Die öffentlichen Aufrufe heißen "Hilfe für Tobias" oder "Hilfe für Sarah". Oder Nils, Astrid oder Anja. Es geht um Menschen aus der Region oder aus ganz Deutschland, die an Blutkrebs erkrankt sind. Was sie neben der Krankheit verbindet: Im Kampf ums Überleben hoffen sie auf einen genetischen Zwilling – einen Stammzellspender, Mann oder Frau, dessen gesunde Zellen transplantiert werden und neues Leben schenken.
Glücksgefühle als Spender
"Das ist ein ziemlich gutes Gefühl", sagt Marcel Bausback aus Külsheim (Main-Tauber-Kreis). Der 31-Jährige erinnert sich noch genau an den Tag im Dezember 2018, als er an der Würzburger Uniklinik vier Stunden an der Maschine hing: Stammzellen wurden aus seinem Blut herausgefiltert. "Das tut nicht weh, es ist wie Blut spenden." Glücksgefühle habe er gehabt, "weil ich so einfach jemandem das Leben retten konnte".
Der gelernte Industriemechaniker und Techniker ist einer von derzeit 26 000 Menschen, die in der regionalen Stammzellspenderdatei "Netzwerk Hoffnung" des Uniklinikums Würzburg registriert sind. Sie zählt zu den eher kleineren von aktuell 26 Spenderdateien in Deutschland. Die größte, bekannteste und finanzstärkste ist die DKMS in Tübingen. Alle Dateien werden im Zentralen Knochenmarkspender-Register (ZKRD) in Ulm zusammengeführt.
Etwa ein Prozent aller Typisierten wird tatsächlich zum Spender
Etwa ein Prozent aller Typisierten kommt laut Netzwerk-Leiterin Erdwine Klinker vom Würzburger Uniklinikum tatsächlich als Spender zum Einsatz. So wie Marcel Bausback. Seit er 18 ist, geht er zum Blutspenden. Und so zögerte er auch nicht, bei einer Stammzell-Typisierungsaktion am Gymnasium seiner heutigen Ehefrau in Tauberbischhofsheim mitzumachen. Vor mehr als zehn Jahren war das.
Dann geschah lange nichts. Bis eines Tages der Brief vom Netzwerk Hoffnung ins Haus flatterte: Seine Gewebemerkmale scheinen für einen Krebspatienten gut zu passen. Es folgten genauere Blutuntersuchungen über den Hausarzt und das Labor der Uniklinik, ein Gesundheitscheck und schließlich die Entscheidung für eine so genannte periphere Stammzellspende über das Blut. 80 bis 85 Prozent aller Spender wählen diese Variante, nur ein knappes Fünftel lässt sich Knochenmark aus dem Beckenkamm entnehmen.
Keine Knochenmarksentnahme mehr nötig
Dort werden die lebenswichtigen Stammzellen produziert. Für eine periphere Spende müssen die Stammzellen ins Blut gespült werden - die Spender spritzen sich dafür einige Tage lang eine hormonähnliche Substanz namens G-CSF. Die bekannten Nebenwirkungen sind gering, Bausback hatte leichte Gelenkschmerzen. Ein Zeichen, dass die Freisetzung der Stammzellen funktionierte.
Ereilten ihn im Laufe der mehrwöchigen Vorbereitung Zweifel? "Nein", sagt der werdende Vater entschieden. "Es ist wirklich alles sehr einfach." Auch der Fehltag im Unternehmen war kein Problem. Er gilt als Krankheitstag und das Unternehmen erhält auf Verlangen sogar eine Ausfallentschädigung vom Klinikum.
Hier fühlte sich Bausback in guten Händen, wie er sagt. Es ist der große Vorteil einer regionalen Spenderdatei: Die Wege sind kurz, die Kommunikation ist direkt und persönlich, alles läuft aus einer Hand, auch die Nachbetreuung.
