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Würzburg/Schweinfurt
Schnellverfahren nach Gewaltdelikten: Würzburger Strafrechtler rät zu Zurückhaltung
Keine 24 Stunden nach den Corona-Protesten in Schweinfurt wurden vier Teilnehmer verurteilt. Dienen Schnellverfahren der Abschreckung? Der Strafrechtsprofessor Eric Hilgendorf hat da Zweifel.
Nach Ansicht des Rechtswissenschaftlers Eric Hilgendorf von der Uni Würzburg sollten Schnellverfahren nur im Ausnahmefall zur Anwendung kommen.
Foto: Angie Wolf | Nach Ansicht des Rechtswissenschaftlers Eric Hilgendorf von der Uni Würzburg sollten Schnellverfahren nur im Ausnahmefall zur Anwendung kommen.
Andreas Jungbauer
 |  aktualisiert: 08.02.2024 10:52 Uhr

Die Demonstration gegen die Corona-Maßnahmen am Sonntag in Schweinfurt war erneut nicht angemeldet, dazu aufgerufen wurde über die Online-Plattform Telegram. Doch die Polizei zeigte diesmal deutliche Präsenz, unterband Aufzüge durch Absperrungen – und drohte für Verstöße den Einsatz von Schlagstöcken und Pfefferspray an. Trotzdem widersetzten sich einige Demonstranten den Anweisungen und wurden handgreiflich.

Vier Täter – drei Männer und eine Frau – kamen in Gewahrsam und wurden am darauffolgenden Tag vom Amtsgericht Schweinfurt in Schnellverfahren zu teils drastischen Strafen verurteilt: zwischen 1600 Euro Geldstrafe und zwölf Monaten Freiheitsstrafe auf Bewährung. Wie sind beschleunigte Verfahren und Strafmaß in diesem Zusammenhang zu bewerten? Fragen an Professor Eric Hilgendorf, Inhaber des Lehrstuhls für Strafrecht an der Universität Würzburg.

Frage: Hat es Sie überrascht, wie schnell gewalttätige Querdenker-Demonstranten aus Schweinfurt verurteilt wurden?

Prof. Eric Hilgendorf: Diese Schnelligkeit hat mich in der Tat überrascht. Wir sind ja eher langwierige Verfahren gewohnt. Grundsätzlich sind zügige Verfahren besser, weil dem Täter und auch der Allgemeinheit vor Augen geführt wird, dass sich Straftaten nicht lohnen.

Aber war es hier auch rechtmäßig, die Schnellverfahren anzuwenden?

Hilgendorf: Davon gehe ich aus. Die Paragrafen 417 bis 420 der Strafprozessordnung regeln das Verfahren ziemlich detailliert. Und es gibt keinen Hinweis darauf, dass sich das Gericht nicht daran gehalten hat.

Welche wesentlichen Kriterien gelten denn dafür?

Hilgendorf: Voraussetzung eines solchen Verfahrens ist stets, dass es sich um einen einfachen Sachverhalt handelt oder die Beweislage klar ist. Es muss also Klarheit darüber herrschen, was genau geschehen ist.

Kann ein sauberes Urteil überhaupt gefällt werden, wenn keine 24 Stunden ermittelt wurde?

Hilgendorf: Ja, vor allem dann, wenn der Angeklagte das ihm vorgeworfene Verhalten nicht bestreitet, oder wenn die Sachlage aus anderen Gründen eindeutig ist.

Wann ist eine Beweislage denn klar? Reichen dafür zum Beispiel Zeugenaussagen?

Hilgendorf: Mehrere Zeugenaussagen reichen, wenn sie in den wesentlichen Punkten übereinstimmen, und keine Zeugenaussage einer anderen in einem relevanten Punkt, also nicht in einer bloßen Nebensächlichkeit, widerspricht.

Welche Rolle spielt Videomaterial?

Hilgendorf: Videomaterial besitzt grundsätzlich einen hohen Beweiswert, auch wenn wir alle wissen, dass es gefälscht werden kann. Darauf gibt es hier aber keine Hinweise.

Ist es denkbar, dass Demonstranten selbst belastendes Material über soziale Medien und Kanäle wie Telegram liefern?

Hilgendorf: Natürlich. Viele Täter stellen Videos ihrer "Heldentaten" selbst ins Netz, oder sie werden von anderen Demonstranten gefilmt und diese Filme dann online gestellt. Besonders hohen Beweiswert besitzen Polizeivideos.

Wie bewerten Sie das Strafmaß bei den vier Schnell-Verurteilungen von Schweinfurt? Wurde hier verhältnismäßig hart durchgegriffen?

