricht, wenn sie ausfällt und die Eltern der Kinder nicht arbeiten gehen können. Dazu kommt, dass es wahnsinnig erschöpfend ist, wenn eine Fachkraft zwar ihr ganzes Wissen, ihre Konzepte im Kopf hat - aber aufgrund der Personalsituation ihren eigentlich pädagogischen Beruf gar nicht mehr ausüben kann. Die vielen Langzeitkranken bestätigen das.
Delle Donne: Wir erleben in unserer Arbeit, dass viele Familien immer komplexer belastet sind: Die Corona-Zeit hat ihre Spuren hinterlassen, für viele kommen aktuell wirtschaftliche Sorgen dazu. Der Fachkräftemangel verschärft die Situation, statt sie für die Familien zu erleichtern.
Zur Person
Haben Sie weitere Anregungen zum Thema Kita-Krise? Dann schreiben Sie der Autorin eine E-Mail an lara.meissner@mainpost.de!
Jedoch ist dafür die Politik verantwortlich, sie muss die Mittel stellen und dafür sorgen dass es passt oder sie muss ehrlich sein und die Sache so zu benennen wie sie früher ehrlicherweise hieß:
"Kinderbewahranstalten"
Die Angstellten in Kindergärten sind Opfer einer miserablen Politik, einer Politik die Zustände verharmlost oder maximal aus der Oppositionsrolle heraus anprangert.
Papier ist geduldig!!
Nachzulesen aus dem wissenschaftlich fundierten Buch von Florian von Rosenberg "die beschädigte Kindheit...."
"Nach einer Reihe von wechselnden oder fehlenden Bezugspersonen in den Kitas (Arbeitsplatzwechsel, Krankheit, fehlendem Personal) in den Kitas, denen die Kinder gutgäubig das Vertrauen und die Zuneigung geschenkt haben, wird es nach einiger Zeit aufhören Zuneigung und Vertrauen für irgend jemanden zu riskieren. Stattdessen wird es immer egozentrischer seine Wünsche und Gefühle von den Menschen abwenden und Dingen wie Spielsachen, Süßigkeiten und Speisen zuwenden. usw usw
Wenn Kleinstkinder ihr Sozialgesetzbuch selbst verfassen könnten würden sie schreiben: 3 Jahre von den Eltern betreut , gebildet und gefördert, bis wir verstehen und Vertrauen zu nicht überforderten u wechselndem Personal in den Kindergärten aufgebaut haben
Die Folge Ihrer Forderung wäre aber auch, dass die Erziehungszeiten den Eltern in irgendeiner Form vergütet werden und auch in der Rentenversicherung der Frauen (meist sind es eben die Mütter) keine Einbrüche im Erwerbsleben mehr sind.
Ihre Idee ist sicher richtig, dass wohlmeinende Eltern die Basis für eine spätere Fähigkeit zu persönlichen Beziehungen sind, aber viele können sich das Ausscheiden aus dem Erwerbsleben einfach nicht leisten.
gerne beantworte ich Ihren Kommentar:
1. Erziehungszeiten werden bis zu 36 Mon. als Pflichtbeiträge für Kindererziehung auf das Rentenkonto gutgeschrieben.
2. Eltern erhalten bis 14 Mon. Basiselterngeld bzw. bis 28 Mon. Elterngeld plus. Beides muss nicht versteuert werden.(Teilzeit arbeiten ist zusätzlich möglich)
3. Eltern haben in der Elternzeit 36 Mon. Kündigungsschutz.
Die Zeit mit den Kindern bis zum Kindergarten waren für uns wertvoll. Heute hat man oft den Eindruck, dass manche Eltern mit der Erziehung ihrer Kinder überfordert sind, deshalb ganztags in irgendeiner Betreuung parken.