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Würzburg/Bad Neustadt
Sexueller Missbrauch in Kloster Lebenhan: Warum sich die "Überlebenden" nach vielen Jahren erstmals treffen wollen
In den 1970er Jahren hat ein Pater im Kloster Lebenhan bei Bad Neustadt (Lkr. Rhön-Grabfeld) Internatsschüler geschlagen und missbraucht. Zwei Betroffene erzählen.
Ein Foto des ehemaligen Klosters Lebenhan bei Bad Neustadt (Lkr. Rhön-Grabfeld) aus dem Jahr 2008. In diesem Jahr wurden Missbrauchsfälle bekannt.
Foto: Hubert Herbert (Archivbild) | Ein Foto des ehemaligen Klosters Lebenhan bei Bad Neustadt (Lkr. Rhön-Grabfeld) aus dem Jahr 2008. In diesem Jahr wurden Missbrauchsfälle bekannt.
Christine Jeske
 |  aktualisiert: 08.02.2024 10:41 Uhr

Wenn die beiden Männer das Wort Lebenhan hören, dann kommen Erinnerungen an ihre Kindheit. Es sind furchtbare. Das ehemalige Kloster Lebenhan bei Bad Neustadt an der Saale im Landkreis Rhön-Grabfeld ist für sie ein Ort des Schreckens. Es gehörte einst der Männerkongregation Missionarii a Sacra Familia (MSF), den Missionaren von der Heiligen Familie. Auf dem Klostergelände gab es bis 1978 eine Missionsschule und ein Gymnasium. Internatsschüler wurden dort gedemütigt, geschlagen, sexuell missbraucht. Sie leiden bis heute unter den Folgen.

Die beiden Männer, die anonym bleiben möchten und deren Namen der Redaktion bekannt sind, planen ein Treffen mit weiteren Lebenhan-Betroffenen in Würzburg: am Sonntag, 11. September, ab 11 Uhr.

Es geht bei diesem Treffen nicht darum, den Täter zu identifizieren. Er ist bekannt: Im Jahr 2008 hatte Bernhard Rasche, ein Betroffener, den Missbrauch bei der Diözese Würzburg angezeigt. Der Ordenspriester wurde von der Kongregation und vom Papst kirchenrechtlich bestraft. Er lebt unter strengen Auflagen in einer Niederlassung des Ordens.

Der Theologe Bernhard Rasche in einer Aufnahme von 2008 vor dem Kloster Lebenhan (Lkr. Rhön-Grabfeld). Damals zeigte er den Missbrauch bei der Diözese Würzburg an.
Foto: Hagen Wohlfahrt (Archivbild) | Der Theologe Bernhard Rasche in einer Aufnahme von 2008 vor dem Kloster Lebenhan (Lkr. Rhön-Grabfeld). Damals zeigte er den Missbrauch bei der Diözese Würzburg an.

In Lebenhan gehörte der Täter zum Leitungsteam. "Er war ein Alkoholiker und ein Psychopath", beschreibt ihn einer der beiden Männer. Bis heute spüre er die Angst. Jeden Abend habe sich der Pater im Schlafsaal seine Opfer ausgewählt. Jeder Schüler habe inständig gehofft, dass der Täter an ihrem Bett vorbeiging. Einige "Auserwählte" habe der Pater in der Ferienzeit mit in den Urlaub genommen.

Paul Piepenbreier, die unabhängige Ansprechperson für Fragen des sexuellen Missbrauchs der MSF, unterstützt den beiden Betroffenen zufolge das Treffen in Würzburg. Er habe sich bereit erklärt, die knapp zehn Betroffenen, deren Adressen er hat, anzuschreiben.

Täter gab bei seiner Vernehmung die Namen von 16 Opfer an

"Wir müssen jedoch weit mehr Betroffene sein", sagen die Initiatoren des Treffens. Der Täter habe bei seiner Vernehmung im Jahr 2008 die Namen von 16 Opfer angegeben. Insgesamt seien damals 20 Strafanzeigen aus dem Raum Schweinfurt bei der Staatsanwaltschaft eingegangen.