Hilgendorf: Mich hat die hohe Strafe von einem Jahr auf Bewährung gegen den 50-Jährigen überrascht. Immerhin hat sich der Mann offenbar bisher nichts zuschulden kommen lassen. In einem solchen Fall wäre es vielleicht doch sinnvoll, die Hintergründe des Täterverhaltens, seine Motive und mögliche psychische Belastungen genauer aufzuklären.

Kann dies nachträglich über eine Hauptverhandlung noch geschehen?

Hilgendorf: Eine Hauptverhandlung findet auch beim beschleunigten Verfahren statt. Das ist in Paragraf 418 der Strafprozessordnung geregelt. Gegen das Urteil können wie üblich Rechtsmittel eingelegt werden, und dann kommt es in der Regel zu einem neuen, ausführlicheren Verfahren.

Warum greift man überhaupt zu beschleunigten Verfahren? Sollen sie vor allem abschrecken?

Hilgendorf: Zum einen folgt die Strafe der Tat sozusagen "auf dem Fuße", was mit Sicherheit in vielen Fällen pädagogische Vorteile hat. Zum anderen wird die Justiz entlastet. Abschreckungseffekte sollten keine allzu große Rolle spielen, und können für sich allein genommen die Wahl eines beschleunigten Verfahrens nicht rechtfertigen.

Wenn wir auf Schweinfurt blicken: Können die schnellen Urteile ein Warnsignal sein oder könnten sie im Gegenteil radikalisierte Gruppen noch stärker gegen den Staat aufbringen?

Hilgendorf: Es könnte durchaus sein, dass Menschen, die sich ohnehin ausgegrenzt fühlen, sich nun weiter radikalisieren. Andererseits kann ein klares Signal des Staates, Unrecht nicht zuzulassen, auch hilfreich sein. Hier benötigen die Richterinnen und Richter Fingerspitzengefühl und große Kommunikationskompetenz.

Sind den Richterinnen und Richtern bei der Anwendung von Schnellverfahren auch Grenzen gesetzt?

Hilgendorf: Ja, durchaus. So ist die Höhe der im beschleunigten Verfahren möglichen Freiheitsstrafen auf maximal ein Jahr begrenzt. In der Regel bleiben die Gerichte deutlich darunter.

Seit wann gibt es eigentlich Schnellverfahren? In der Öffentlichkeit werden sie normalerweise kaum wahrgenommen...

Hilgendorf: Schnellverfahren hat es im Prozessrecht immer schon gegeben. Seine jetzige Form verdankt das beschleunigte Verfahren dem Verbrechensbekämpfungsgesetz aus dem Jahr 1994. Das Schnellverfahren wird von der deutschen Justiz zurückhaltend eingesetzt, weil seine rechtsstaatlichen Probleme bekannt sind. Diese Zurückhaltung verdient aus meiner Sicht unbedingt Zustimmung.

 
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Kommentare
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  • henner59
    Der Strafrechtsprofessor Eric Hilgendorf hat Recht mit der Zurückhaltung.
    Diese Kommentare sind erschreckend.
    Kurzer Prozess, Hunde müssen sofort bestraft werden usw. da bekommt man schon Angst.
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  • mainpostgw
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  • Funkenstern
    Viel Geschwafel aus dem Munde eines Studierten. geht man mal von der Hundeerziehung aus, sollte ein Bestrafung oder Massregelung unmittelbar nach der Verfehlung erfolgen. Also sind die "Schnellgerichte" noch viel zu langsam. Vor Ort unmittelbar aburteilen und das mit sofortigem Ausgleich der Strafen, ansonsten Knast bis zur Begleichung der Kaution oder Geldstrafe. DAS würde was bringen,denn das ist unmittelbar. Aber leider ein Wunschdenken.
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  • sepele
    Menschen wie Hunde zu bestrafen ist zum Glück nur ihr persönliche Fantasie.
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  • klafie
    wenn jeder vernünftige in dl aus diesen demonstrationen am wochenende etwas gelernt hätte wäre folgendes zu beachten: einfach nicht mehr hingehen und solche gruppierungen zu unterstützen. allein dann, wenn die zahl der demonstranten so niedrig wird, würden diese vollpfosten von alleine aufgeben. aber, denke, das ist nur ein wunschdenken. chaoten gab es halt schon immer!
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  • jebusara@web.de
    Zitat aus obigem Artikel (dient als Quellenangabe): Das Schnellverfahren wird von der deutschen Justiz zurückhaltend eingesetzt, weil seine rechtsstaatlichen Probleme bekannt sind.