Dabei ist das Netzwerk Hoffnung eher zufällig entstanden. Als Leiter der Transfusionsmedizin am Uniklinikum hatte Prof. Markus Böck im Frühjahr 2002 seine Stelle gerade angetreten, "als plötzlich 200 Leute vor der Tür standen und Blut abgeben wollten". Ein Krebspatient aus der Region hatte über die Medien zur Typisierung aufgerufen. "Wir konnten die Leute doch nicht heimschicken." Böck, der zuvor in Magdeburg bereits eine Stammzellspenderdatei aufgebaut hatte, reagierte pragmatisch, unterstützt von der Klinikverwaltung: Innerhalb weniger Wochen waren 3500 potenzielle Spender typisiert und der Grundstein für die neue Datei gelegt.
War es zu Beginn noch Ziel, möglichst viele Typisierte in die Datei aufzunehmen, so geht es heute verstärkt um die "Qualität" möglicher Spender. Heißt: Jüngere sind "nachhaltiger" als Ältere, weil sie länger als Spender in Frage kommen. Böck: "Wir wollen nicht vorrangig möglichst viele registriert haben, sondern möglichst viele Spender vermitteln." Zwar verbleiben Typisierte bis zum 61. Lebensjahr in der zentralen Datei in Ulm. Neu aufgenommen werden ins Netzwerk Hoffnung seit zwei Jahren aber nur noch Spender bis zum Alter von 45 Jahren (zuvor bis 55 Jahren).
Dahinter steht ein begrenztes finanzielles Budget. Jede Typisierung kostet laut Böck zurzeit rund 40 Euro, im wesentlichen für die Labortests. "Und der Spender soll nicht noch Geld mitbringen müssen", unterstreicht Leiterin Klinker. Deshalb braucht das Netzwerk auch finanzielle Unterstützung. Viele Firmen bezahlen eigene Typisierungsaktionen für ihre Mitarbeiter.
Praktisch einzige finanzielle Einnahmequelle für die Datei sind – neben den Spenden – die Pauschalen bei tatsächlicher Vermittlung: 12 000 Euro bezahlt das ZKRD derzeit für einen Stammzellspender in Deutschland. Deren Zahl schwankt beim Netzwerk Hoffnung zwischen fünf und 20 pro Jahr.
Uniklinik setzt auf Aufklärungsarbeit in der Region
Ein weiterer Vorteil der regionalen Datei: Die Informationsarbeit vor Ort. "Wir wollen den aufgeklärten Spender", sagt Böck. So gehen er und seine Mitarbeiter auch in Schulen, gerne würde man dies noch ausbauen. Schon ab 17 dürfen sich Jugendliche typisieren lassen, wenngleich sie erst ab der Volljährigkeit in die zentrale Datei aufgenommen werden.
Aus ihrem jahrelangen Engagement weiß Gabriele Nelkenstock vom Verein "Hilfe im Kampf gegen Krebs" um die Bedeutung der Stammzellspenden. Sie hatte einst mit einer großen Spendenkampagne das Würzburger Transplantationszentrum auf den Weg gebracht. "Wir haben eines der modernsten Zentren mit den entsprechenden Experten in Europa", so Nelkenstock. Eine regionale Datei wie das Netzwerk Hoffnung hält sie in diesem Zusammenhang für "mehr als notwendig". Die Stammzelltransplantation sei für viele Betroffene die letzte Hoffnung auf Heilung. "Deshalb sollten wir alle die Chance nutzen, Lebensretter zu sein."
Treffen zwischen Spender und Empfänger frühestens nach zwei Jahren erlaubt
So wie Marcel Bausback. Er wüsste gerne, ob der Empfänger oder die Empfängerin seiner Stammzellen überlebt hat. Und ja, dann würde er diese Person – irgendwo auf der Welt – auch gerne einmal kennenlernen. Dies ist nach internationalen Regularien frühestens zwei Jahre nach der Transplantation möglich und nur, wenn beide, Spender und Empfänger, dies wünschen. Schreiben dürfen sie sich – anonymisiert – schon vorher. Netzwerk-Leiterin Klinker weiß: "Viele Patienten wollen sich beim Spender bedanken. Das geben wir natürlich gerne weiter."
Wer das "Netzwerk Hoffnung" und weitere Typisierungen finanziell unterstützen möchte:
Spendenkonto HypoVereinsbank Würzburg, IBAN: DE12 7902 0076 0304 5555 05
Weitere Infos: www.netzwerk-hoffnung.de