"Wir möchten mit unserem Aufruf zu einem Treffen überhaupt erst mal Kontakt zwischen den Betroffenen herstellen und darüber hinaus Leute erreichen, die sich noch nicht beim Orden oder bei Herrn Piepenbreier gemeldet haben", sagen die beiden Männer. "Es gab nie eine Solidarisierung unter den Opfern, sie könnte aber zur Heilung beitragen." Es gehe darum, sich gegenseitig anzunehmen und auszutauschen. Ihre Hoffnung: eine Stärkung wie sie auch Betroffene von Tätern anderer katholischer Einrichtungen erfahren hätten, die sich viel früher zusammenschlossen. 

1919 kauften die Männerkongregation Missionare von der Heiligen Familie den Herrensitz Schloss Löwenhain in Lebenhan bei Bad Neustadt (Lkr. Rhön-Grabfeld) und richtete dort eine Missionsschule ein. 2008 wurde das Kloster verkauft.
Foto: Stefan Kritzer | 1919 kauften die Männerkongregation Missionare von der Heiligen Familie den Herrensitz Schloss Löwenhain in Lebenhan bei Bad Neustadt (Lkr. Rhön-Grabfeld) und richtete dort eine Missionsschule ein.

Drei Aspekte sind den beiden Männern wichtig. Zuerst die Frage: "Wie geht es Dir?" Er habe in den vergangenen Jahren einige "Lebenhaner" kennengelernt, berichtet einer der beiden. Viele würden von "Überleben" sprechen. Sie hätten dieses Überleben oft alleine versucht.

Untersuchungsbericht von 2008 wird den Betroffenen zur Verfügung gestellt

Ein weiterer Grund sei, dass der Orden bislang ein Treffen verweigert habe. Auf die Anregung dazu habe es von Pater Michael Baumbach von der deutschen Provinzialleitung der MSF geheißen, dies "würde nur retraumatisieren". Baumbach habe diese Meinung geändert, er unterstütze jetzt das Treffen in Würzburg, haben die beiden Männer von Piepenbreier erfahren.

Der dritte Punkt: Der Untersuchungsbericht, der seit Ende 2008 vorliegt, wird den Betroffenen zur Verfügung gestellt. Dies - seit vielen Jahren ein Anliegen - sei bislang vom Orden aus Opferschutz- und Datenschutzgründen verweigert worden.

"Die Untersuchungskommission hat nie mit uns Kontakt aufgenommen."
Zwei Missbrauchsbetroffene, die ein Treffen initiieren

Die beiden Initiatoren vermuten, dass dieser Untersuchungsbericht nicht völlig unabhängig ist. Die damit beauftragte Kriminalhauptkommissarin und eine Kirchenrechtsprofessorin hätten nur mit dem Täter gesprochen, sagen sie: "Die Untersuchungskommission hat nie mit uns Kontakt aufgenommen." Zudem sei die Kirchenrechtlerin an einer zum Orden gehörenden theologischen Einrichtung ausgebildet worden.

Missbrauchsbeauftragter Paul Piepenbreier bietet Einzelgespräche an

Paul Piepenbreier biete als Unabhängiger Einzelgespräche in Würzburg an. Er werde bei dem Treffen an einem geschützten Ort nicht unmittelbar dabei sein - aber in der Nähe und ansprechbar.

Wer an dem Treffen am 11. September um 11 Uhr teilnehmen möchte, kann unter Angabe seines Namens per E-Mail zu den Organisatoren Kontakt aufnehmen unter: austausch.lebenhan@gmx.de