    Rechtsstaatliche Probleme? Die MP als neutrale unabhängige Zeitung kann diesbezüglich sicher einen aufklärenden Artikel bringen damit auch der Laie weiss, welche Probleme gemeint sind. Durch diesen Satz haben die Schnellverfahren nämlich einen etwas faden Beigeschmack.
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  • dbuettner0815@gmail.com
    Da sich viele Querdenker wie unerzogene Kinder benehmen, ist eine unmittelbare Bestrafung angebracht!
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  • deweka
    Ein Verfahren sollte grundsätzlich zeitnah erfolgen damit der Zusammenhang zwischen Tat und Verurteilung für den Täter klar ist.
    Gerade in der jetzigen Situation können schnelle Urteile weitere Straftaten bei oder im Idealfall die sogar Teilnahme an „Spaziergängen“ verhindern.
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  • Apfelkorn
    ungehorsamer GEhorsam.

    Unser krisengeschütteltes Zeitalter wird von Verhaltensauffälligkeiten und Überreaktionen geprägt. Den Querdenkern, ihnen ist die Wirklichkeit abhandengekommen, wird viel zu viel Berdeutung beigemessen. Die seelische Konstellation dieser Menschen ist auf Konfrontation ausgerichtet. Sie bäumen sich gegen einen vermeintliche autoritäre Struktur auf, um sich letzten Endes anderen autoritären Strömungen zu beugen. Wir sollten dieses auffällige Verhalten nicht sanktionieren, sondern durch gutes Zureden wie bei einem störrischen und trotzigen Kind in andere Bahnen lenken. Das wäre die angemessene Reaktion eines fürsorglichen Staates, der nicht die väterliche Autorität, sondern die müttterliche Güte walten lässt.
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  • e.max.s@t-online.de
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  • 2186583
    Mit Verlaub .... Es handelt sich hier eben nicht um trotzige Kinder. Es geht hier um einen gesellschaftlichen Prozess, der durch extremistische Gruppen bewusst ausgenutzt wird. Ferner gewinnen die sogenannten Querdenker an Aggressivität eben weil sie durch rechts-außen Konstellationen noch befeuert werden. Diese von Ihnen als "trotzige Kinder" Benannten stellen ihre unmündigen Kinder in die erste Reihe, um ein Durchgreifen der Polizei zu verhindern. Väterliche Autorität und mütterliche Güte haben in diesen Kreisen so viel verloren wie ein Krokodil auf einem Kinderspielplatz.
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  • jebusara@web.de
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  • stefan.wolz@web.de
    Es wäre generell zu wünschen, daß Strafverfahren schneller abgewickelt werden, vor allem wenn die Beweis Lage eindeutig ist. Der Messer Attentäter von Würzburg ist immer noch nicht verurteilt!
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  • popp.58
    Die Gutachter wollen auch was verdienen
    Traurig, aber wahr
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  • eleisa3
    Der ist doch psychisch krank
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  • Barbara
    Durch eine schnelle Verurteilung könnten weitere Straftaten verhindert werden...siehe Berlin, dort werden z.T. 2 Jahre und länger benötigt bis ein straffälliger verurteilt wird....aber in der Zwischenzeit etliche weitere Straftaten begangen hat.
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  • rasputin32
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  • Alfred.E.Neumann
    Zitat Strafrechtsprofessor Hilgendorf: "Es könnte durchaus sein, dass Menschen, die sich ohnehin ausgegrenzt fühlen, sich nun weiter radikalisieren."

    Allerdings schienen die Querdenker sich immer mehr im Recht zu fühlen, weil keine Konsequenzen bisher passiert sind. Das darf man auch nicht vergessen. Die Radikalisierung hat schon begonnen, als sich nicht (wie von den Querdenkern erhofft) Tausende auf die Straße begeben haben. Daher kann ich kurzen Prozeß nur begrüßen.
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  • Steler06501902
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  • m.schmitt.stadtlauringen@gmail.com
    Frage Mainpost: Wenn wir auf Schweinfurt blicken: Können die schnellen Urteile ein Warnsignal sein oder könnten sie im Gegenteil radikalisierte Gruppen noch stärker gegen den Staat aufbringen?

    Zitat Strafrechtsprofessor Hilgendorf: "Es könnte durchaus sein, dass Menschen, die sich ohnehin ausgegrenzt fühlen, sich nun weiter radikalisieren."

    Als Laie frage ich mich allerdings was die Alternative zu einem Gerichtsverfahren inkl. Urteil wäre? Für die Radikalisierung dürfte es doch keine Rolle spielen ob die Verurteilung durch ein Schnellverfahren oder erst nach Monaten geschieht!
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