Missbrauchsfall im ehemaligen Kloster Lebenhan - eine Chronologie

August 2008: Der ehemaliger Internatsschüler Bernhard Rasche zeigt den in den 1970er Jahren geschehenen Missbrauch beim Bistum Würzburg an. Das Bistum informiert Pater Michael Baumbach von der Provinzialleitung der Missionarii a Sacra Familia (MSF) in Mainz. Baumbach ordnet eine kirchenrechtliche Voruntersuchung an. Der damals 71 Jahre alte beschuldigte Ordenspriester gibt den Missbrauch zu.
Oktober 2008: Die Schweinfurter Staatsanwaltschaft leitet wegen Verjährung keine Ermittlungen ein. Es melden sich weitere Betroffene sowie ein Mitarbeiter einer Firma, der 1977 in Lebenhan zu tun hatte. Er gibt an, dass er bereits 1977 die Internatsleitung und die Stadtverwaltung in Bad Neustadt informiert hatte, dass sich ihm damals ein Neunjähriger anvertraut habe. Seine Hinweise bleiben ohne Konsequenzen.
November 2008: Die MSF verkauft das Klosterareal in Lebenhan wegen Nachwuchsmangels.
Dezember 2008: Laut einer Untersuchung, von MSF in Auftrag gegeben, gibt es mindestens 16 Betroffene. Die damals etwa zehn Jahre alten Jungen waren von dem Ordenspriester missbraucht und brutal geschlagen worden. Er bittet um seine Entlassung aus dem Klerikerstand.
Juli 2009: Papst Benedikt XVI. entzieht dem Täter alle Rechte und Pflichten des Klerikerstands. Er bleibt Mitglied des Ordens.
MP/cj
 
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  • metzger@maxiklinik.de
    "Er gibt an, dass er bereits 1977 die Internatsleitung und die Stadtverwaltung in Bad Neustadt informiert hatte"
    Dieses Nichthandeln staatlicher und amtskirchlicher Stellen ist schon eine sehr perfide Form, um heute von Verjährung sprechen zu können.
    Da werden die weltweit inflationär vorgetragenene Entschuldigungen und Bitten um Vergebung zur Farce.
    Amtskirche mach die Kirche nicht noch mehr kaputt!
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  • doggydog
    Auch ich finde es nicht in Ordnung, das sexueller Missbrauch verjährt, wobei es da meiner Meinung nach auch Ermessensspielraum gibt, denn die Verjährungsfrist kann bis zu 30 Jahren betragen.Des Weiteren "schützt" sich der Körper bei Traumaopfern mit vorübergehendem "Vergessen" um weiter funktionieren zu können. Ich spreche da aus eigener Erfahrung in der Arbeit mit traumatisierten Menschen.Es ist zum Beispiel auch möglich, das eine Verjährung erst beginnt,wenn die posttraumatische Belastungsstörung durch eine Therapie offengelegt wird (Nachzulesen z.B. unter Caritas Rechtsinformationsdienst). Ich denke da ist auch noch großer Aufklärungsspielraum für die betroffenen Opfer vorhanden und nicht genutzt. Und warum darf denn der Täter weiterhin unter dem Schutz des Ordens und der Kirche und von Kirchengeldern (Spenden,Kirchensteuer) leben ?
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  • gabcht20581207
    Missbrauch darf nicht verjähren. Die Betroffenen leiden ihr Leben lang.
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  • 1958kosb
    „Überlebende“?
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  • Lebenhan1965
    @ 1958kosb

    Warum das Fragezeichen?
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  • 1958kosb
    „“ deshalb
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  • FNB
    Da ging es darum, dass die Betroffenen als Erwachsene mehr "Überleben" als wirklich (glücklich) zu leben. So habe ich es zumindest verstanden.
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  • austroewer
    Unerhört! Er nimmt die Kinder mit in Urlaub! Das muss doch die Leitung gewusst haben, und die haben es in Kauf genommen! 2008 die Stadtverwaltung NES informiert! Dieser informierter Verwaltungsbeamte ist bestimmt noch da! wird da geprüft, was der gemacht hat, oder hat er sich auch nur weggeduckt, dann gehört er auch zur Rechenschaft gezogen!!
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  • FNB
    Nein, der Mitarbeiter einer Firma hat 2008 gemeldet, dass er 1977 an das Kloster und die Stadtverwaltung gemeldet hat, was der Junge ihm gesagt hat. Schlimm genug, das Jugendamt sah damals offenbar keinen Handlungsbedarf, wie schrecklich.
    Ich bekomme Erstickungsgefühle, wenn ich das lese. Die Kinder hatte ja keine Chance, dem zu entkommen. Keiner hat ihnen geglaubt.
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  • weissmi
    Richtig lesen wäre wichtig!
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  • zwrecht@aol.com
    @austroewer: Da ist er nicht mehr, aber vielleicht hat er Dir gerade geantwortet?
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